Inzwischen hatte die morgendliche Sonne auch die letzte Frische der Nacht vertrieben und allmählich begann die Temperatur auch hier oben im Gebirge merklich zu steigen. Die sechs Gefährten schulterten ihr Gepäck und folgten ihren frisch erkorenem Anführer Rogav hinunter in die Ebene.
Zielsicher bahnte dieser ihnen einen Weg den verfallenen Pfad hinab, der sich durch Gräser und Pflanzen
[1] schlängelte, die so hoch wuchsen, dass sie den Zwerg hin und wieder zu verschlucken drohten, wenn er mal wieder etwas weiter vorraus lief.
Der Pfad selbst musste einst sehr gut befestigt gewesen sein, doch der Zahn der Zeit und das Wurzelwerk der Pflanzen haben dafür gesorgt, dass er nunmehr zu einer steinige Stolperstraße geworden ist, der mit Leichtigkeit ein Tribut in Form eines verstauchten Knöchels oder blutigen Knies von einem unachtsamen Wanderer fordern konnte. Dies und die Tatsache, dass das Gefälle immer steiler zu werden schien sorgte dafür, dass der halbstündige Abstieg unerwartet anstrengend war, so dass der ein oder andere eher schnaufend als atmend in der Ebene ankam. Hier bot sich dem Erkundungstrupp allerdings ein einmaliger Anblick:
Vor ihnen breitete sich eine wohl uralte Siedlung aus, die über die Zeit hinweg von Schling- und Rankpflanzen überwuchert worden war. Selbst von hier aus sah man, dass die aus Stein erbauten Häuser, die meist keine weiteren Stockwerke besaßen, oftmals eingestürzt oder komplett zerfallen waren. Es war schwer abzuschätzen, wie viele Häuser hier einst standen, aber ihre Zahl mochte wohl die fünfzig mit Leichtigkeit überschritten haben. Hier und dort fanden sich nun auch wieder die merkwürdigen Felsnadeln, die den Gefährten schon aus dem Urwald bekannt waren. Auch hier machte die Vegetation einen weiten Bogen um die seltsamen Steine, die sich abermals in Höhe und Ausrichtung voneinander unterschieden. Der in der Morgensonne rötlich glühende Sandstein unterschied sich dermaßen offensichtlich von dem grauen Granit der Bergspitzen und der Hauswände, dass sich selbst jenen, die nicht so vertraut mit Steinen und Architektur waren, der Widerspruch geradezu aufzwang. Allerdings gab es hier ein Novum: Die Säulen standen wesentlich dichter aneinander als im Wald und teilweise entwuchsen auch bis zu drei gleichzeitig dem Erdboden, was beinahe an einen merkwürdigen steinernen Baum erinnerte.
Die Gruppe befand sich auf der Südseite der Ebene und verspürte einen sanften von Osten kommenden Wind, der die Ebene durchwanderte. Auf der Nordseite, hinter den Häusern und den Felsnadeln befand sich eine steilaufragende Felswand über der der mächtige Gipfel des Gebirges, bar jeglicher Vegetation thronte.
Sowohl in Ost- als auch in Westrichtung schien das Plateau recht weitläufig, so dass die Gefährten hier noch keine offensichtlichen Begrenzungen ausmachen konnten.
Ravok hatte sich, seiner Pflicht als Nachhut gemäß, etwas weiter zurück fallen lassen und schloss gerade, gefolgt von Akayo, zu der Gruppe auf. In dem Moment als er beide Füße von dem gepflasterten Pfad auf die Ebene setzte begann die Erde zu beben.
Zuerst war es nur ein dumpfes Grollen aus dem Herz des Berges heraus, dass sich aber schließlich in ein grausiges Crescendo steigerte. Nach und nach übertrug sich das Grollen auf den Boden unter den Füßen der Gruppe und die Erde begann hin und her zu wackeln. Zunächst eher zaghaft beinahe schon verhalten, doch dann mit immer größerer Wucht, fast so als rüttele eine sagenhafter Riese an dem Gebirge. Ein lautes Krachen war zu hören, wann immer ein Haus in der Ebene in einer Staubwolke einstürzte, doch auch diese Geräusche verblassten, als der Zorn der Erde in einer Lautstärke wütete, dass es den Gefährten beinahe das Bewusstsein nahm.
Doch dann - mit einem Mal - nahmen die Erschütterungen ab und auch der Lärm verebbte innerhalb weniger Augenblicke. Ruhe legte sich wie ein Tuch aus Blei über das Plateau und die Gruppe von Abenteurern. Wären nicht die sich langsam mit dem Wind ausbreitenden Staubwolken gewesen, man hätte meinen können, das so eben Erlebte hätte sich nie ereignet.
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