• Drucken

Autor Thema: Casus Belli  (Gelesen 84567 mal)

Beschreibung: IC-Thread

0 Mitglieder und 3 Gäste betrachten dieses Thema.

Karl Schreiber

  • Beiträge: 32
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #135 am: 14.08.2011, 12:41:58 »
Da sich die anderen wieder zur Kutsche begaben schloß Karl sich ihnen an. Schiet ook,  das war meine letzte Gelegenheit der Ehrung im Rathaus beizuwohnen. Jetzt heißt es gute Mine zum bösen Spiel zu machen und mitzufahren.

Alfred Nobel

  • Beiträge: 396
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #136 am: 28.08.2011, 22:02:58 »
"Sachte", sprach Alfred in einem müden und widerstandslosen Ton, als er von Oberst van Widdendorp von der Kutsche weggeführt wurde. Mit einem flauen Gefühl im Magen konnte er im schwachen Schein der Straßenlampen erkennen, wie sich die wagemutigen Studenten doch der Einladung des Herzogs hingaben und in das Gefährt stiegen. Die unsagbare Grimasse des Braunschweigers brannte dem Chemisten ein teuflisches Bild in den Sinn, obwohl es Alfred zwar gelungen war, dem magnetischen Griff des Herzogs zu entkommen, war er sich ob des Grinsens des schwarzen Mannes sicher, dass dies kein uneingeschränkter Sieg für sich und seinen Bruder war - oder überhaupt ein Verlust für Herzog Friedrich und seinen gelackten Lakaien. Die Sorgen und Fragen übermannten Alfred mittlerweile, seine Beine waren schwer und schmerzten noch von seinem nächtlichen Sprint, die stechenden Muskeln würde er die nächsten Tage noch spüren. Sein Kopf schmerzte ebenfalls vor Anstrengung, vorsichtig hob er die Hand und rieb sich mit verzerrter Miene die Schläfe. Bereitwillig folgte der schwedische Unternehmer also seinem Fänger, und ein trockener Hustreiz überkam Alfred, als wollte sein Körper der erste sein ihn für seine Torheit zu schelten, sich in die Angelegenheiten der Deutschen einzumischen.

"Ich bestehe auf einen Anwalt", sprach Alfred mit formlosem Ton. Mittlerweile brachte er es nicht mehr zu Stande, eine formelle Etiquette aufrechtzuerhalten und wollte seine Forderung nur noch zu Protokoll gegeben haben, ehe er auf einer kalten, unangenehmen und harten Kerkerpritsche in den Schlaf der Erschöpften und Kraftlosen fallen würde.

"Ich hoffe nur, Emil geht es gut..."

Es war nicht das erste Mal in dieser Nacht, dass sich eben dieser Gedanke in Alfreds Sinn schlich. Doch angesichts der mittlerweile entwickelten Situation waren die Rollen der Nobelschen Brüder nun wie vertauscht. Nun war es Alfred, der in unfreiwiligen Schwierigkeiten steckte, und am jungen Emil lag es, sich in die Gefahr zu begeben um seinem Bruder aus der Patsche zu helfen.
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Casus Belli
« Antwort #137 am: 14.09.2011, 14:26:35 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 03:22 Uhr - Gebäude des Kommandanten, provisorische Zelle

"Sie werden Ihren Anwalt bekommen, Herr Nobel.", antwortete der Oberstwachtmeister leichthin, während er den Schweden in die Richtung seines Arbeitssitzes bugsierte. Da der Schwede keine großen Fluchtversuche unternommen hatte, ließ er Nobel auch ohne weitere Fixierungen neben sich herlaufen. "Aber Sie haben sich dort ziemlich mächtige Feinde ausgesucht, Herr Nobel. Obzwar ich nicht bewerten will, ob Sie schuldig sind oder nicht, nach diesem Dokument ist Ihr mögliches Vergehen sehr...wie soll ich sagen...delikat. Keine Sorge, ich erwarte nicht, dass Sie mir etwas dazu antworten werden. Ich werde am morgigen Tag den schwedischen Botschafter informieren lassen, was eine gewisse Zeit dauern wird."

Und tatsächlich benahm sich der Oberstwachtmeister sehr zurückhaltend und führte Alfred bis in seine Amtsstube, wo er den Haftbefehl an ein schwarzes Brett hing und dem Schweden einen Sitzplatz anbot. Flankiert wurde Alfred bereits jetzt von zwei einfachen Garnisonssoldaten, welche schweigsam in der Tür standen. Van Widdendorp ließ Alfred einige Momente warten, während er den Haftbefehl abschrieb und in einen Text integrierte. Er begann dabei zu sprechen. "Interessant. Auch Marius Pedersen ist daran beteiligt. Mutter Ursula des Altenstiftes tätigte die Behauptung, dass sie Marius schwer verwundet vor ihrem Haus gefunden hätte und gerade gesund pflegte. Angegriffen von einem noch Unbekannten und fast zu Tode gebracht. Zwei meiner Männer sind dort und überprüfen das. Ihr Bruder ist ebenfalls schwer wurden, Herr Nobel und Sie wurden beinahe direkt vor die Füße des Herzogs geworfen und das durch den Schwarzen Braunschweiger höchstselbst. Halten Sie mich bitte nicht für einen abergläubigen Menschen oder für einen paranoiden Menschen, aber ich sage Ihnen, das sind höchst viele Zufälle für einen Abend. Zumal Marius Pedersen der Studentenschaft Teutonia zugehörig ist, eben jener Bruderschaft, welche Sie gerade mit Gewalt vom Braunschweiger ferngehalten hat. Mhm..." Der Oberstwachtmeister blickte Alfred in die müden Augen und hatte ein Einsehen. "Ich werde Sie heute nicht mehr in ein Loch stecken. Sie können meine Stube nutzen, um sich ein wenig auszuruhen. Stören Sie sich bitte nicht daran, dass die beiden Soldaten Sie in dem Zimmer zu bewachen haben. Sie wissen ja, dort wo preußische Strukturen eingeführt werden, ist das Protokoll wichtiger als die Wahrheit. Ich schicke Ihnen auch schonmal einen holsteiner Anwalt für den Morgen, falls sie das Bedürfnis haben, schonmal zu sprechen und es festhalten zu lassen."
Mit einer Handbewegung holte der Oberstwachtmeister die beiden Männer heran, welche Alfred in ein Zimmer direkt gegenüber von van Widdendorps Arbeitszimmer brachte. Der Schwede sah noch, dass van Widdendorp Notizen anfertigte, wobei auch Carl von Lütjenburg einen Eintrag bekam. Ein Fragezeichen stand hinter seinem Namen, als fragte der Oberstwachtmeister: Was wird hier gespielt?

Es war ein karges Zimmer, unwahrscheinlich karg für einen Offizier, in welches Alfred geführt wurde. Einfacher Dielenboden, ein einfaches Bett, ein Tisch und zwei Stühle standen in diesem Zimmer. An der Wand ein großer, hölzerner Wandschrank, in dem van Widdendorps Militärkleidung Platz fand. Neben dem Bett stand noch ein Ständer für die ausladende Uniform. Die beiden Soldaten schlossen die Tür und setzten sich an den Tisch. Sie stellten sich als die Obergefreiten Fritz und Hammer vor. "Stören Sie sich nicht an unserer Anwesenheit. Wer werden über Sie wachen.", sagte Kamerad Fritz. Es war ein junger Mann mit fast weibischen Zügen und kurzem, gewellten Haar. Er wirkte nicht gerade wie ein überzeugter Soldat. Kamerad Hammer hingegen hatte was Schneidiges, auch wenn er ähnlich klein und drahtig wie Fritz war. Sie packten ein Kartenspiel aus und Fritz mischte die Karten.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 03:22 Uhr - In der Kutsche des Schwarzen Braunschweigers

Alle waren in die Kutsche gestiegen bis auf Munro, Hermene und der Braunschweiger selbst. Mit einer galanten Handbewegung bat der schwarzgekleidete Braunschweiger, der Carl von Lütjenburgs Bemerkung einfach ignorierte, die Ordensschwester, in die Kutsche einzusteigen. Munro machte er nicht dieses Angebot, da jener lieber durch den Regen reiten wollte. Spontan schien er seinen Plan zu ändern, eine schriller Pfiff und eine Handbewegung später kam ein zweiter Mann dazu, einer jener Männer, welche die Waffen beinahe gegen Carl von Lütjenburg erhoben hatten. Es war ein durchschnittlicher Mittvierziger, der seine Jacke tief ins Gesicht gezogen hatte, um dem Wetter zu trotzen. Seine Augen verrieten, dass er sich nicht über diese Aufgabe freute. Ein Nicken des Braunschweigers reichte, damit der Mann wusste, was er zu tun hatte. Alle anderen waren in der Zwischenzeit verschwunden und tauchten jetzt einer nach dem anderen auf einem Pferderücken wieder auf, bis auf der Mann, der wie unförmiges Fleisch aussah. Dieser blieb verschwunden.
Der Braunschweiger stieg als Letztes in die Kutsche ein und setzte sich an die Tür. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Wenn hier so plötzlich ein Platz frei wird, werde ich natürlich gerne im Trockenen fahren."
Die Kutsche bot nicht sehr viel Komfort, nur ein sehr schmaler Bezug war auf die Sitzflächen angebracht wurden, die Beinfreiheit ließ zu wünschen übrig, die Verarbeitung war jedoch sehr hochwertig bis auf die Sitzflächen, welche nachträglich eingebaut wurden. Der Braunschweiger war sich darüber bewusst, dass die Gäste sich erst einmal umschauen mussten. Es ließ sich nur die Tür auf der Seite des Braunschweigers öffnen, auf der anderen Seite gab es nicht mal eine Tür. "Eine ehemalige Postkutsche.", erklärte der galante Soldat mit gewisser Zufriedenheit. "Nicht das bequemste Vehikel, aber allemal ausreichend. Ich wünsche eine angenehme Fahrt.", fügte er an und deutete auf Fangnetze an der Decke der Kutsche. "Dort wurden normalerweise lose Briefe aufbewahrt. Sie sind dazu eingeladen, die dort befindlichen, leeren Säcke als Kopfkissen zu nutzen. Wir werden alle drei Stunden einmal halten, damit sie Sie alle sich die Beine vertreten können, wenn sie wollen. Sie werden morgen in der Frühe, die Chance haben, sich noch einmal zu waschen und wieder frisch zu machen, bevor sie vor den Herzog treten. Haben sie noch Fragen zur Etikette, oder wissen Sie, wie man sich benimmt?"
Der Braunschweiger ignorierte den Vorfall mit Nobel scheinbar oder er war äußerst schnell über die kleine Niederlage hinweggekommen. Er hatte seine Souveränität nach dem Vorfall mit dem Ziehen der Waffen durch Carl von Lütjenburg schnell wiedererlangt, auch wenn auffiel, dass er Carls Hände inzwischen ausgiebig beobachtete.

Die Kutsche setzte sich schwerfällig in Bewegung, während sich die Reiter um die Kutsche sammelten und sie in dieser Form begleiteten. "Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wir wollen ja keine unliebsamen Überraschungen.", erklärte der Braunschweiger die insgesamt sieben Reiter, die die Kutsche umritten, einer davon war jedoch Donald Munro. Und so brachen sie auf nach Emkendorf, in der Hoffnung oder Befürchtung, dort den Herzog selbst zu treffen und vielleicht mehr über diese sonderbaren Entwicklungen herauszufinden.
« Letzte Änderung: 14.09.2011, 14:54:00 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

  • Beiträge: 396
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #138 am: 14.09.2011, 20:13:30 »
Eigentlich hätte sich Alfred Nobel an der Gesellschaft zweier Männer gestört, während er sich wie schon so oft vergeblich in einem Bett dem Versuch hingegeben hätte, seine Schlaflosigkeit zu überwältigen und Ruhe zu finden. Doch in dieser Nacht hatte der junge Unternehmer nicht das Gefühl, als ob er große Probleme haben würde, sich schlafen zu legen - ganz abgesehen davon, dass er im Moment noch nicht ein Mal die dazu notwendige Freiheit hatte, sich in einer erholsamen Einsamkeit zu finden. So nickte Alfred seinem Wächter nur halbherzig zu und setzte sich schwerfällig auf das Bett. Einen kurzen Moment lang blieb er in der Pose sitzen, die Hände in seinem Schoß, die Schultern zusammengefallen, das Haupt nur mit Mühe erhoben. Mit leicht geneigtem Kopf beobachtete Alfred die Spielkarten, die durch die Finger des Soldaten glitten, doch in Wahrheit war der Blick des Chemikers leer. Die Ereignisse des Tages waren unfassbar. Seine Situation eine Katastrophe. Als Immanuel Nobel vor einigen Monaten Sankt Petersburg verlassen hatte, hatte er noch immer auf seinen Sohn Alfred eingeredet, sein erstes Glück in Stockholm zu versuchen. Die Fabrik wäre somit in der Nähe der Familie, die Handelswege ohnehin hervorragend und das schwedische Königshaus offen für die neue Welt der Industrie. Doch Alfred hatte darauf bestanden, das Angebot der Gebrüder Winkler anzunehmen. Seinem Vater erzählte er von den neuen Handelshäfen in Kiel und Hamburg, von den deutschen Akademikern und Ingenieurskünstlern. Doch insgeheim hatte sich Alfred gegen seinen Vater entschieden, dagegen, dass das notwendige Vermögen zum Aufbau seines Geschäftes einzig und allein aus der Kasse seines Vaters stammte, gegen die Genugtuung seines Vaters, ein gemeinsames Unternehmen von Vater und Sohn zu errichten, wie es seine älteren Brüder bereits mit ihren Kriegswaffen getan hatten. Insgeheim hatte er gegen seinen Vater rebelliert. Es war ganz und gar nicht verwunderlich, dass an diesem nasskalten deutschen Abend der Gedanke an seinen Vater den Sinn Alfreds kreuzte. Schließlich war es ein denkbar schlechter Start für sein Unternehmen gewesen.

Für einen flüchtigen Moment kam Alfred der Gedanke der Flucht. Noch hatte er den Vorteil, in einer Stube und nicht in einer Zelle zu sitzen. Doch schnell verwarf er ihn wieder; die Aussicht auf einen Anwalt und den Kontakt mit der schwedischen Botschaft ließen ihn schnell wieder vernünftig werden.

Alfred seufzte schwer, als er sich hinabbeugte um an den Schnürsenkeln der russischen Stiefel zu friemeln. Er musste sie weit lösen, ehe es ihm gelang, sie abzustreifen, selbst dazu fehlte ihm mittlerweile die Kraft. Mit einer vollkommen fremden Erschöpfung knetete er seinen befreiten Fuß. Ohne sich weiter zu entkleiden rutschte Alfred auf die Liege und streckte seinen müden Körper aus. Es war einer der wenigen Nächte, in denen Alfred Nobel sofort einschlief.
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Schwester Hermene

  • Beiträge: 113
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #139 am: 17.09.2011, 10:28:31 »
Mit strengem Blick nahm Hermene die Instruktionen des Soldaten hin, doch je länger er spricht, desto tiefer wurde die Furche auf ihrer Stirn. Sie als Ordensschwester mit einer handfesten und ordnungsgemäßen Ausbildung sah es als Herabwürdigung Ihrer selbst an, dass sie von einem dahergelaufenen Soldaten scheinbar über Disziplin und Etikette aufgeklärt werden sollte. Sicher, die Jungen hatten es auch nicht leicht, wenn sie auf alles Vieren durch den Schlamm oder im Zweifel durch die Gülle von Wiesen und Ackern kriechen mussten. Dennoch, sie selbst sah sich als die oberste Instanz in Sachen Disziplin und Ordnung in dieser Kutsche an - der Knabe sollte erst einmal vierunzwanzig Stunden auf einer harten Holzbank knien und Rosenkränze beten. Dies würde seiner Seele sicher nicht schaden, die von Mord und im Zweifel Sodomie verunreinigt gewesen sein könnte - ja, solcherlei Dinge hörte man immer wieder.

Als er schließlich fragte, ob jeder wisse, wie er sich zu benehmen habe, wandte sich Hermene ruckartig ab. "Impertinent!, stieß sie angewidert aus und drehte den Kopf von dem Soldaten weg. Mit eiserner Miene starrte sie auf den Braunschweiger, und auch als dieser die sieben Reiter als reine Vorsichtsmaßnahmen verkaufte, ließ sich die Schwester von ihrer Meinung nicht abbringen, dass hier etwas sehr merkwürdiges vor sich ging. 

Conrad Rosenstock

  • Beiträge: 357
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #140 am: 17.09.2011, 11:39:40 »
Conrad wunderte sich schon die ganze Zeit etwas wie die Schwester in das Bild passte. Was machte sie bei dem Treffen mit dem Herzog? Jetzt wo er Zeit hätte danach zu fragen, traute er sich nicht, weil die Schwester schon ziemlich aufgebracht erschien. Und- egal ob Schwester oder nicht- wütende Frauen waren so eine Sache; mit denen spricht man lieber nicht, außer es muss unbedingt sein. Conrad hatte keine bestimmten Fragen zur Etikette, er würde seinem Instinkt folgen und das würde bestimmt genügen. Also schwieg er nur und nickte nur. Er benutzte dann einen leeren Sack als Kopfkissen und versuchte sich etwas auszuruhen mit viel Glück auch etwas zu schlafen. Etwas Schlaf war schließlich vor dem Treffen mit dem Herzog.



Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Casus Belli
« Antwort #141 am: 19.09.2011, 21:12:53 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 10:35 Uhr - Gebäude des Kommandanten, provisorische Zelle

Alfred blinzelte in die kalte Morgensonne, es war sehr zugig und die Temperatur war gefühlt unter null Grad. Der kalte, fast schneidende Wind kam durch das offene Fenster. Kamerad Hammer stand vor dem Fenster und hielt einen Flügel in der Hand. Draußen glänzten die Hausfassaden noch mit dem letzten Regen, der vor nicht allzu langer Zeit gefallen sein musste. Es war tatsächlich kalt, denn Eisblumen hatten sich an den dünnen Scheiben gebildet. Der Atem des deutlich übermüdeten Soldaten war ein sichtbarer Hauch. "Guten Morgen, Herr Nobel. Ziehen Sie sich bitte an, in wenigen Minuten wird der Oberstwachtmeister Sie wieder begrüßen." Von Fritz war keine Spur zu sehen, wahrscheinlich hatte er schon gehen dürfen, als sich herausgestellt hatte, dass Alfred keine Flucht- sondern nur Schlafabsichten hatte.
Auf dem wackeligen Nachttisch von Alfred stand ein dampfender Tee und zwei krude belegte Scheiben Brot, einfache Jagdwurst hatte es auf sein Graubrot geschafft und so konnte Alfred sich erst einmal stärken und dann in dem angrenzenden Badezimmer etwas auffrischen.

Gerade hatte Alfred sich wieder hingesetzt, als die Tür aufging und der storchenbeinige Oberstwachtmeister sich durch die Tür schob. Seine Augenringe machten deutlich, dass er zu wenig oder gar nicht geschlafen hatte. Es schien, als hätte er Mühe, überhaupt auf den Beinen zu sein. Hinter ihm trat ein blondhaariger Mann durch die Tür, der einen sehr adretten Eindruck machte. Er war in einen feinen, dunkelblauen Zwirn gekleidet und trug einen sehr kurz gehaltenen, blonden Vollbart. Seine braunen Augen machten einen wachen und souveränen Eindruck. Er überragte den Oberstwachtmeister um ein paar Zentimeter, überließ dem Oberstwachtmeister aber den Vortritt und nickte Alfred lediglich zu.
"Guten Morgen, Herr Nobel. Ich hoffe, Sie konnten trotz der misslichen Lage die Augen schließen und ich hoffe, dass die Obergefreiten Fritz und Hammer Sie nicht weiter gestört haben." Dabei blickte van Widdendorp zu Hammer, der salutierend vor dem Fenster stand und es nach einem Nicken des Oberstwachtmeisters schloss. Ohne weitere Meldung verließ Hammer den Raum.
"Herr Nobel, in Ermangelung eines schwedischen Botschafters und Anwalts, habe ich Ihnen einen persönlichen Freund meinerseits mitgebracht. Vorstellen wird er sich gleich selbst. Entschuldigen Sie, dass ich kurz angebunden bin, aber ich muss mich mit dem Herrn Oberbürgermeister treffen und ihm davon berichten, dass Ihre Gefährten nicht zu einer persönlichen Honoration erscheinen möchten." Es klang kein Vorwurf in der Stimme mit, wohl aber eine gewisse müde Resignation, welche eher mit dem Oberbürgermeister, denn mit Alfred und den anderen Rettern zu tun hatte. Van Widdendorp nickte Alfred zu und verließ den Raum. Alfred fiel auf, dass der Oberstwachtmeister dem Anwalt kurz die Hand auf die Schulter legte. Als würde dieser eine unglaubliche Bürde zu tragen haben.

Der zweite Blick offenbarte Alfred die Kleinigkeiten an dem blonden Anwalt. Die Lederschuhe waren durchgelaufen, die Ärmel waren an den Ellenbogen fast durchgescheuert und ebenso an den Knien. Kleine Risse offenbarten, dass der feine Zwirn von innen mit Flicken belegt war. Sein blondes Haar zeigte hier und da graue Strähnen, ebenso der Bart. Sorgenfalten hatten sich tief in das Gesicht des Mannes gegraben, das Leben war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.
"Seien Sie mir gegrüßt, Herr Nobel. Mein Name ist Jens Ohlendorf.", sagte er bedacht. Er hatte eine sehr schroffe, raue Stimme, welche nach zu viel Zigaretten und Köm[1] klang. Er reichte mit einer einfachen Geste dem Schweden die Hand.
"Sie werden sich über meine Anwesenheit wundern und sich fragen, wie ich Ihnen behilflich sein kann. Das kann ich Ihnen nur bedingt beantworten. Ich bin zwar Anwalt, aber diese Dienste, da bin ich mir sicher, werden Sie nicht in Anspruch nehmen wollen, alleine aus der Sorge, dass ich mit Ihren Informationen Schindluder treibe oder nicht vertrauenswürdig bin. Das kann ich nicht in Abrede stellen, insofern, dass es mir schwer fallen wird, Ihnen etwas anderes zu beweisen, kennen wir uns doch noch nicht. Aber was ich Ihnen anbieten kann, ist einen außerregulären Kontakt zu ihren schwedischen Freunden aufzubauen. Der OWM[2] hat mir von den besonderen Umständen berichtet, und mich gebeten, mich um Sie zu kümmern."
Sein Blick bekam einen bitteren Ausdruck, den Alfred nicht ganz zuzuordnen wusste.
"Das Ganze hat natürlich einen Haken. Sie werden höchstwahrscheinlich weiter von dem Schwarzen Braunschweiger beobachtet und sagen wir so, ich und der Braunschweiger, 'kennen uns eine Weile. Ich weiß, dass sein Auftreten Probleme bedeutet. Aber das ist auch Ihre Chance. Der Haken besteht darin, dass Sie mich als Ihren regulären Anwalt akzeptieren müssten und damit keinen offiziellen Zugriff auf einen schwedischen Anwalt bekämen. Ich würde dann einen Kontakt für Sie zu einflussreichen Schweden aufbauen und wir könnten Ihre Freilassung stark beschleunigen. Sollten Sie mir nicht trauen, was ich nachvollziehen kann, können Sie auch den langen Dienstweg wählen. Allerdings kann dies einige Tage dauern und Sie lägen dann auf Eis und im Einfluss des Herzogs." Die letzten Worte klangen ungemein düster, so als wäre dies eine Bestrafung.
"Ich überlasse diese Wahl Ihnen, aber ich bin auch bereit, mit Ihnen über dieses Thema zu verhandeln, so ungewöhnlich Ihnen mein Auftreten vorkommen wird." Er überlegte einen Moment, wie er das erklären sollte und atmete kurz durch. "Darf ich rauchen?", er nestelte eine Zigarette aus einem Etui und nahm eine Streichholzpackung hervor, wartete jedoch auf die Zusage Alfreds. "Kennen Sie Himly? Er hat durch seinen Freund van Widdendorp von Ihnen gehört. Er hat den Kontakt zu mir gesucht, Himly will, dass Sie von mir besucht werden."

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 10:35 Uhr - Gut Emkendorf

Keiner äußerte das Bedürfnis, sich über Etikette und Gepflogenheit des schleswig-holsteinisches Hofes zu informieren und auch der Braunschweiger hielt sich direkt einmal zurück. Viel hätte er mit seinen Worten sowieso nicht erreichen können. Auch wenn die unsanfte Fahrt und die einfachen Säcke keinen Komfort erwarten ließen, waren alle Passagiere schnell eingeschlafen und sie schlafen sogar fast durch. Wachphasen waren maximal kurz und offenbarten Blicke in das kaltnasse holsteiner Land. Nur Donald blieb auf seinem Pferd wach und ritt den anstrengenden Weg. Es musste etwa halb elf gewesen sein und alle Passagiere waren bereits wieder erwacht, als sie eine imposante Eichenallee langfuhren, in der sogar einige der berühmten Doppeleichen[3] standen. Das Gut tauchte schon alsbald auf und verriet nur mäßigen Prunk bei diesem Wetter. Es war zwar deutlich besser aus als die Bauernhöfe im Umland und doch sah es auch nur aus wie ein größerer Prunkhof mit einem schönen Haupthaus. Sie bogen auf einen Waldweg und hatten alsbald das Gut befahren. Etwa zweihundert Meter vor dem Hof hielten die Reiter und die Kutsche an.
Der Regen war für einige Momente gewichen und zeigte die nackten Linden unter blauem Himmel und das ansehnliche Gut. Der Braunschweiger stieg aus und vertrat sich kurz die Beine.
"Entschuldigen Sie, dass wir keine Pausen gemacht haben. Sie haben alle bemerkenswert fest geschlafen und der anhaltende Regen hat uns viel Zeit gekostet. Aber Sie haben noch eine halbe Stunde, um sich wieder in ausreichende Form zu bringen. Folgen Sie mir doch bitte."
Donald war jener, der am nassesten war und er war äußerst müde. Der Schotte konnte ein Lied vom mistigen Wetter der letzten Nacht singen. Der Braunschweiger hingegen ging mit forschem Schritt vor und sie betraten das Gutshaus, um schnell in einen Waschsaal geführt zu werden, der mit feinem Porzellan ausstaffiert war. Der Schwester zeigte er ein eigenes Waschzimmer, welche direkt gegenüberlag.
"Ich hole Sie alle in einer Viertelstunde wieder ab und werde letzte Instruktionen geben.", dann verschwand der Braunschweiger durch eine Doppeltür und suchte scheinbar den Herzog. Auch der Braunschweiger hatte eine Wäsche nötig, vielleicht suchte er auch ein eigenes Bad. Auf jeden Fall konnten alle nochmal durchatmen und sich auf die Begegnung mit dem Herzog vorbereiten. Dennoch gab es auch etwas wundersames, denn sie begegneten keiner Person in und auf dem Gut. Durch die Fenster des Haupthauses konnte man die Reiter im Hof sehen, aber sonst schien es so, als wäre in diesem Gut kein Mensch zugegen, auch wenn es einen gepflegten Eindruck machte. Ein komisches Gefühl machte sich breit...
 1. Köm
 2. Abkürzung für Oberstwachtmeister
 3. Doppeleiche
« Letzte Änderung: 19.09.2011, 21:34:10 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Alfred Nobel

  • Beiträge: 396
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #142 am: 20.09.2011, 23:41:28 »
"Am Fenser bitte, ich vertrage den Rauch nicht," sprach Alfred mit einem schrecklichen Kratzen in der Kehle, ehe sich sein Gegenüber die Zigarette anzündete. Die letzte Nacht zollte noch immer ihren Tribut, Alfreds Stimme war kehlig und heiser, zu viele Worte hatte er spät nachts noch verloren. Als der Oberwachtmeister mit dem Anwalt das Zimmer betreten hatten, war Alfred der Höflichkeit gemäß aufgestanden, doch selbst dabei krampften seine Beine noch im Muskelkater des gestrigen Spurts. So saß er jetzt auf einem der beiden Stühle zu dem Tisch und beobachtete den vermeintlichen Anwalt beim Rauchen.

"Auch wenn ich froh darum bin, dass es Herrn van Widdendorp gelungen ist, mir so kurzfristig einen Anwalt zur Seite zu stellen, muss ich zugeben, dass Sie sich sehr unverständlich geben, Herr Ohlendorf." Mit einer Mischung aus Bedauern und leichtem Vorwurf, als würde er einem Schüler begegnen, der sich an die Lektion der letzten Stunde nicht erinnern könnte, schaute Alfred sein Gegenüber an.

"Sie stellen sich als Anwalt vor, doch nehmen an, ich würde Sie als solchen nicht gebrauchen können. Sie bieten mir an, den Zugang zu meinen schwedischen Kontakten zu knüpfen, vermitteln mir aber ebenfalls, dass ich keinen schwedischen Anwalt nehmen können werde. Bitte verzeihen Sie, wenn ich Sie falsch verstehe, aber für mich klingt es, dass mit ihrer Anstellung ganz ohne Anwalt dastehe."

Aufrichtig verwirrt zieht Alfred die Augenbrauen hoch und fixiert Ohlendorf. So ganz schlau wird er aus seinem Gegenüber nicht. Dass der Anwalt selbst den Vertrauenskonflikt anspricht spricht immerhin für sein Verständnis der Situation, er mag nicht das erste Mal einem skeptischen Mandanten gegenüberstehen. Aber ob die Schlüsse des Anwalts nicht zu voreilig sind ist eine Frage, die Alfred nicht einschätzen kann.

"Verzeihen Sie, Herr Ohlendorf," fährt Alfred beschwichtigend fort, und greift sich an die Stirn. "Ich möchte Ihnen weder forsch noch respektlos begegnen, doch die Lage in der ich stecke - sagen wir, sie war für mich so nicht abzusehen."

Mit einem Räuspern fasste sich Alfred wieder. Kurz blieb es still zwischen beiden Männern, während der Unternehmer überlegte. Die Schwierigkeit der Situation wurde ihm immer klarer - und schließlich war Emil auch noch irgendwo da draußen. Geschäftsmännisch begann Alfred wieder zu sprechen.

"Angesichts meiner Optionen wäre es in jeglicher Weise unbedacht, Ihr Angebot abzulehnen. Aber ich verlange festzuhalten, dass wir unser Verhältnis klar verstehen - ich möchte nicht, dass Sie als lediglicher Kontaktmann nach außen für mich arbeiten. Ich weiß nicht abzuschätzen, wie lange meine Haft andauernd wird, ich habe keine Kenntnis über den Rechtsweg, der mir bevorsteht und ich kann keine Entscheidung abwägen, wenn ich ihre Konsequenzen nicht deuten kann. Wenn Wachtmeister van Widdendorp Sie empfiehlt, sind sie als hiesiger Anwalt für diese Aufgaben wesentlich besser geeignet als einer meiner Landsmänner. Ich habe in dieser Angelegenheit wenig Wahl. Wenn ich Sie ablehne, wird ein nächster Anwalt kommen, den ich nicht kenne und mistrauen kann, so lange, bis in eine unabsehbaren Zukunft Hilfe aus Schweden eintrifft. Die Wahl liegt viel eher bei Ihnen, Herr Ohlendorf. Ich weiß es sehr wertzuschätzen, dass Professor Himly Sie nach mir schickt, aber erst sofern Sie einwilligen, werde ich Ihre Dienste als rechtlicher Berater und Anwalt in Anspruch nehmen."
But I have learned to study Nature’s book
And comprehend its pages, and extract
From their deep love a solace for my grief.

 - A Riddle, 1851

Schwester Hermene

  • Beiträge: 113
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #143 am: 21.09.2011, 11:45:57 »
Die Schwester nahm die restlichen Worte des Braunschweigers kommentarlos hin. Sie war keine jener überquirligen Frauen, denen der Kragen schon in den frühen Morgenstunden nach allerlei Plaudereien stand. Überhaupt tat ihr von der unbequemen Schlafweise der Rücken weh, jedoch ließ sie sich diesen Umstand natürlich nicht anmerken. Sie war schließlich kein Schwächling, sondern eine disziplinierte Dienerin Gottes, und wenn der Herr ihr an jenem Morgen Schmerzen schenkte, so hatte sie dies hinzunehmen.

Insgeheim machte sich Hermene Gedanken darüber, ob sie nicht doch hätte auf die Verhaltensweisen und Gepflogenheiten in adligen Kreisen zurückkommen hätte sollen. Allerdings sah sie es nicht ein, einem irdischen Adligen in besonderer Weise gegenüberzutreten. Sicherlich sollte sie mit solcherlei Personen nicht so umspringen, wie mit den Studenten beispielsweise, allerdings war sie es doch, der besondere Höflichkeit gebührte, war sie doch eine Ordensschwester, die ihr Leben in Gottes Auftrag führte. Sie machte sich also kurz Gedanken, wie sie dem Herzog gegenübertreten sollte, während sie auf das Gut zuliefen - und kam dabei zu keinem vernünftigen Schluss.

Sie bedankte sich bei dem Braunschweiger für die kurze Einführung in ihr Zimmer und bestätigte ihm, dass die vorgeschlagene Zeit ihr angemessen erschien. Sie ging ins Bad und betrachtete sich lange Zeit im Spiegel. Sie war glücklich darüber, ein eigenes Bad zu haben. Männer schwitzten und stanken, ein Zeichen ihrer irdischen Unterlegenheit gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Hermene verachtete den penetranten Geruch, den manche Kerle verströmten, vollgepumpt mit animalischen Duftstoffen, zur Balz und Begattung ausgelegt. Ekelerregend. Sie selbst achtete auf peinliche körperliche Hygiene, um nicht wie eine räudige Hündin zu riechen. Sie streifte sich ihre Kutten ab, griff nach den Waschutensilien und begann, sich mit verbissener Gründlichkeit sauber zu schrubben.
« Letzte Änderung: 21.09.2011, 12:08:03 von Schwester Hermene »

Donald Munro

  • Beiträge: 113
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #144 am: 21.09.2011, 12:59:42 »
Donald ritt mürrisch hinterher. Dabei beobachtete er die Eigenheiten der einzelnen "Begleiter". Die ganze Situation war verquer und er mußte damit zurecht kommen. Das Wetter war hundsmiserabel und seine Kleider tropften. Er war froh, dass er sich im Waschsaal frisch machen konnte und hoffte, dass seine Sachen notdürftig trocken wurden. Mit dem Schmutz wusch er seinen Frust ab und dann begann er ein wenig zu meditieren. Dabei rief er seinen Begleiter und er nahm ihn in sich auf. Donalds Muskeln schienen jetzt stärker zu sein, seine Haut zäher.

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Casus Belli
« Antwort #145 am: 25.09.2011, 21:14:06 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 10:42 Uhr - Gebäude des Kommandanten, provisorische Zelle

Ohlendorf kam der Bitte des Chemikers nach und stellte sich ans Fenster, öffnete es und drehte dem Schweden den Rücken halb zu, damit er nicht in die Richtung Alfreds ausatmete. Die Zigarette war nicht mehr im besten Zustand, das Papier hatte kleine Risse und sie schien bereits angezündet und anderweitig unsanft behandelt worden zu sein. Er zündete sie erst an, nachdem der Schwede zuende gesprochen hatte. "Orientalische Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze, Dresden[1].", erklärte Jens Ohlendorf nach dem ersten Zug und atmete in die kalte Morgenluft aus. Er harte ein hartes Gesichtsprofil, unter dem Anzug deutete sich ein kleiner Bauch an. "Ein Freund von mir arbeitet dort und hat mir vor drei Jahren, nachdem sie dort die erste Zigarettenfabrik eröffnet haben, das erste Mal dieses Teufelszeug geschenkt und es seitdem nicht gelassen, mich hin und wieder zu versorgen. Wenn man es als Genussmittel nutzt, ist es ganz in Ordnung, am besten nach Speisen. Man ärgert sich am nächsten Morgen nur immer über den Nachgeschmack." Er nahm einen tiefen Zug und atmete wieder aus. "Das erste Mal habe ich in Frankreich eine Zigarette geraucht. Ich habe am Ende des Krimkrieges[2] in Combourg[3], in der Bretagne, als Anwalt gearbeitet. Dort bin ich auf Drängen eines Freundes gelandet und habe versehrten Soldaten, die aus dem Krieg wiederkamen, ein Auskommen erstritten." Seine Zigarette war seine Überleitung, um ins Thema zu kommen. Er blickte Alfred hin und wieder aus dem Augenwinkel an, blickte ansonsten auf den Rauch in der Kälte.
"Ich habe in jener Zeit gelernt, dass es unterschiedliche Vorgehensweisen gibt, wenn man mit öffentlichen Behörden umgeht. Manchmal muss man seine Anwaltslizenz in der Schublade lassen und offizielle Wege meiden, wenn man Zeit gewinnen möchte. Ich habe an französischen Behörden vorbei mit sardinischen[4] Anwälten und Diplomaten zusammengearbeitet, um Druck aufzubauen und die Chancen der Versehrten zu erhöhen. Viele dieser Invaliden haben mir ebenfalls nicht getraut. Erst die Zeit kann Vertrauen aufbauen und dementsprechend verstehe ich Ihre Sorge, Herr Nobel. Wie bei den versehrten Soldaten sind Ihre Sorgen existentiell. Sie wollen eigentlich eine Rückversicherung, an der Sie sich festhalten können, wenn Ihr Urteilsvermögen Sie trügt. Sie tun dennoch das Richtige. Der schwedische Botschafter kann mehr für Sie tun, wenn Sie seinen Anwalt nicht offiziell in Anspruch nehmen."
Er warf die Zigarette achtlos aus dem Fenster und ließ eine Pfütze das Löschen der Glut übernehmen. Er holte einen Schreibstift und ein Tintenfässchen hervor und kramte ein Papier hervor. Im Gegensatz zu allen anderen Dingen, die an Jens Ohlendorf zu sehen waren, zeigten die Gegenstände einen hervorragenden Zustand. Das Schriftstück war nichts mehr als die Bestätigung, dass Alfred Nobel um rechtlichen Beistand durch Jens Ohlendorf bat und dieser das Mandat akzeptierte. Der Mann war auf Eventualitäten vorbereitet.

"Machen Sie sich keine Gedanken, wegen meiner Bezahlung und dergleichen. Das hat der Professor Himly bereits für Sie übernommen.", bemerkte er und schloss das Fenster wieder, welches er bei der Übergabe des Schriftstückes offen gelassen hatte. "Ich werde Sie in Kontakt bringen mit Oscar Hergren. Er wird mit Ihnen den rechtlichen Teil besprechen, wie gesagt, Sie werden meine juristischen Fähigkeiten kaum in Anspruch nehmen wollen. Vorerst werde ich Sie verlegen lassen. Sie werden auf der Ostseite, in Gaarden[5], untergebracht werden in der Wohnung einer alten Freundin von mir. Sie werden die Wohnung für sich haben, Herr Nobel, die gute Dame liegt nämlich im Altenstift." Er nestelte einen alten Kupferschlüssel aus seinem Sakko und drückte ihn Alfred in die Hand. "Damit können Sie den Tresor öffnen. Er ist hinter einem Bild vom Alten Fritz verborgen. Dort habe ich bereits ein Schriftstück deponiert, welches Sie brennend interessieren wird."
Ohlendorf setzte sich an den Tisch und blickte auf die Spielkarten, welche die beiden Obergefreiten vergessen hatten. "Spielen Sie? Wenn nicht, sollten Sie vielleicht damit beginnen, um Zeit zu überbrücken. Sie werden nämlich unter Hausarrest gestellt werden und werden die Wohnung nicht verlassen können. Wie Sie dennoch Kontakt zur Außenwelt halten, wird Ihnen das Schriftstück verraten. Falls Sie sich fragen, warum ich Ihnen das so nicht sage, dann antworte ich Ihnen ehrlich. Ich habe das Schriftstück nicht wirklich gelesen und mir die Funktionen, die dort angegeben sind, nicht gemerkt. Herr Himly hat Ihnen dieses zukommen lassen. Sobald Sie dann verlegt sind, werde ich Ihnen die Details zukommen lassen bezüglich unserer Zusammenarbeit. Meine Kanzlei wird das Schriftstück gegenzeichnen und dem Oberbürgermeister mit einem Dringlichkeitsgesuch vorlegen lassen. Sodass offiziell unsere Zusammenarbeit in drei Tagen spätestens beginnen wird. Bis dahin werden Sie schon längst Kontakt zu Oscar Hergren aufgebaut haben, keine Sorge. Mit ihm werden Sie auch Ihre schriftliche Niederlegung Ihres Wissens bezüglich Ihrer Anklage niederschreiben. Ich werde sicherlich darüber informiert, aber diese Details brauchen Sie nicht mit mir klären, falls es Sie beruhigt."
Während er sprach, mischte die Karten und legte sie dann, ohne sie auch nur weiter anzublicken wieder hin.
"Irgendwelche Fragen bis hierhin? Wenn nicht, können wir gerne alsbald aufbrechen. Ihre Verlegung habe ich beim OWM bekanntgegeben. Da die ordinären Gefängnisse ungern diplomatisch-pikante Gäste aufnehmen, wird der Bürgermeister ihre Verlegung sicher bestätigen. Haben Sie irgendwo in der Stadt noch Besitztümer, die Ihnen gehören? Ich habe mir erlaubt, Ihren Status so zu bearbeiten, dass die schwedische Botschaft sich zumindest formell ihres Falles annehmen muss, weshalb Sie dieses Sonderrecht in Anspruch nehmen können. Ich werde Ihre Gegenstände also gegebenfalls in Ihre neue Wohnung bringen lassen. Die letzte Frage dürfte Ihren Bruder betreffen. Doktor Kern und der OWM sind noch gegen eine Verlegung Ihres Bruders, zudem schien er nicht angetan von meinem Besuch. Das werden wir auch noch regeln müssen."
Er hatte Hände, die nicht nur die Schreibfeder gewohnt waren, das sah Alfred deutlich, während Ohlendorf den Schweden anblickte.

6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:00 Uhr - Gut Emkendorf

Man war schweigsam an diesem Morgen, der sich kalt und sonnig präsentierte, nachdem sich der Regen verzogen hatte. Das Haus war relativ warm, aber von molliger Wärme konnte man nicht sprechen. Vielleicht würde es in der Stube des Herzogs wärmer sein. Nachdem alle sich etwas frisch gemacht hatten, kam der Braunschweiger mit zackigem Schritt nach etwa einer Viertelstunde wieder. Auch er hatte sich wieder ordentlich hergerichtet und erschien adrett wie eh und je. Er sah auf die wartenden Menschen vor den Bädern und nickte zufrieden, als er sah, dass alle sich gewaschen hatten.
"Der Herzog wartet in seinem Arbeitszimmer auf die Damen und Herren.", sagte er und man hörte, dass auch in der Stimme des Braunschweiger etwas Müdigkeit lag. Das Wasser konnte die Müdigkeit nicht ganz wegwaschen und so erging es allen. Der Schlaf in einer Kutsche war eben nicht mit dem Schlaf in einem Federbett zu vergleichen. Und so gingen die Begleiter des Braunschweigers diesem hinterher und wurden durch eine Bildergalerie geführt, auf der bedeutende Persönlichkeiten zu sehen waren. Es waren sorgfältig angefertigte und äußerst hochwertige Bilder, welche bedeutende Literaten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts darstellten. Unter anderem Heinrich Christian Boie, Johann Caspar Lavater, Matthias Claudius und Friedrich Gottlieb Klopstock, aber auch der französische General La Fayette. "Das war der sogenannte Emkendorfer Kreis[6]. Dieser Ort ist auch als das Weimar des Nordens bekannt.", erklärte der Major nur beiläufig, während sie an den Porträts vorbeischritten. Die Porträts waren hin und wieder unterbrochen in ihrer Komposition, weil eine Tür aus dem Gang wegführte. Auf der Hälfte des Ganges blieben sie an einer Tür stehen. Die Tür war wie alle anderen Türen des Ganges aus einem dunklen Holz, welches sehr gut aufbereitet worden war, aber in seinem Schmuck so spartanisch wie das restliche Gut.
"Seine Durchlaucht wartet hinter dieser Tür.", murmelte der Braunschweiger und klopfte an. Ein kräftiges Herein bat die Besucher in den Raum zu kommen. Der Braunschweiger öffnete die Tür und sie traten ein.

Der Raum präsentierte sich sehr dunkel. Mit Vorhängen hatte der Herzog die Sonne ausgesperrt, welche sich nur an den Rändern der schweren, dunkelgrünen Brokatvorhängen abzeichnete. Während das restliche Haus spartanisch und leergefegt wirkte, war es hier ungeordnet und stickig. Zwei große Kerzen brannten auf einem alten, schweren Holzschreibtisch, auf dem Berge von Papieren und Büchern lagen. Der Raum war zwar groß genug, dass alle Platz in dem Raum fanden, aber sie mussten sehr nah beieinander stehen, da auch auf dem Boden Bücher über Bücher, Aufzeichnungen über Aufzeichnungen lagen. Vor dem rechten Vorhang stapelten sich zerknüllte Papiere und leere Tintenfässchen, es roch nach altem und kaltem Rauch. Der ehemals schöne, braune Teppich war inzwischen ausgetreten. Dieses Zimmer wurde häufig frequentiert. Zwischem dem spärlichen Licht saß am anderen Ende des Tisches eine Person.
Dunkle Haare waren zum Teil ergraut, ein stattlicher und gepflegter Bart konnte kaum verbergen, dass er müde und ausgelaugt wirkte. Sein Rücken war nicht gerade und obwohl er stattlich zu wirken versuchte, nahm er es nicht mit seinen Porträtbildern auf, welche überall nach der Verkündung seiner Herzogswürde ausgehängt wurden. Er wirkte, obgleich er gerade erst dreiunddreißig oder vierundreißig Jahre alt sein dürfte, wie ein deutlich älterer Mann. Gram lag in seinem Antlitz und wahrscheinlich versuchte er es gar nicht ernsthaft zu verbergen.
"Durchlaucht, ich bringe Ihnen Ihre Gäste. Sie erbieten Ihre Grüße und bieten eine mögliche Unterwerfung an." Auf eine weitere Vorstellung verzichtete der Braunschweiger, weil er die Gäste in aller Ausführlichkeit angekündigt haben dürfte. So zog er sich hinter die Gäste zurück und stellte sich in die Tür.

Der Herzog ließ sich einen Moment Zeit und beendete einen Absatz des Schriftstückes, welches er gerade bearbeitete. Durch die Dunkelheit war weder der Herzog voll zu sehen, noch konnte er die Gäste in allen Einzelheiten erkennen, aber das schien ihn nicht zu stören. Er hatte eine sehr unsaubere Schrift, sodass der Inhalt seines Schriftstückes nicht ohne Weiteres zu lesen war. Er legte den Stift nieder und blickte seine Gäste kurz an, legte die Hände zusammen und stützte seine Ellenbogen auf die Tischplatte. Seufzend kaum sein Atem über die Lippen, dann griff er wieder zu seinem Stift und schrieb weiter.
"Sie haben mir Schmerzen bereitet.", begann er zaghaft, aber mit einen kräftigen Stimme, die deutlich mehr Wärme versprach, als die des Braunschweigers. "Sie haben sicherlich den Haftbefehl gelesen und Ihr Eingreifen hat für einige Verstimmungen bei mir geführt. Aber ich denke doch, das ist nichts Ernstes, dass Sie zu diesem Handeln gezwungen hat. Keine latente Abneigung gegen meine Person oder meine Politik, so hoffe ich doch. Es wäre nämlich eine Wonne gewesen mit den Herren Nobel über diese missliche Lage zu sprechen. Die Angriffe, der Austausch von vertraulichen Information und mein unsäglicher Verlust."
Er legte den Stift wieder hin und setzte sich aufrecht hin.
"Sie haben dennoch Informationen, die ich gebrauchen könnte. Doch zunächst entschuldigen Sie bitte die Umstände der Reise und die Unaufgeräumtheit meines Arbeitszimmers. Vielleicht scheint ihnen ein Thronsaal passender, wenn sie dergleiche Gedanken haben. Aber wie Sie unschwer an der Art ihrer Beförderung und der sonstigen Umstände sicherlich erkannt haben, befinden wir uns in einer Phase, in der Zeit die nützlichste aber auch rarste Ressource ist. Dementsprechend möchte ich alles Zeremonielle von der Agenda unser Zusammenkunft streichen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Dennoch habe ich eine fast schon protokollarische Bitte." Er setzte jetzt ein kleines Spekuliereisen auf und nahm ein anderes, unbeschriebenes Papier hervor, seinen Stift wieder in die Hand.
"Stellen Sie sich vorerst vor. Dabei sagen Sie mir bitte, wie Sie heißen, wie alt Sie sind, wo Sie geboren wurden und wem Ihre Loyalität gehört." Der Braunschweiger schaute reichlich sparsam bei der merkwürdigen Bitte des Herzogs im Rücken der Gäste. "Und danach erklären Sie mir bitte, was Sie über die beiden Herren Nobel und Marius Pedersen wissen."
Der Herzog, der sich reichlich unzeremoniell zeigte, blickte seine Gäste auffordernd an.
 1. Diese Tabakfabrik war die erste Zigarettenfabrik Deutschlands. Yenidze ist nach dem Tabak benannt, die sanfste zu erwerbende Tabakvariante.
 2. Krimkrieg
 3. Combourg
 4. Königreich Sardinien
 5. Gaarden
 6. Weimar des Nordens
« Letzte Änderung: 25.09.2011, 22:48:56 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

Carl von Lütjenburg

  • Beiträge: 241
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #146 am: 29.09.2011, 22:46:02 »
Das Wasser konnte die Müdigkeit nicht ganz wegwaschen und so erging es allen. Dies galt auch für Carl, der sich immer wieder das kalte Nass ins Gesicht warf, doch sich immernoch so zerknautscht fühlte wie er gerade eben noch ausgesehen hatte. Es war eine lange und ereignisreiche Nacht die Carl durchlebt hatte und die Kutschfahrt hatte nicht dazu beigetragen, die Geschehnisse zu verdauen. Erst jetzt wo er sich notdürftig herrichtete, um den wohl ehrenvollsten Besuch seines bisherigen Lebens durchzuführen, sah er sich dazu in der Lage ein wenig nachzudenken.

Eigentlich wollte er nur ein Bier trinken gehen, nein eigentlich hatte er einen Brief schreiben wollen. Anstatt einen Brief zu schreiben hatte er also in der letzten Nacht ein Schiff gesteuert, ohne dies jemals zuvor getan zu haben und Schiffbrüchige aus brennenden Trümmerhaufen von der Förde heruntergeholt. Dies führte wiederum zur Bekanntschaft mit dem Schweden Alfred Nobel und dessen Bruder und nun sah sich Carl innerhalb merkwürdiger politischer Verstrickungen, die er nicht durchblicken konnte. "Hätte ich doch bloß den Brief geschrieben..." wünschte er sich, als er seine Kleidung ein letztes Mal richtete und sich zu seinen Begleitern begab.

Den Umständen entsprechend sah Carl bestens aus, nur die Uniform hatte ein paar Falten von der Reise davon getragen und seine Gesichtsfarbe war etwas blasser als sonst und natürlich sah die Frisur etwas verwegen aus, doch dies war ja schon beinahe Carls Markenzeichen.

Dem Braunschweiger durch das Gutshaus folgend grübelte der junge Student noch immer darüber nach ob er etwas hätte besser oder anders machen können, er hoffte sehr, dass es Herrn Nobel gut ergehen mochte. Wäre van Widdendorp nicht so plötzlich aufgetaucht hätte der Schwede nicht in dieser misslichen Lage sein müssen. Carl glaubte noch immer nicht, dass der Schwede eine Art Spion oder dergleichen war, hatte er doch selbst miterlebt wie der Mann auf die Entdeckung der Urkunde reagiert hatte, aber dennoch rief sich Carl in Bewusstsein, dass er Alfred Nobel noch vor wenigen Stunden als Verräter bezeichnet hatte und mit Waffengewalt abführen wollte - wenn auch nur vorgeblich, aber er würde dabei bleiben müssen, wenn er dem Herzog nun gegenübertreten würde. Ein Besuch voller Ehre doch Carl empfand ganz anders, ein großer Widerwillen hatte sich in ihm breitgemacht und auch eine niederschlagende Enttäuschung.

Der Anblick des Herzogs trug nur wenig dazu bei, seine Empfindungen zu revidieren. "Der Mann sieht aus, als wären seine Tage gezählt" dachte Carl bei sich als Herzog Friedrich das Wort an sie alle richtete. Der Wunsch des Herzogs nach Namen und Geburtsort und -datum erheiterte Carl zumindest ein wenig, denn es versprach zumindest die Illusion eines Spiels mit offen Karten, auch wenn der preußische Offizier es sich nun schon besser denken konnte.

"Carl Heinrich von Lütjenburg, Euer Durchlaucht." Carls Hacken knallten zackig zusammen und er verbeugte sich "Geboren am 28.12. 1837 in Lütjenburg und somit 26 Jahre alt. Als Soldat seiner Majestät gilt meine Loyalität König Wilhelm von Preußen."

Carl sah dem Herzog offen in die Augen, er war nicht hier um sich zu unterwerfen, sondern um sich zu stellen und er hatte nicht vor andere zu denunzieren.

"Über beide Personen kann ich Euch nicht viel berichten, Euer Durchlaucht. Alfred Nobel ist ein schwedischer Unternehmer, der sich in der Nähe von Kiel niederlassen möchte. Ich lernte ihn in der vergangenen Nacht kennen und hielt ihn für einen sehr freundlichen Herren, bis ich von dem Haftbefehl erfuhr, den Euer Diener mit sich führte. Da sich Nobel daraufhin mir ergab, habe ich dafür Sorge getragen, dass er in Gewahrsam genommen wurde. Emil Nobel ist durch den Beschuss der fremden Schiffe schwer verwundet und ich habe bis Dato noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Als ich ihn das letzte mal sah war er nicht bei Bewusstsein und seine Zukunft ungewiss.

Was Marius Petersen angeht, so kann ich berichten, dass er ebenso wie ich und meine Kommilitonen Mitglied in der Burschenschaft Teutonia Kiel ist und aus Leck stammt. Mehr kann ich nicht über den Mann berichten, da ich mich kaum mit ihm abgebe."
Den Streit am gestrigen Abend verschwieg Carl vorsichtshalber, immerhin hatte Marius von einem Attentat auf den Herzog geredet.

Schwester Hermene

  • Beiträge: 113
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #147 am: 30.09.2011, 18:33:04 »
Auch wenn Hermene für gewöhnlich die unerschütterliche Ordensschwester spielen mochte, war dieser Augenblick für sie doch eine neue Situation, etwas, das sie nicht mochte - sie stand immerhin einem Herzog gegenüber, und aus ihrem Geschichtsstudium wusste sie, dass Staat und Kirche nicht immer kooexistieren konnten. Nicht, dass sie fürchtete, dies könnte auch in jener Nacht der Fall werden, doch sie war sich bewusst, dass sie Vorsicht walten lassen musste im Umgang mit einem politischen Organ solchen Grades. Belehrungen und Zurechtweisungen, wie sie sie noch einen Tag früher am laufenden Band ausgesprochen hatte, wollte sie nun lieber zurücknehmen.

"Mein Name ist Schwester Hermene, Dienerin Gottes, und unserem allmächtigen Herrn gilt meine uneingeschränkte Loyalität", stellte sie sich vor - in Wirklichkeit empfand sie es als Beleidigung, nach ihrer Loyalität gefragt zu werden. Es war ein Akt der Beherrschung, dass sie dies den Herzog nicht wissen ließ. "Gebürtige Bremerin, nun wohnhaft in einer Einrichtung der Kirche", fügte sie hinzu. Ohne große Umschweife ging sie über in die nächste Frage des Herzogs - sie sah es nämlich ferner nicht ein, dem Herzog ihr Alter zu nennen, da dies nichts zur Sache tat. Sie war eine Dienerin des Herren, und jegliche irdische Eigenschaften waren für sie nichtig.

"Was Marius Pedersen angeht, so weiß ich etwas zu berichten. Nicht darüber, wer er ist oder was er tut. Er befindet sich momentan zur Behandlung in unserem Stift. Es scheint, als sei er Opfer eines verheerenden Angriffs geworden. Die Oberin kümmert sich persönlich um ihn, um seine Wunden zu lindern. Sein Zustand ist kritisch."
« Letzte Änderung: 02.10.2011, 18:07:39 von Menthir »

Conrad Rosenstock

  • Beiträge: 357
    • Profil anzeigen
Casus Belli
« Antwort #148 am: 02.10.2011, 18:43:16 »
Conrad hat die Zeit im Bad gut genutzt und sich etwas frisch gemacht. Sein Schlafplatz die letzte Nacht war zwar nicht angenehm, aber trotzdem konnte der Geschichtsstudent etwas schlafen. Nun war er mehr oder weniger ausgeruht.

Als der Herzog dann eine Vorstellung forderte, kam Conrad dem prompt nach und verbeugte sich zur Begrüßung des Herzogs und sagte: "Seid gegrüßt, werter Herzog! Mein Name ist Conrad Rosenstock, geboren am 8.4.1841 in Kiel, also 22 Jahre alt. Ich bin Student der Geschichte und meine Loyalität gilt meiner Universität, meinem Heimatland und meinem Elternhaus. Carl hat ja schon einiges über Herrn Alfred Nobel gesagt und ich kann nur noch sagen, dass ich diesen Herrn für ziemlich sympathisch hielt. Ich kann gar nicht glauben, dass an den Anschuldigungen gegen ihn tatsächlich etwas dran ist. Er machte nicht den Eindruck eines Gesetzesbrechers. Emil Nobel habe ich nicht weiter kennengelernt, sein momentaner Gesundheitszustand könnte immer noch kritisch sein. Viel mehr über ihn weiß ich ansonsten nicht zu berichten.

Marius Petersen halte ich für einen ziemlichen Schwätzer. Er hat eine große Klappe, aber da steckt meiner Meinung nach wenig dahinter. Trotzdem finde ich es schade, dass er es ihm als einer meiner Kommilitonen anscheinend im Augenblick so schlecht geht, wie die Schwester es berichtet hat."

Menthir

  • Moderator
  • Beiträge: 4052
    • Profil anzeigen
    • Enwe Karadâs
Casus Belli
« Antwort #149 am: 03.10.2011, 14:52:16 »
6. Dezember 1863 - Am Vorabend des Krieges - 11:05 Uhr - Gut Emkendorf

Karl Schreiber trat, trotz der beengten Verhältnisse einen Schritt vor. "Karl Schreiber, euer Durchlaucht. Ich bin so alt wie Carl von Lütjenburg und ein Offizier der Reserve. Ich habe für die Holsteiner Armee in Rendsburg gedient und meine Loyalität ist bei Holstein verblieben. Bei den anderen Aussagen schließe ich mich dem Herrn Rosenstock an." Dann trat er wieder einen Schritt zurück und auch Donald stellte sich ebenfalls vor. Er erwähnte, dass er inzwischen 32 Jahre verlebt hatte und er ebenfalls eine martialische Ausbildung nachgeht. In Sachen Loyalität schweigt Donald sich jedoch aus und bricht seine Aussage ab. Der Herzog strich sich über seine müden Augen und überging diese Feinheit wohlwollend, wahrscheinlich war keine Antwort ihm bereits Antwort genug. Seine Augen hatten am zufriedensten dreingeblickt, als Karl sagte, dass seine Loyalität Holstein gehöre und als Conrad sagte, dass dessen Loyalität seinem Heimatland galt. Wahrscheinlich interpretierte der Herzog dies als Schleswig-Holstein. Sein Blick war andererseits am kritischten, als Donald seine Loyalität verschwieg und Carl von seiner Loyalität zu Preußen sprach. Bei Carl schienen seine Zähne kurz zu mahlen. Er versuchte jedoch, als er bemerkte, dass die Anwesenden auch auf seine Mimik achteten, die Szenerie etwas aufzulockern.
"Sie sind am 28.12.1837 geboren und schaffen es dabei bereits 26 Jahre alt zu sein? Sie sind ein bewunderswerter Preuße, Herr von Lütjenburg.", bemerkte der Herzog beinahe schnippisch und lachte dann mit kräftiger Stimme über diesen Umstand.

Es dauerte einen Moment ehe er sich wieder gesammelt hatte und sich sogar eine kleine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Unbeabsichtigt hatte Carl dem Mann ein Lachen abringen können, doch seine Ernsthaftigkeit kehrte jäh zurück. Eine Ernsthaftigkeit, welche zum dunklen, stickigen Ambiente seines Arbeitszimmers passte. "Ich sehe, wir alle haben unterschiedliche Loyalitäten und es nicht so einfach, wie ich dachte. Von der Verantwort vor Gott bis zum preußischen König finden wir hier fast alles versammelt. Aber so ist es immer, nicht wahr? Man wäre zu schnell geneigt, schwarz und weiß aus solch einer Konstellation zu malen. Daher frage ich einmal genauer. Könnten Sie sich trotz ihrer potentiell andersgearteten Loyalitäten vorstellen, den schleswiger und den holsteinischen Freiheitskampf zu unterstützen? Ich weiß, dass Sie antworten werden, dass dies nicht mit den Interessen ihrer Patrone kollidieren darf und ich werde Ihnen nur halbwegs versprechen können, dass ich dafür sorge, dass dies nicht dazu kommt. Einen Teil davon tragen nämlich auch Sie."
Seine Finger klöpfelten auf den Schreibtisch, nacheinander und geordnet. Der Zeigefinger fing an, dann folgte der Mittelfinger und es endete nach dem Ringfinger auf dem kleinen Finger. Wieder und wieder.
"Wie fange ich am Besten an?`Sie haben von der unsäglichen Novemberverfassung gehört, nehme ich an? Nun, es ist wie..."
Scheiben barsten, im selben Moment war erst der Schall des abgegebenen Schuss zu hören. Urplötzlich fiel Licht in den Raum, als der vom Schuss durchschlagene Vorhang zur Seite weht und einen Blick auf den Hof freigab. Mitten auf dem Hof, in mehr als einhundert Metern Entfernung stand eine übergroße Person im Hof. Einzelheiten fern ab ihre Größe war kaum zu erkennen, ihre Kleidung war an die Umgebung angepasst. Nur eins fiel auf. Der Kolben des Gewehrs war schneeweiß und stach deutlich vor der Brust des menschenähnlichen Wesens hervor. Sie war ansonsten von oben bis unten vermummt, sodass wirklich nichts außer der Körpergestalt auf die Art des Wesens schließen ließ.
Der Herzog warf sich zu Boden und ebenso tat es der Schwarze Braunschweiger, beide waren nicht getroffen worden. Erst jetzt fielen die gurgelnden Geräusche auf, welche Karl Schreiber von sich gab. "Verdammte Attentäter, verdammte Kultur des feigen Angriffes!", polterte der Herzog, während er durch die Scherben seines Fensters kroch, um nicht im Sichtfenster des Attentäters zu sein, der sein eigentliches Ziel nur um Zentimeter verfehlt hatte. Karl röchelte, Blut quoll zwischen seinen Händen hervor, die er auf seinen Hals gepresst hatte. Kraftlos und mit Furcht in den Augen ging er zu Boden, hilflos schaute er zu Conrad und griff mit einer Hand an dem Ärmel des Mannes, doch sein Griff war zu schwach. Nur Blut unterließ er an der Seite Conrads, ehe er vornüber kippte. Der merkwürdige Mann legte derweil wieder seine Waffe an und zielte auf die Gäste des Herzogs. Von den Männern des Braunschweigers gab es keine Spur.

Die Frage nach der Loyalität stellte sich genau in diesem Moment, aber auf eine andere Weise, als der Herzog erwartet hatte. Wie würden die Gäste reagieren? Würden sie den Herzog schützen oder waren sie heimliche Sympathisanten mit Marius Pedersens Ideen? Zumindest schien der Braunschweiger diesen Gedanken zu haben. Er hielt eine Pistole in der Hand und achtete sowohl auf die Gäste als auf den Angreifer.
« Letzte Änderung: 03.10.2011, 23:47:46 von Menthir »
"Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit." - Jean-Jacques Rousseau, Du Contrat Social

  • Drucken