Stumm war der alte Kehjistani geworden, während die Worte und Ereignisse der letzten Momente schwerbedeutend noch auf die Gefährten wirken. Es war nicht seine Absicht gewesen, als stiller Begleiter nur dazustehen, während Gelehrte und Gelernte über das bevorstehende Ende der Welt zankten, doch es gelang Sezair nicht, mehr als nur eine ernste Miene beizutragen.
Mit großen Augen hatte er die Außeinandersetzung des alten Ritters Tyrome mit den Jägerinnen und dem Greis beobachtet, den Zorn des Magiers Tariel wahrgenommen, die resignierte Entschlossenheit des Predigers Belanar gefühlt, doch zu allem nichts gesagt. Es war nicht, dass Sezair sich weigerte, seinen Teil im Ganzen zu übernemen. Es war, dass es ihm schwer fiel, die furchtvollen Worte zu verstehen. Dämonen seien es, die über das Land hereinplagten. Drei Teufel, die sich danach sehnten, das Geschenk des Herrn zu verderben. Dies vernahm der Alte innerlich als tiefes, leidvolles Gefühl. Doch was war es, das zu tun war, um den Teufeln einhalt zu gebieten? So entschlossen Sezair auch sein mochte dem Bösen einhalt zu gebieten, so sorgevoll blickte er auch darein, als er sah, dass es ihm schwer fiel, den Weg dorthin zu sehen. Siegel und Zauber, Tore und Magie waren ihm schon immer ein unverständliches Ding gewesen, doch diese Wege schienen es zu sein, die die Teufel für ihre Pfade nutzten. So fühlte sich der Alte hilflos, als verstand, dass er die Pfade der Teufel nicht zu verstehen vermochte.
Mit einem Blick voller bedachter Neugier sah Sezair Tyrome hinterher, als dieser die Männer wieder verließ, um nach Proviant zu fragen. Er suchte den kargen Hof des Lagers ab, bis sein Blick auch auf Besnell fiel, der etwas entfernt stand. Nachdenklich kratzte Sezair sich am bärtigen Kinn.
"Ich sehe so weniges, bin ein blinder alter Mann und verstehe die Welt nicht, Meister Belanar", begann der Kehjistani langsam zu sprechen, "ich fühle die Übel, die auf uns zu kommen mögen, und das Böse, das vor uns steht. Doch mein Geist ist rein, es ist der Herr, der meine Sorgen verdrängt. Aber ich bin auch ein dummer Mann," fuhr er fort, und sprach die Worte wie eine Feststellung aus, als redete er über seinen Namen oder die Länge seines Bartes, "und mein Schöpfer verweigerte mir einen scharfen Verstand, wie Ihr, Meister Belanar, oder auch die Meister Wolfhard, Tyrome und Besnell, damit gesegnet seid."
Mit seinen dunklen Augen sah der alte Kehjistani nun zu dem Ritter in der Knochenrüstung hinauf. Die Stimme klang nicht im Selbstmitleid oder Reue, vielmehr war es Bewunderung, die die schwarzbraune Iris Sezairs reflektierte.
"Ich folge den Wegen meines Herrn, weil es mein Herz erfüllt, und mein Verstand es nicht besser weiß. Es mag mein Verderben sein, in das ich mich stürze, doch ich kann nicht zweifeln, dies verstehe ich nicht. Aber seht Euch den Mann an, dessen Verstand Felsen bewegt, die Welt zerrüttet und die Schönheit der Schöpfung des Herrn in ihrer Ganzheit durchsieht. Ist es nicht so, dass es der Kluge seinen Weg gerne sehen mag, bevor er ihn antritt? Dass er fragt und verstehen will, anstatt es dem Narren gleich zu tun und sein Leben in die Hände eines anderen legt? Ich kann mir nicht denken, welche Fragen und Zweifel den Verstand des armen Meister Tariel plagen. Doch wenn ich nur fühlen kann, wie das Böse unser Alles bedroht, und es sticht mir in mein altes Herz, dann muss der Schmerz in den Gedanken des Gelehrten, der die Dinge versteht, unermesslich sein."
Für einen kurzen Moment schwieg der Kehjistani. Er erwartete keine Antwort von Belanar, doch er hatte das Gefühl, dass dem gleichzeitig frommen und gelehrten Priester ähnliche Gedanken in den Sinn gekommen sein könnten. Wie um sich selbst Mut zuzusprechen nickte Sezair mit einer sanften, ruhigen Geste, klammerte sich einen Stab, und ließ Belanar mit seinem Gedanken alleine. Schwerfällig bewegte er sich auf den Magier zu, bis er schließlich im Schatten des Golem stand. Mit hochgezogenen Augenbrauen reckte der Alte den Kopf in die Höhe, um dem Golem in das blanke Gesicht zu schauen. Vorsichtig klopfte er mit seiner Stabspitze gegen den Fuß des Felsen, und schien überrascht, als das Klacken von Holz auf Stein hörte. Erst nach einem Moment der Stille, begann er zu sprechen.
"Sprich, Stein," sagte Sezair fordernd aber vorsichtig, "Du bist am Fuß eines Felsen gelegen, der Wind war Dein Begleiter über die Zeiten und der Regen hat Dich geformt. Und nun bist Du auferstanden, hast Dich von Deinem Berg gelöst, nach all der Zeit. Ist es der Prophet, den Du suchst? Ist Dein Stein Dein Fleisch und Blut, oder bist Du nur Sand? Sprich, Stein!"