"Nutzt ihn ruhig, Wolfhard. Euer Auge und euer Gespür waren mehr als wichtig für uns. Es bedurfte schon eines Geistes, um eure stillschweigenden und doch entscheidenden Taten ausreichend zu würdigen. Das sollte uns eigentlich beschämen.", sagte Tyrome selbstkritisch und streng, nachdem er sich wieder erhoben hatte. Und seine Worte kamen nicht von ungefähr, hatte der Geist auch dem Ritter etwas gezeigt oder dieser Trank war es. Tyrome konnte dieses Geschenk gar nicht beschreiben, aber es war als...hätte er Grenzen eingerissen und den Geist erweitert. Tyrome war verwirrt und zufrieden zugleich. Ihm wäre beinahe danach gewesen, über seine mysteriöse Kraft die Gestalt getöteter Wesen anzunehmen, zu sprechen, denn ihm kam eine Erkenntnis. Er konnte die Macht des Wolfes nicht nur nutzen, um ein Wolf zu werden, er konnte sie auch nutzen, um sich in seiner jetzigen Gestalt zu stärken. "War meine Hülle doch nicht zu schwach? Welche Geheimnisse hast du noch für diesen alten Mann, Herr. Du hälst deine schützende Hand wie ein Schild vor mich und bewahrst mich vor falschem Zweifel und unbegründeter Angst!" Tyrome blickte auf seinen Rucksack und ließ Tyrant kurz laufen. Als er Tyrants Vater, das Alphatier des Wolfsrudels erschlagen hatte, spürte der ehemalige Ritter die Veränderung. Jenes, was seine Brüder und Schwester in der Wildnis schon immer prophezeit hatten. Er war nicht alleine ein Kind des Krieges der Kirchen und jener, die sich zivilisiert erachteten. Auch das wilde Blut der Natur floß in ihm und immer mehr entschlüsselte er davon. Tyrant jiffelte kurz und leckte Tyromes rechte Hand, bevor er sich von ihr streicheln ließ. Tyrant hatte Tyrome immer so behandelt, als wäre Tyrome der Vater und das Alphatier.
Tyrome nickte Wolfhard zu. "Vielen Dank für eure wachsamen Augen und Ohren. Wir werden sie nun mehr denn je brauchen. Und doch habe ich eine Bitte an euch. Wenn ihr den Bogen nutzt, könnte ich für die Zeit in diesem Kloster euren alten Bogen nutzen?" Tyrome blickte auf seine artifzielle Hand. Er beherrschte sie inzwischen so gut, dass er es wagen würde nach all diesen Jahren wieder einen Bogen anzufassen. Stets hatte er sie nur für den Schildarm genutzt, doch mit jedem Kampf gewann er Gewissheit über ihren Nutzen, wie in den Tagen, in denen er noch mit Hammer und Schwert kämpfte, bevor die Krankheit ihm die Schwurfinger nahm. Aber der erste Kampf mit dem Golem, er zeigte Tyrome auch, dass ihm gar nichts anderes blieb. Trotz seiner Worte verlor Rhistles Gesicht nichts von seiner Strenge, auch wenn sie wohl vor allem sich selbst galt.
"Vielleicht ist sie so ein Wesen, Junge." Tyrome blickte nun zu Wirt. "Aber sie wird uns auf andere Art verführen wollen, nicht mit plumper Fleischeslust. Sie liest deine Sorgen und deine Nöte und verführt dich anhand deiner Verzweiflung. Wir sind hier um einen Durchgang zu finden, unsere Herzen werden keinen Beischlaf begehren in diesem Moment, also wird sie uns nicht zu dieser Art der Sünde verführen. Gleichwohl wird sie sich an unserem Leid, einen Weg finden zu müssen, ergötzen und dieses Wegfinden wird ihr Ansatz sein, uns zu quälen. Sie wird sich uns in den Weg stellen und in jenem Moment, in dem unser Kampf aussichtslos scheinen mag, wird sie uns zur Sünde führen wollen, damit wir aus Verzweiflung nicht körperlich, sondern seelisch vor ihr fallen. Das ist das Wesen der Herrin des Schmerzes." Doch Tyromes Stimme wurde noch etwas dunkler und belehrender. Er hoffte, dass Sezair seine nächsten Worte gesprochen hätte, denn dann hätten sie herzlich und schützend gewirkt und nicht so belehrend und grantelnd. "Jeder von uns hat andere Sorgen, andere Nöte, die in unserem Geist sind, obgleich wir wissen, dass wir uns nur auf diese Aufgabe konzentrieren sollten. Doch keiner vergisst die Sorgen, die vorher an seinem Geist und seinem Herz zehrten, selbst jetzt nicht. Wir müssen einander schützen, nicht alleine mit Schild und Schwert, sondern mit Wort und Vertrauen. Verschließt euer Herz vor euren Sorgen, nur für einen Tag, verschließt euren Geist vor euren Nöten, nur für einen Tag, auf dass Andariels Hass unsere seelischen Häfen nicht überflutet."
Tyrome band sich seinen Schild wieder um. "Wir sind alle müde und erschöpft, aber es gibt keinen anderen Weg und keine Rast an diesem Ort der Verderbtheit. Rüstet euch und dann ziehen wir weiter."