Während seine Feder langsam über den groben Stoff kratzt und Strich für Strich die Worte der heiligen Merksätze auf die Verbände bringt, erzählt Noah seinem Begleiter mit leisen, bemessenen Worten von seiner Vergangenheit:
"Reth. Meine Heimat. Eine Paradieswelt, die im Überfluss schwelgt. Berühmt für die unendlichen Weiten seiner azurblauen Ozeane, paradiesischen Naturkulissen auf der gesamten Planetenoberfläche, seine lapislazulifarbenen Sonnenuntergänge. In den grünen Hainstädten residieren Adelsfamilien, Händler und Politiker aus dem gesamten Quadranten. Der Planet lebt von seiner Schönheit und dem Reichtum seiner zugezogenen Einwohner, die sich in den martialischen Arenen der Handelsclans pompöse Logen bauen und auf das Volk herabschauen, das einen frenetischen Freudentanz aufführt und ein Chor von tausenden und tausenden heiseren Kehlen die Namen der Gladiatoren schmettern, sodass die gesamte Arena erzittert.
HECTOR! HECTOR! dröhnte es dumpf durch die Katakomben des Bauwerkes, wo ich als Sohn der Staubdienerschaft arbeitete. Meine Eltern sind angesehene Bürger. Es ist ein Previleg, in der Arena dienen zu dürfen und wenngleich ganze Scharen in den Gängen und Hallen unter den mächtigen Tribünen ihren Beitrag zum Spektakel leisten, so wird nur den wenigsten Familien die Honoration zuteil, mit einem Vertrag, der die aktuelle und die folgenden Generationen des Geschlechts an das Schicksal der Arena bindet, in die Reihen der Staubdienerschaft aufgenommen zu werden.
Hector war auch einst Staubdiener. Und so wie ich sorgte er für die Sauberkeit der Gladiatorengemächer und die Verpflegung der Kämpfer. Doch er entschloss sich, einen anderen Weg zu gehen. Wenn eine Familie mehrere Nachkommen in die Dienerschaft einbringt, so steht es einzelnen Kindern frei, die Arena zu verlassen. Um dennoch einen Beitrag zum Ruhme der Institution zu leisten, gilt es, sich mit einer Teilnahme an den Arenakämpfen zu verabschieden. Hector schlug sich im wahrsten Sinne des Wortes gut und nach einem halben Jahr im blutigen Sand wurde er entlassen und verließ den Planeten.
Mein Weg sah anders aus. Regelmäßig nahmen Frauen äußerst erfolgreich an den Kämpfen teil, was unsere Arena zu etwas besonderem machte. Dahinter steckte der einflussreiche Konsul Glambus, der gute Verbindungen zur Ekklesiarchie und den Handelsclans unerhielt, vielversprechende Frauen aus dem gesamten Quadranten gegen Lohn ausbildete und in der Arena antreten ließ. Ich wusste damals nicht, wie viel er den Kämpferinnen zahlte oder ob er sie auf andere Weise unter Druck setzte. Sie waren sehr schweigsam und darauf bedacht, nichts über ihre Motivation preis zu geben. Eines Tages sollte ich den Grund für dieser Verschwiegenheit erfahren, doch dazu später mehr...
Jedenfalls nutzte ich, wie viele der jungen Staubdiener, die Zeit in den Katakomben, um selbst den Umgang mit dem Schwert zu üben. Es fanden sich immer wieder Gladiatoren oder handelsfreudige Aufseher, die gegen kleinere Aufmerksamkeiten oder Bevorzugungen einen Übungskampf einrichteten oder mich an ihrem Training teilnehmen ließen. Und ich schätze ohne diese Übung wäre ich heute nicht mehr am Leben. Doch mein lehrreichster Mentor war ironischerweise eine der Aufseherinnen von Glambus. Sie war es, die mir Zugang zu den Hallen ihrer Schützlinge verschaffte und mir die Gelegenheit gab, die Gladiatorinnen zu beobachten...."
Sorgsam legt Noah die Schreibfeder auf die Seite, nimmt eine Schere zur Hand und schneidet den nächsten Streifen des Verbandes zurecht. Die soeben beschriebene Bahn legt er über die Rückenlehne eines Stuhls, der neben ihm und Zaddion steht.
Dann greift er erneut zur Feder, taucht sie vorsichtig in das Tintenglas und besinnt sich auf den nächsten Merksatz: Ich diene dem Gottkaiser. Auch in Zeiten des Leids werde ich meine Pflicht erfüllen und kein Schmerz, kein Gram werden mich von meinem Wege abbringen.
Dann setzt er behutsam die Feder auf den frischen Stoff und setzt seine akribische Arbeit fort.
"Wo war ich noch gleich... Achja, bei den Gladiatorinnen. Die Aufseherin, von der ich sprach, hieß Alanea Norting. Eine Fremdweltlerin und trotz ihres rauhen Arbeitsumfeldes sehr kultiviert. Jedenfalls schien sie meine Gesellschaft und meine religiöse Bildung - ich besuchte den Unterricht von Vater Barloff - sehr zu schätzen und wir konnten uns angeregt zu Themen des Glaubens unterhalten. Es ist keineswegs so, dass sich zwischen uns etwas wie eine Liebelei entwickelte, ich würde mich nicht einmal dazu aufschwingen, von einer Freundschaft zu sprechen... Aber für mich war die Zeit mit Alanea äußerst wertvoll und... ja: inspirierend. Unsere Bekannschaft hielt über die Jahre und wir trafen uns auch noch in den Katakomben, als ich schon mein Studium an der Novizenschule begonnen hatte. Und Alanea verriet mir auch eines Tages - unter zugegebenermaßen besonderen Umständen, das Geheimnis der Gladiatorinnen. Und zwar handelte es sich bei dieser Gruppe um eine sehr durchmischte Riege. Doch wurden sie nach besonderen Kriterien ausgewählt und der eigentliche Zweck ihrer Teilnahme an den Arenakämpfen war nicht das Wettgeschäft oder der Ruhm ihres Förderers. Ich staunte nicht schlecht, als ich erfuhr..." Mit einem Mal hält Noah inne, als er den brenzligen Geruch wahrnimmt. Als er aufblickt, erkennt er, dass auch Zaddion aufmerksam geworden ist.
Noah steht auf und geht zur Tür, doch dann ertönt der Schuss. Claudio, dieser unwürdige Straßenköter!
Während er mit einem Drehen des Türknaufs das Zimmer versperrt, ruft er Zaddion zu: "Wir sollten einpacken. Wenn Xander noch lebt, wird er herkommen." Er tritt an den spärlichen Haufen neben der Tür heran, den seine momentane Ausrüstung bildet, und schwingt sich eilig den Brustpanzer über den Körper. Wenn sie einfach schutzlos hinausmarschierten, dürften sie mit dem vermuteten Empfangskommitte unten Probleme bekommen: "Ich denke, sie werden unten auf uns warten. Wir müssen den Leichnam irgendwie hier rausbekommen!"