"Verzeiht mir, wenn ich eine unangemessene Frage stelle..." Leofe trat vor. "Aber ich kenne mich ein wenig mit Vögeln aus und mir ist aufgefallen, dass einige der Exemplare, die Ihr kontrolliert, demnächst Brutzeit haben müssten - zumindest, wenn die etwas bunteren Finken, die ich gesehen habe, ähnliche Brutzyklen haben wie die, die ich kenne. Entlasst Ihr die Vögel zu solchen Zeiten oder geht Ihr davon aus, dass der Teil der Population unter Eurer Kontrolle klein genug ist, um den Bestand nicht zu gefährden?"
Überrascht blickte die Sphinx die Elfe an "Letzteres, aber ich bin mir über die Brutzyklen wohl bewusst. Einige der Vögel hier haben allerdings sehr bemerkenswerte Gepflogenheiten in dieser Hinsicht ... " So unterhielten sich Leofe und die Sphinx tatsächlich einige Minuten über Verhaltensweisen von Vögeln. Auch wenn das Thema die anderen Mitglieder der Hand wenig interessierte, so schien die Sphinx nun jedoch etwas besserer Laune zu sein, was alle erfreute.
Nun stieg auch Nebin in die Diskussion ein: "Bei eine dieser bemerkenswerten Gepflogenheiten, von denen Ihr gesprochen habt, scheint es sich um eine Form der Schnellheilung zu handeln. Ich kam nicht herum zu bemerken, dass es innerhalb der Vogelschwärme oft Rangeleien oder gar richtige Kämpfe gibt. Die Wunden verheilen jedoch schneller, als Ramar um Kords Hilfe bitten kann. Ich denke, dass es sich hierbei um eine überstarke Reaktion des Immunsystems handelt. Sie könnte durch Bakterien auf den Federn ausgelöst werden, die durch die Verletzung in die Blutbahn gelangen."
Die Sphinx folgte anfangs gespannt den Ausführungen des Halblings, doch als er von Bakterien auf Federn faselte, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und zerriss auch die folgenden Argumente Nebins sprichwörtlich in der Luft.
Geknickt musste Nebin sich eingestehen, dass er wohl nicht so viel vom Immunsystem der Vögel verstand, wie er gedacht hatte. Immerhin schien es Hazar gefallen zu haben, ihn zu korrigieren, sodass er wenigstens keinen Schaden angerichtet hatte.
Jared wiegte nachdenklich den Kopf. "Einerseits stimme ich meinem Zwergenkamerad zu, dass so ein glatter Vertragsbruch -- gar noch gekoppelt mit übelster Verleumdung! -- etwas Verwerfliches ist. Tatsächlich habe ich es mir auf die Fahne geschrieben, niemals einen Vertrag zu brechen, denn so etwas spricht sich viel zu schnell rum, und dann würde niemand mehr einen solchen mit mir eingehen. (Zudem bin ich die Seele der Diskretion, aber das nur am Rande.) Andererseits, und das gebe ich hier offen zu: man muss schon genau aufpassen, wie man einen Vertrag mit mir in Worte fasst. Unklare Formulierungen auszunutzen ist in meinen Augen nämlich kein Vertragsbruch, sondern ausgleichende Gerechtigkeit.
Denn seht, ich bin von Natur aus nicht mit großem Intellekt gesegnet. (Vielleicht liegt das auch daran, dass mir als Kind der Zugang zu jeglicher höherer Bildung versagt blieb, aber sei's drum.) Jedenfalls bin ich in dieser Hinsicht ganz schrecklich im Nachteil. Wenn beispielsweise meine neue Magierfreundin hier den Mund auftut, versteh ich nichts mehr. Aber wenn sie redet, hört jeder zu. Auf ihre Erklärungen und Vorschläge gibt jeder etwas, insbesondere auch solche Personen, die selbst kaum verstehen, was sie sagt. Ja, vor Klugheit zieht jeder den Hut!
Aber man muss doch seinen Weg machen, nicht wahr? Man muss doch irgendwie die Waage des Schicksals ins Gleichgewicht bringen! Wenn man von einem zu wenig hat, muss man etwas anderes finden, um den Nachteil auszugleichen. Und da habe ich schon als junger Mensch einige Fähigkeiten entdeckt, mit denen ich mich auch gegen kluge Menschen behaupten kann. Denn Klugheit schützt vor Leichtgläubigkeit nicht! Klugheit schützt nicht davor, von charmantem Geplauder eingenommen zu werden! Klugheit schützt nicht davor, einen Vertrag misszuverstehen! Ja, ich behaupte sogar: kluge Leute sehen oft gar nicht, dass ein dümmerer Mensch eine für sie glasklare Formulierung auch anders auslegen könnte! Außerdem fürchten kluge Leute mehr als andere, dass bekannt werden könnte, ein Dümmerer habe sie überlistet!
Auf diese Art habe ich schon viele kluge Menschen, ja, ich will das Kind beim Namen nennen: betrogen. (Das alles ganz diskret, ohne dass auch nur ein Gerücht davon an die Öffentlichkeit gelangt wäre.) Und ich meine dabei herausgefunden zu haben, dass man als dummer Mensch kluge Leute leichter austricksen kann als solche, die genauso dumm sind wie man selbst. Letztere sprechen ja die gleiche Sprache wie man selbst, erstere denken und kommunizieren dagegen auf einer ganz anderen, höheren Ebene!
Vorsicht ist allerdings geboten, wenn der Abstand wiederum zu groß wird, wenn jemand also ganz außergewöhnlich klug, ausgefuchst oder lebenserfahren ist. Ihr wisst schon: wer einmal hintergangen wurde, den hintergeht so schnell keiner mehr! Bei solchen Leuten würden meine besten Tricks versagen! Doch so etwas spür ich sofort. Ich würde sonst nicht hier vor Euch stehen, sondern längst in irgendeinem Kerker vermodern. Ja, also ich sehe auf einen Blick: Euch könnte ich niemals austricksen. Das ist nicht geschmeichelt, das ist die Wahrheit.
(Was mich weiterhin von einem Versuch abhalten würde ist der Umstand, dass Ihr mir mit einem Haps den Kopf vom Leibe trennen könntet, was sonst nur Könige und Hochfürsten mithilfe einer Gerichtsverhandlung und eines Henkers vollbrächten. Aber das nur nebenbei.)
Ich bin also ein Schurke, das geb ich zu. Nun dürft Ihr nicht meinen, ich wäre stolz darauf. Nein. Aber was bleibt mir übrig, sag mir das einer? Ich bin nun einmal nicht klug. Wenn ich also in dieser Welt eine Chance haben will mitzumischen, so muss ich eben meine Fähigkeiten des Schönredens und Blendens einsetzen, sonst würde ich untergehen.
Aber eines will ich noch sagen: Auch ein Schurke kann Ehre im Leib haben. Schurkenehre nennt man so etwas, und ob Ihr es glaubt oder nicht: auf Schurkenehre ist mehr Verlass als auf die Ehre der meisten sogenannten ehrbaren Leute, die oft gar keine Vorstellung davon haben, was Ehre für sie überhaupt bedeutet. Ich dagegen weiß es genau! Ein Wort, das ich bei meiner Schurkenehre gebe, ein solches Wort würde ich niemals brechen."
Nach seiner langen Rede trat Jared einen Schritt zurück und nahm die bescheidenste Haltung ein, die er in seinem Repertoire fand.
Hazar legte den Kopf schief, während sie Jared Ausführungen lauschte, dann wiegte sie das gefiederte Haupt bedächtig hin und her. "Es ist in der Tat ungewöhnlich, jemanden Eures Schlages so offen und ausführlich über diese Dinge reden zu hören. Sehr amüsant, wirklich."
Darauf hielt Ramar einen Vortrag über Unsterblichkeit, Göttlichkeit und Götter.
Es entstand eine angeregte Fachdiskussion mit allen Beteiligten.
Anschließend entfachte Lexi eine magietheoretische Diskussion mit der Sphinx, bei der sich beide so richtig austoben konnten. Lexi hatte viel Freude dabei, eine so belesene Gesprächspartnerin zu haben, dass sie die prekären Umstände der Unterhaltung für eine Viertelstunde komplett vergaß. Viel zu lange schon hatte sie ohne Leoril auskommen müssen, wobei selbst dieser die Tiefen der magischen Theorie nicht so zugänglich waren wie der Spinx. Im Wesentlichen ging es darum, ob bei der Übersetzung des uralten Folianten von Grumoss vor etwa 300 Jahren die magische Rune "Króan" irrtümlicherweise als "Kroan" übertragen worden war, und welche Auswirkungen dies auf diverse heute gängige Rituale und Zaubersprüche hätte. Denn leider war das Orginalwerk seit kurz nach der Übersetzung verschollen.