Birisera versank nach einem persönlichen Dankgebet an ihren Herrn Asmodeus erneut in der Dunkelheit des Schlafes. Doch als sie das rot glühende Portal vor sich sah, wusste sie, dass dies kein gewöhnlicher Traum war. Ihr Großvater hatte sie wieder gerufen, um ihr neue Fähigkeiten beizubringen. Ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen, schritt sie durch das Portal und fand sich erneut in der von Lava und schwarzem Gestein beherrschten Ebene der Hölle wieder. Erneut beschritt sie den Pfad und fand ihren Großvater.
Doch dieses Mal war er nicht allein.
An seiner Seite stand eine Frau, mit hüftlangen, offen getragenen, schwarzen Haaren, in eine Feurrote Robe gekleidet, welche bis zum Bauchnabel ausgeschnitten war und ihre Rundungen betonte. Sie beide standen vor einem steinernen Altar. „Dies ist Cirubi, ebenfalls eine Hexenmeisterin. Sie wird mich heute ein wenig bei meinem Vorhaben unterstützen.“, stellte ihr Großvater die Frau, welche sich vor Birisera verbeugte, vor.
„Ich habe dich beobachtet“, lenkte Biriseras Großvater das Gespräch auf das wesentliche zurück. „Du brauchst noch einige Zaubertechniken – manche grundlegend, andere fortgeschritten. Und…“, er ging um Birisera herum und musterte ihren Körper „…du braucht Ausdauer, viel mehr Ausdauer, oder du wirst nicht mehr lange unter den Lebenden weilen. Das wäre für deine Mission von Nachteil. Cirubi wird dir sagen, wie wir gedenken, deine Ausdauer zu stärken.“
Die rotgekleidete Hexenmeisterin winkte Birisera zum Altar. „Entkleide dich und lege dich mit dem Rücken auf den Altar. Strecke Arme und Beine von dir. Danach folgen die weiteren Schritte.“
Birisera tat, wie ihr geheißen. Sie zog sich aus, stieg auf den Altar und legte sich so, dass ihr Blick gen Himmel gerichtet war. Ihr Großvater und Cirubi hoben die Hände und stimmten Zauberformeln in der Infernalischen Sprache an. Sie waren dabei, etwas zu beschwören, aber was? Birisera lief es kalt den Rücken herunter. Wollten sie Feuer auf sie herabregnen lassen? So etwas könnte sie doch nie überleben! Sie hob den Kopf und riskierte einen Blick auf die beiden Hexenmeister. Der Boden unter den Füßen der beiden glühte in einem dunklen rot. Eine Säule aus rotem Licht wand sich vom Boden aus immer weiter nach oben und zog bei ihrem Großvater drei, bei Cirubi zwei Frauen mit Schwarzen, engelshaften Flügeln, einem menschlichen Gesicht und einer Schwarzen Rüstung nach sich. Kurzzeitig starrte Birisera fasziniert auf diese Frauen, doch ihre Waffen ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren: Es waren Peitschen. Birisera sollte ausgepeitscht werden, um ausdauernder zu werden.
„Dies sind Erinnyen, auch Ascheflügel oder Furien genannt. Sie sind die Henkerinnen der zweiten Hölle und drehen sich gerne Seile aus ihren eigenen Haaren.“, erklärte ihr Großvater ruhig.
Cirubi deutete auf Birisera und rief den Erinnyen auf Infernalisch entgegen: „Peitscht sie aus!“
Sofort schwang sich eine der Furien in die Luft, um im Sturzflug auf die nackt auf dem Altar liegende Hexenmeisterin herabzustürzen. Für eine Sekunde dachte Birisera erschrocken, die Erinnye würde sich in ihren Körper bohren, doch kurz bevor sie auf Birisera krachte, brachte sie sich in die waagerechte und schwang ihre Peitsche, welche Striemen auf Biriseras Oberkörper hinterließ. Biriseras Körper zuckte vor Schmerzen nach oben und krachte zurück auf die Steinplatte, ihr entfuhr ein Schmerzensschrei, doch wusste sie gleichzeitig, dass es noch nicht einmal richtig angefangen hatte. „Lerne, es zu ertragen, oder du wirst niemals stärker“ erklang der Chor der Erinnyen in ihrem Kopf.
Ja, dafür war sie hier. Doch es dauerte lange, bis sie es schaffte, die Schmerzen, die ihr die immer wieder in die Lüfte steigenden Ascheflügel zufügten, nicht mehr in Schreien zu entladen, sie die Schmerzen selbst nicht einmal mehr spürte, obwohl sie immer noch bei vollem Bewusstsein war.
Nach Stunden, zumindest kam es ihr so vor, verschwanden die herbeigerufenen Teufelinnen. Birisera, deren Arme, Beine, Brüste, Bauch und Schenkel rot von den unzähligen Peitschenhieben waren, stand vom Altar auf. Doch es gelang ihr leichter, als sie vermutet hatte. Vermutlich hatten sie die Peitschenhiebe tatsächlich stärker gemacht.
Sie kleidete sich wieder an und trat zu den anderen beiden Hexenmeistern. „Du musst wahrlich von unserem Herrn Asmodeus auserwählt sein.“, sagte ihr Großvater und nickte Birisera anerkennend zu. „Oh ja, viele Männer und Frauen haben es nicht ausgehalten, haben es abgebrochen und fanden kurz darauf den Tod.“, stimmte Cirubi zu. „Doch nun zur Zweiten Lektion… deine neuen Angriffszauber.“ Lenkte ihr Großvater erneut den Fokus auf das wesentliche. „Cirubi, du weißt, was du zu tun hast.“
Erneut glühte der Boden unter Cirubis Füßen. Dieses Mal beschwor die Hexenmeisterin drei Feuerelementare. „Ein grundlegender Zauber, den man ohne viel Mühe wirken kann, ist der Kältestrahl.“, erklärte ihr Großvater. Er formte kleine Gesten mit den Händen und murmelte nur wenige Worte und ein Strahl aus Eis schoss auf das Feuerlementar zu.
Auch Birisera tat es ihrem Großvater gleich und konnte ebenfalls einen eisigen Strahl abschießen. Gleichzeitig bemerkte sie auch, dass sie dieser Zauber nicht so sehr ermüdete wie zum Beispiel ihr Schild-Zauber, auch wenn sie 3 Strahlen hintereinander auf das Elementar losließ.
„Ein etwas Schwierigerer, aber unheimlich nützlicher Zauber sind die magischen Geschosse, die stets unfehlbar sind. Pass gut auf. Cirubi, erhebe dich in die Lüfte!“ Aus dem Rücken der Hexenmeisterin wuchsen schwarze Schwingen, die denen einer Fledermaus glichen. Unter einigen Flügelschlägen erhob sich Cirubi in die Höhe. „Hier spielt die Musik!“, zog der alte Hexenmeister Biriseras Aufmerksamkeit wieder auf sich, welche Cirubi wie gebannt angeblickt hatte. Er formte erneut Gesten mit seinen Händen, dieses Mal ähnlich komplizierte wie die, die Birisera für ihren Schildzauber gebrauchte. Fünf dunkelrot leuchtende Kugeln schossen aus den Fingern des Hexenmeisters. Und obwohl Cirubi sogar einen Looping flog, krachte jede einzelne Kugel in ihren Körper. „Jetzt du. Und keine Sorge, du wirst sie nicht töten.“, raunte ihr Großvater Birisera zu. Birisera konzentrierte sich auf ihre Gesten und auch aus ihren Händen lösten sich dunkelrot leuchtende Kugeln – doch bei ihr waren es nur zwei. Dennoch verfehlten auch sie ihre Wirkung nicht, obwohl Cirubi versuchte, einem Geschoss mit einem Sturzflug zu entkommen. Dann landete die Hexenmeisterin wieder auf dem Boden und ihre Schwingen verschwanden, als wären sie nie dagewesen. Stattdessen rief sie drei kleine Steinkreaturen herbei, die ihr Großvater als „Erdelementare“ bezeichnete.
„Warum habe ich weniger Geschosse als du beschworen?“ fragte Birisera. „Ich erkläre es dir, wenn ich dir deinen letzten Zauber, den Steinruf, gezeigt habe. Cirubi, zu mir, aus der Gefahrenzone!“
Dieses Mal schienen sich die Gesten von Biriseras Großvater vergleichsweise stark in die Länge zu ziehen. Doch dann fielen Steine aus der Luft auf die Erdelementare und um sie herum.
Auch dieser Zauber gelang Birisera tadellos, doch nachdem sie diesen sehr kräftezehrenden Zauber gewirkt hatte spürte sie, wie ausgelaugt sie sich eigentlich fühlte.
„Du wolltest wissen, warum ich mehr Geschosse beschworen habe als du, nicht wahr? Du musst klein anfangen, Birisera. Ich habe sogar noch kleiner – mit einem einzigen Geschoss- begonnen. Du musst Stück für Stück lernen, diese Geschosse mit deinem Willen zu lenken, denn du kannst sie nicht nur auf einen einzelnen Gegner schießen, sondern auch auf mehrere, solange sie nicht zu weit auseinander stehen. Mit der Zeit wirst du dich immer besser konzentrieren und ebenso viele Geschosse wie ich herbeirufen können. Das war alles, was ich dich dieses Mal lehren konnte.“, sagte er und legte Birisera fast schon väterlich die Hand auf die Schulter. „Das war auch mehr als genug, aber für weitere Kämpfe sicherlich hilfreich.“ dachte sich Birisera im Stillen. Sie verabschiedete sich von ihrem Großvater und Cirubi, dann machte sie sich auf den Weg zurück zum Portal in ihre Welt. Nachdem sie es durchschritten hatte, wachte sie auf.