Lennia zögerte einen Moment, dann nickte sie. "Ich kann euch nicht alles erzählen. Im Dienste eines Königs gibt es Dinge, die der Geheimhaltung unterliegen. Aber was ich berichten kann..."
Sie schloss kurz die Augen, öffnete sie dann wieder und sah in eine unbestimmte Richtung in den Raum. "Ich war bei einer Audienz. Seine Majestät hat mich angewiesen, die Jungmannen der Ersten Garde auszubilden. Die Erste Garde sind Männer, die für ein Jahr in die königliche Garde aufgenommen wurden, auf Probe sozusagen. Nur wer sich bewährt, wird ein Königswächter auf Lebenszeit. Die Ausbildung der Ersten Garde obliegt normalerweise den besten Ausbildern der Armee. Dass er mir diese Aufgabe zugewiesen hat, wissend, dass dies in der Armee als Affront angesehen würde, zeigt klar: Er möchte, dass mehr Mannen die Proben bestehen, damit seine Garde größer wird. Ich nehme an, dies geschieht aus Angst vor einem möglichen Krieg, vielleicht auch vor Attentätern."
Erst jetzt nahm Lennia den Spiegel zur Hand. Als sie hineinsah, erschrak sie, doch dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen. "Immerhin, ich bin jung und hübsch. Gute fünfzehn Jahre jünger, als ich eigentlich bin, würde ich sagen. Aber es stimmt, dies ist nicht im Entferntesten mein Gesicht."
Dann fuhr sie mit ihrer Geschichte fort. "Unser Nachbarland Davarim wird zwar primär auch von Halblingen bewohnt, aber es gibt dort auch recht viele Minotauren. Die Stiermenschen sind deutlich machthungriger als die meisten Halblinge, und so kommt es, dass sie viele Ämter bekleiden, obwohl sie zahlenmäßig untergeordnet sind. Durch ihren Einfluss ist Davarim ein expansionistisches Land. Die kleineren Nachbarreiche mussten sich ständig gegen sie verteidigen, und haben dabei immer wieder einzelne Regionen verloren. Doch vor gut fünf Jahren schlossen sie sich zusammen - ein Bündnis, das sie gemeinsam so mächtig werden ließ, dass Davarim alleine nicht mehr gegen sie antreten konnte und sogar ehemals eroberte Gebiete wieder verlor. Und so wandten sie sich uns zu. Wir sind zwar ebenfalls eine mächtige Nation, aber es besteht die Gefahr, dass die Minotauren alles auf eine Karte setzen: Sie wollen meine Heimat sprichwörtlich verschlingen, uns all unsere Schätze rauben, und so zu einem so großen und mächtigen Reich werden, dass auch das Bündnis ihrer alten Feinde sich nicht mehr gegen sie zur Wehr setzen kann."
Obwohl ihre Worte sehr sachlich gewählt waren, merkte man ihrer Stimme an, dass das Thema Lennia sehr nahe ging. Offenbar fürchtete sie ehrlich um ihre Heimat.
"Daher die Anspannung zwischen den beiden Reichen. Es wird noch versucht, eine diplomatische Lösung zu finden, zumal es auch noch einige ruhige Gemüter aus Seiten Davarims gibt. Ich hoffe, dass eine friedliche Lösung gefunden wird. Ein Krieg würde den Tod von Tausenden und Abertausenden bedeuten, und in beiden Reichen die Schätze von Kultur, Handel und Landwirtschaft zerstören. Es wäre eine Katastrophe, ein Sieg des Bösen über das Gute - ganz egal, wer den Krieg am Ende gewinnt."