Danas Blick in Richtung des Friedhofweges brachte ihr nicht die Erkenntnis, nach der sie gesucht hatte. Es mochte daran liegen, dass sie eher lustlos und flüchtig nach Spuren der Wiedergänger gesucht hatte, oder aber auch daran, dass von ihrem Versteck aus die Sicht bei aufkommender Nacht nicht ideal war.
Ichabod riss sie ohnehin schnell gedanklich davon fort, sodass ihr nicht die Zeit blieb, nach Einzelheiten Ausschau zu halten. Seine Liebesbekundung schmerzte und rührte Dana zugleich, denn einerseits erkannte sie nun deutlich wieder den charmanten, wortgewandten Romantiker vor sich, an den sie ihr Herz verloren hatte, und andererseits rief Ichabod ihr ins Bewusstsein, was sie nicht nur sich selbst und ihrer Beziehung, sondern auch ihm damit angetan hatte, dass sie ihn verlassen hatte.
Mit Wut im Bauch war sie gegangen, denn der vorangegangene und auslösende Streit war ziemlich heftig gewesen – und Wut hatte ihr geholfen, sich selbst zu belügen und den eigenen Kummer zu kaschieren.
Sie wusste sehr gut, was Ichabod damit meinte, dass er sagte, Liebe sei auch ein Gift, denn auch wenn Danas Wille stark gewesen war, selbst noch in den vergangenen Stunden, hatte er niemals den Trennungsschmerz überwinden können, den sie empfunden hatte und noch empfand. Sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch dass sie selbst von Kummer und Unsicherheit erfüllt war, musste sie sich nun, da sie seine Nähe derart aufwühlte, eingestehen.
Dana verzieh Ichabod, selbstverständlich, denn sie liebte ihn – hingegen jeglicher Vernunft, mochte mancher meinen, der ihn kannte – und sie war nicht unschuldig an seiner Gemütslage. Diese schien nicht nur an sich gerade sehr wechselhaft, sondern riss auch ihre eigene dabei mit sich noch tiefer ins Chaos. Stimmungsschwankungen waren Dana, die sich allerdings immer um Selbstbeherrschung bemühte, bei Weitem nicht fremd, doch kaum jemand konnte sie derart darin beeinflussen wie Ichabod es, wenn auch unbeabsichtigt, vermochte. So verblieb in Dana eine verwirrende, aber im Schnitt positive Gefühlsmischung aus Bedauern, Ergriffenheit, Erleichterung, Glück, Hoffnung und Euphorie, als Ichabod wieder ihre Nähe suchte und ihre Stirn küsste – was sie zuließ, obwohl der Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, wenn auch verziehen, noch immer in ihren Gliedern saß.
„Ich habe mir einreden wollen, dass es nicht so war, doch ich habe dich vermisst, Liebster“, gestand Dana ihm, ebenfalls sehr emotional und auf Shoanti sprechend, da sie den Sinn seines Sprachenwechsels verstanden hatte, und legte ihre Hand sanft an seine Wange, um mit ihrem Daumen die Träne fortzuwischen, „– jeden Tag, jede Stunde und jeden Augenblick, den wir getrennt waren. Wenn du ein Narr bist, bin ich eine Närrin.“
Darüber und vor Freude, weil Dana die Gewissheit hatte, dass Ichabod noch liebte, musste sie nun lächeln – dieses Lächeln mochte etwas verlegen scheinen, doch kam es von Herzen, und schenkte sie es ihrem Ehemann, um ihm Trost zu spenden.
Behutsam und noch immer lächelnd zog sie ihre Hand von seiner Wange zurück und gab Ichabod mit ihrem jetzigen Schweigen stumm zu verstehen, dass sie damit einverstanden war, alles weitere später zu besprechen – nicht an diesem Ort und auch nicht vor Zeugen.
Dana spürte, dass sie wohl über die Geschehnisse nachdenken und vielleicht auch darüber schlafen müsste, denn dies ging alles so schnell und war ihr, weil sie zusätzlich angeschlagen war, vielleicht auch etwas viel auf einmal – ein Gefühl, das sich gleichermaßen bekannt, aber auch ungewohnt anfühlte. Sicherlich war es zwischen Ichabod und ihr noch nicht wieder so wie es vor ihrer Trennung gewesen war. Sie würden nicht so tun können als sei nichts geschehen, denn sie hatten eine viel zu lange Zeit des Kummers durchlebt. Die Wunden waren frisch und Gespräche waren zu führen, damit sie beide Frieden fanden.
Nun blieb ihnen allerdings erst einmal wohl nur, Viktors Rückkehr auszuharren, denn der junge Priester war nun schon seit einiger Zeit unterwegs und er ließ auf sich warten. Hoffentlich würde er sich beeilen, denn Dana empfand den Aufenthalt auf diesem Friedhof, trotzdem Ichabod bei ihr war, als unangenehm. Jadar war, wie es schien, in grüblerisches Schweigen versunken, vielleicht auch, weil er sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlen mochte, da Ichabod und sie ihn von ihrer privaten Unterhaltung ausgeschlossen hatten - die er dennoch mitgehört haben mochte oder nicht, da sie nicht wussten, ob er die Sprache der Shoanti beherrschte oder nicht.