Dana war es langsam leid, sich erklären zu müssen und sich zu wiederholen, denn sie hatte bereits viele Worte verloren und aufgrund ihres gesundheitlich stark angeschlagenen Zustandes hatte sie jedes davon angestrengt. Jadar schien ihr entweder nicht richtig zuzuhören oder wollte einfach nicht verstehen, dass sie eine mögliche Verbindung des Flüsternden Pfades zum Pharasmatempel nicht abtat. Nein, ihr ging es allein um Vater Grimburrow, von dem sie es für unwahrscheinlich (und ebenfalls nicht unmöglich) hielt, dass er mit dem Nekromanten im Bunde sein könnte.
„Jemanden aufgrund eines Verdachts sofort für schuldig anzusehen“, antwortete Dana dann aber doch, wobei sie sich zusammenriss, um Geduld und Ruhe zu wahren, „macht Euch nicht besser als Gibs Hephenus mit dem Unsinn, den er verbreitet, und damit das Andenken an den Professor in den Schmutz zieht. Nicht alles ist so wie es auf den ersten Blick scheint. Ich sage nicht, dass es nicht sein kann, dass die örtlichen Pharasmiten hiermit zu tun haben“, stellte sie klar und hoffte, dass es dieses Mal klar genug war, „ich will nur niemanden vorschnell verurteilen, denn das wird uns nur daran hindern, die Wahrheit herauszufinden. Außerdem: Wie würde es Euch denn gefallen, unschuldig angeklagt und bestraft zu werden, nur weil man aus Faulheit oder Sturheit nicht bereit ist, nach Beweisen zu suchen, die Euch vielleicht entlasten könnten?“
Sie musterte Jadar einen kurzen Augenblick eindringlich, bevor sie fortfuhr:
„Es gibt bestimmt einige gute Erklärungen dafür, warum der Novize im Gegensatz zu uns nicht von Untoten angegriffen worden ist und sie nicht bemerkt hat. Und damit Ihr mich nicht wieder falsch versteht: Das bedeutet nicht, dass der Bursche nicht schuldig sein kann“, betonte sie, „nur, dass er nicht schuldig sein muss. Was wäre denn, wenn er schlicht und einfach auf dem Friedhof nach dem Rechten gesehen hat, bevor die Wiedergänger hier aufgetaucht sind?“, gab sie rhetorisch fragend zu bedenken.
„Was nicht da ist, kann auch nicht angreifen oder wahrgenommen werden“, schloss sie ihre Argumentation, die sie unnötig angestrengt hatte – sowohl körperlich als auch nervlich.
Damit war das Thema hoffentlich erledigt. Dana wandte sich lieber dem neuen zu, denn sie hatte, wie Ichabod auch, den Verdacht, dass Jadar ihnen bezüglich Jominda Fallenbridge etwas verheimlichte.
„Im Moment wäre es aber wirklich interessanter zu erfahren, was ihr mit Miss Fallenbridge beredet habt – und mit ‚ihr‘ meinte ich schon beim ersten Mal nicht nur Euch, Jadar, sondern alle, die anwesend waren.“
Dana war erfahren genug in dem Spiel, nicht die Wahrheit zu sagen ohne dabei Lügen zu müssen, dass es ihr sofort misstrauisch machte, dass Jadar scheinbar beiläufig, aber sicher sehr bewusst nur von sich sprach.
Es war Vater Grimburrow, der das Gespräch unterbrach, denn offenbar war Viktor in Begleitung zum Friedhof zurückgekehrt und man hatte Ichabod, Jadar und sie entdeckt. Dana war erleichtert, auch Brann und Kendra, die beide scheinbar unversehrt waren, zu sehen. Ein Dana fremder anderer Pharasmit, wie sich erst später herausstellte, trug er den Namen Alexander, war ebenfalls mitgekommen. Der alte Dorfpriester war beunruhigt und kam ohne Umschweife wie einer Begrüßung zur Sache. Es war für Dana verständlich, dass Grimburrow den Inhalt der schlechten Kunde, die er erhalten hatte, sofort sehen wollte, und wies ihm den Weg. Wie flink der alte Mann auf den Beinen war, war allerdings erstaunlich und bewundernswert.
Danas Schritte waren bei Weitem bedächtiger. Sie war verletzt und mitgenommen, was wohl für jeden Anwesenden erkennbar war, denn sie war verdreckt mit Friedhofsschlamm und Blut und ihre Hand ruhte inzwischen auch wieder auf dem Verband an ihrer Schulter, unter dem ihre Wunde schmerzhaft pochte. Sie hatte nun vor, ihre Kräfte etwas zu schonen, auch um vor Vater Grimburrow nicht einen allzu fitten Eindruck zu machen, aber sie brauchte nicht zu schauspielern, um glaubhaft zu vermitteln, dass es ihr nicht bestens ging, weil es einfach nicht so war.
Dennoch lenkte Dana ein und versuchte, in verständnisvollem Ton Branns hitziges Gemüt ein wenig abzukühlen. Sie konnte die Wut und den Frust des Söldners vollkommen verstehen, jedoch war es nun bestimmt nicht von Vorteil, aus der Haut zu fahren.
„Bitte beruhigt Euch, Brann“, wollte Dana den Söldner mit seiner Aufgebrachtheit entgegengesetzter Sanftheit erreichen.
„Ihr habt vollkommen Recht, doch hilft es uns nun nicht, wenn wir den Kopf darüber verlieren.“
Brann sprach ihr mit seinen Worten aus der Seele, denn wenn Vater Grimburrow sie ernst genommen hätte, wäre der Angriff durch die Untoten hier auf dem Friedhof vielleicht nie passiert. Jedoch gab es nun Wichtigeres als Schuld zuzuweisen, selbst wenn es berechtigt war.
„Vater“, wandte sich Dana nun an den alten Priester, um dessen Frage zu beantworten, was genau passiert war, auch wenn sie es bewusst so unverfänglich wie möglich formulierte. Dennoch und obwohl ihr es scheinbar nicht leicht fiel, darüber zu sprechen (dies war, trotzdem sie es hauptsächlich der Dramatik wegen so gestaltete, nicht komplett gespielt), blieb sie wahrheitsgemäß bei den Geschehnissen.
„Ichabod Crane und ich stießen bei dem Besuch dieses Ortes auf diese beiden Untoten, die Ihr dort seht. Sie attackierten uns und wir haben sie vernichtet – oder vielmehr Ichabod hat das Werk vollendet, denn ich wurde schwer verwundet und habe, dem Tode wohl gefährlich nahe, zwischenzeitlich mein Bewusstsein verloren. Wäre Viktor nicht gewesen…“
Sie unterbrach sich kurz, diesen Punkt musste sie wohl nicht genauer ausführen.
„Dies hätte wirklich schlimm enden können. Nicht nur für mich, denn auch Ichabod ist verletzt worden, und die Gefahr ist noch nicht gebannt. Vater, Ihr müsst den Geschehnissen nun ins Auge blicken, bitte, und uns helfen, das große Unheil, das sich anbahnt, abzuwenden. Mr. Morton übertreibt damit keinesfalls und ist nicht ohne Grund derart aufgebracht. Wir sind nicht hier, um Ärger zu verursachen, sondern möchten lediglich Ravengro und seine Bewohner vor dem abartigen Treiben dieser Nekromanten schützen.“
Dana hoffte, dass sie sich in dem alten Priester nicht geirrt hatte. Nun musste er etwas gegen den Flüsternden Pfad unternehmen und ihnen, Kendras Gästen, möglichst entgegenkommen. Sicher lag es jedem von ihnen fern, eine Grabstätte zu schänden, aber der Professor hatte sicherlich nicht ohne Grund dafür gesorgt, dass man durch seine Markierung den Tagebucheintrag fand, in dem die Gerätschaften erwähnt wurden, die sich in der Krypta befanden – oder befunden hatten, sollte ihnen nun jemand zuvorgekommen sein.
Gleichzeitig hoffte Dana auch, sie würden die Angelegenheiten auf dem Friedhof und möglicherweise auch in der Krypta schnell hinter sich bringen. Sie hatte ihrer Entschlossenheit (oder eher Sturheit) zu verdanken, dass sie noch auf den Beinen war und sich inzwischen nicht bereits von den Strapazen des Tages erholte. Die Schmerzen zerrten an ihrem Willen und sorgten für Erschöpfung. Auch wenn sie es sich ausgesucht hatte, hier zu sein, und auch hier sein wollte, würde sie es begrüßen, bald den Friedhof zu verlassen. So wie sie die Diskussionen und vielen Worte leid war, war sie diesen Ort ebenfalls leid. Sie sehnte sich danach, sich von dem Schmutz befreien zu können, und nach Ruhe und einem Bett. Heute war wahrlich zu viel geschehen.