Danas Lächeln fror für einen kurzen Moment ein, als Shanda Faravan erzählte, dass ihr die Begegnung zwischen Vashian Hearthmount und Ichabod, Viktor und ihr, Dana, ausgiebig geschildert worden war. Nachdem, was sie vor wenigen Augenblicken durch das Lauschen an der Tür aus dem Mund des Stadtrates gehört hatte, hatte er sich gegenüber seiner Kollegin sicherlich echauffiert über das unglückselige Ereignis ausgelassen.
Dana fragte sich, ob das Schmunzeln ihrer Gesprächspartnerin zu bedeuten hatte, dass diese Hearthmounts Aufregung als etwas Harmloses abtat. Vielleicht fand Frau Faravan es aber auch amüsant, dass man in Ravengro über Kendras Gäste tratschte – danach hörte es sich bei ihrer Formulierung zumindest an. Oder handelte es sich um gute Miene zum bösen Spiel und der Stadträtin war es absolut unangenehm, mit ihren Besuchern zu sprechen? Dana konnte sich nicht festlegen, denn auch wenn sie sonst einen guten Blick dafür hatte, anderer Leute Emotionen zu lesen, stellte Shanda eine harte Nuss für sie dar. Auch ob deren Überraschung darüber, dass sie Vater Grimburrow verärgert hatten, echt oder gespielt war, vermochte Dana leider nicht zu sagen.
[1]Es stellte sich also noch immer die Frage, wie viel Shanda Faravan wohl wissen mochte. Die Möglichkeit, dass die Stadträtin mehr wusste, als sie preisgeben und ihre Gesprächspartner glauben lassen wollte, war durchaus gegeben. Dana war auf jeden Fall misstrauisch, obwohl Frau Faravan Kendras Gäste gegenüber dem Stadtrat verteidigt hatte. Denn aus dem belauschten Gespräch erschließbar gewesen, dass sie von den aufgetauchten Untoten wusste. Warum fragte die Stadträtin also, wie sie es geschafft hatten, sich mit dem Dorfpriester anzulegen? Vielleicht hatte Vater Grimburrow Bericht erstattet, aber Einzelheiten ausgelassen, weil er sich selbst darüber noch nicht im Klaren war, wen er für die Untoten verantwortlich machen sollte. Vielleicht wollte Frau Faravan prüfen, ob man ehrlich zu ihr war.
Dana verfluchte sich innerlich dafür, Vater Grimburrow angesprochen zu haben. Nun saß sie in einer Zwickmühle. Sollte sie auf die Wahrheit setzen – beziehungsweise Teile der Wahrheit? Es war ein Risiko, es so zu versuchen, andererseits bestand auch das Risiko, dass Shanda über alles bereits Bescheid wusste und sie sich nun ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit der für Unruhe sorgenden Fremden machen wollte.
Dana entschied sich kurzerhand für ihre Version der Wahrheit, denn früher oder später würde Shanda ohnehin erfahren, dass doch eine Art Verbindung zwischen den Fremden und dem Untotenvorfall bestand, und Dana wollte nicht, dass es negativ auf sie zurückfiel, wenn sie nun diese Angelegenheit komplett verschwieg.
So versuchte sie es offen, freundlich sowie diplomatisch:
[2]„Hat Vater Grimburrow Euch, beziehungsweise den gesamten Stadtrat, nicht informiert?“ Verwundert zog Dana eine Augenbraue in die Höhe.
„Dies überrascht mich etwas. Nun, vielleicht hat er seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen und will keine Panik schüren. So schnell, wie sich Dinge in Ravengro herumsprechen – wie Ihr selbst sagtet –, würde es mich nicht wundern, wenn der ehrwürdige Vater auf Diskretion setzt.“ Dana senkte die Stimme, denn sie hatte aus erster Hand erfahren, dass man von draußen unter Umständen mithören konnte, und sie wollte vermeiden, dass die Nachricht, dass Untote gesichtet worden waren, im Ort die Runde machten. Wundern würde es sie nicht, wenn das einen Mob auslösen würde, der aus mehr Personen bestand als die paar Gestalten, die ihnen während der Beerdigung aufgelauert hatten.
„Zu unserem Schrecken sind wir gestern auf dem Friedhof auf Wiedergänger gestoßen“, erzählte Dana ehrlich erschüttert,
„deren abscheuliches Unleben wir sofort und unter Einsatz unser eigenen Gesundheit vernichtet haben. Darauf folgend gerieten wir mit Vater Grimburrow in Streit, als wir ihn hinzuzogen. Vielleicht wäre es aber besser, dies nicht hier in der Halle zu besprechen, sondern in einem Raum, in dem wir nicht zufällige Mithörer haben könnten“, gab sie zu bedenken.
„Wenn Ihr denn wünscht, mehr zu erfahren“, fügte Dana anbietend hinzu.
Dann sprach sie wieder in normaler Lautstärke.
„Wahrscheinlich würde es sich hier auch anbieten, Stadtrat Hearthmount ebenfalls hinzuzuziehen. Ist er zugegen? Um Miss Lorrimor willen und angesichts der neuen Umstände halte ich es für dringend, ein klärendes Gespräch zu führen, denn wir wollen nicht, dass es zu weiteren Missverständnissen und unnötigen Streitereien kommt. Denn außerdem möchte ich noch anmerken, dass der besagten Beleidigung ebenfalls eine Beleidigung voranging“, verteidigte sie Ichabod, doch nicht um Ichabod Willen, sondern um Dinge richtig zu stellen, mit denen Stadtrat Hearthmount in seiner Erzählung wahrscheinlich wenig genau befasst hatte, wenn er sie nicht sogar ausgelassen hatte.
„Denn manch einer hört es nicht gern, nicht willkommen zu sein, zusammen mit dem Rat, lieber wieder abzureisen, nachdem man schon tags zuvor von Bewohnern des Ortes angegriffen worden war – und das unverfrorenerweise während der Beisetzung eines alten Freundes. Was übrigens unseres Wissens nach keine Konsequenzen für die Täter nach sich gezogen hat.“ Dana lächelte diplomatisch.
„Doch wir sind nicht hier, um weitere Vorwürfe zu erheben, sondern uns mit der Regierung Ravengros zu arrangieren. Wäret Ihr für ein vertrauliches Gespräch bereit?“