Ichabod regte sich merkbar über Jadars Worte auf und auch wenn dieser ebenfalls bei Dana aneckte, war es doch der werte Herr Crane, dem sie sich zuerst widmete:
„Versuche nicht, mich zu bevormunden!“, erwiderte sie im ebenso grimmig wie er sie ansah, „– das kann ich nicht leiden, wie du weißt.“
Obwohl sie verheiratet waren, hatte das für Dana noch nie bedeutet, dass sie sich seinem Willen zu beugen hatte, denn sie war keinesfalls ein braves, ihrem Gatten ergebenes Hausmütterchen, sondern eine stolze Varisianerin, die ihren eigenen Willen besaß und verteidigte. Wenn Dana auch aus ganz anderen Gründen als der von Ichabod genannter Besorgnis nicht mit der alten Frau (oder Hexe) sprechen wollte – denn die Art derselben empfand sie als furchtbar anstrengend –, wollte Dana sich es aus Prinzip nicht verbieten lassen, dies in Angriff zu nehmen.
„Ich bin durchaus in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen, mein Lieber. Außerdem lege ich, im Gegensatz zu anderen Personen hier, keine selbstmörderischen Neigungen an den Tag“, leitete Dana, Ichabod streng ansehend, noch einmal auf das Thema Hypnose zurück.
Dass er sie an das Eheversprechen erinnert hatte, das er ihr gegeben hatte, hatte sie etwas verstimmt, nachdem er ihr vorhin den Ring hatte zurückgeben wollen. Ichabod mochte sich um sie sorgen und das bedeutete ihr etwas, doch sie war kein kleines Kind mehr, dem die Konsequenzen seiner Handlungen nicht vollkommen bewusst waren. Dana war sich der Ironie dieser Situation bewusst. Schließlich war sie es gewesen, die mit ihrem Kuss unter anderem bezweckt hatte, Ichabod vor sich selbst und seinem Handeln schützen zu wollen. Was er ihr davor offenbart hatte, hatte ihr unglaubliche Angst um ihn eingejagt.
Ihr war aufgefallen, dass Ichabod den Ehering wieder am Finger trug. Einerseits freute sie das, andererseits erfüllte es sie auch mit Unsicherheit. Ihr Herz sagte ihr, dass Ichabod und sie zusammen gehörten, jedoch war sie noch von Enttäuschung, Schmerz und Groll erfüllt. Sie konnte ihre Gefühle nur schwer einordnen und dass Dana zudem wenig Kontrolle über ihre körperliche Verfassung hatte, gefiel der sonst selbstbeherrschten Ärztin überhaupt nicht.
„Ich werde mich keinem Risiko aussetzen, wenn es sich vermeiden lässt“, versicherte Dana, allerdings weiterhin in leicht saurem Ton, „denn auf den Tod oder weitere Schmerzen verzichte ich liebend gern. Dahingehend kann ich dich beruhigen.“
Ihr reichte ihre derzeitige Situation mit ihrer Verwundung vollkommen aus. Der Schmerz in ihrer Schulter war lästig und ihr jede Sekunde, seitdem sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, präsent, doch war dies eine Sache, die sie ertragen musste und wollte. Es hing wohl von Viktor ab, wie bald ihr Ruhe vergönnt sein würde und sie sich schonen könnte. Dana wusste, dass sie sich in ihrem Zustand nicht aufregen sollte, aber das ließ sich kaum vermeiden.
Nun fixierte sie Jadar, der sich schließlich für ihren Vorschlag ausgesprochen hatte.
„Sollte ich es schaffen, den Burschen so in Trance zu versetzen, dass er mit mir redet, wird man mir mit Sicherheit unterstellen, irgendeinen manipulativen Zauber angewendet zu haben – und da würde mich selbst Viktors Anwesenheit nicht vor dem Zorn der Dörfler schützen, obwohl ich diesem Halbstarken damit nur geholfen hätte“, machte sie dem Alchemisten klar. Sie hatte nie gesagt, dass sie sich des Risikos nicht gewusst war, den ein Hypnoseversuch mit sich bringen würde. Sie hatte sich sogar klar dazu geäußert, dies hatten sowohl Ichabod als auch Jadar etwas überhört.
„Haltet mich beide nicht für so leichtsinnig, mein Leben für Informationen zu riskieren, die vielleicht nur sehr vage und subjektiv sind und über die wir zudem möglicherweise schon verfügen. Der Professor erwähnte, dass es in dem alten Gemäuer spukt, und Anwesenheit und Aktivitäten des Pfads dort können wir nicht ausschließen. Doch besteht auch die Möglichkeit, dass, was auch immer den Burschen so verstört hat, ganz anderer Natur gewesen sein könnte. Vielleicht hat er seine Freunde durch einen Unfall sterben sehen, wie bei einem Einsturz einer Decke in der Ruine, sollten sie sich hineingewagt haben. So ein Erlebnis kann ebenfalls sehr traumatisch sein. Die Idee mit der Hypnose ist und bleibt erst einmal genau das: eine Idee und eine Option, sollten wir anderweitig nicht vorankommen. Ich sage euch jedoch eins: Ich werde mich Schreckensfels nicht nähern, bevor wir mehr Informationen haben, und ich lege euch beiden und auch dem Rest der Gruppe sehr nahe, das genauso zu handhaben.“
Damit wollte Dana dieses Thema erst einmal für sich bewenden lassen. Sie hatte nichts, was sie noch bezüglich Ichabods letzten Äußerungen Jadar gegenüber zu ergänzen hatte, jedoch lag ihr noch eine Angelegenheit auf der Zunge.
„Ihr solltet ansonsten mit Eurem Urteil, was Ravengros Pharasmiten betrifft, vorsichtig und nicht derart vorschnell sein, Jadar. Nur weil vielleicht die Möglichkeit besteht, dass in diesem Tempel etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, bedeutet das noch nicht, dass es so sein muss – zumal wir keinerlei Beweise dafür haben. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass ein geweihter Priester der Pharasma, dessen Aufgabe es ist, in ihrem Namen Untote und deren Erschaffer von der Welt zu tilgen, mit dem Flüsternden Pfad kooperieren würde. Das will und kann ich nicht glauben, denn auch wenn ich mein Leben nicht vollends der Herrin verschrieben habe, diene ich Pharasma dennoch mit meinem Wirken und habe Vertrauen in ihren Klerus. Jemandes tiefste Überzeugungen ins Gegenteil umzukehren, würde so Einiges erfordern. Dass diese Untoten gerade auf geweihtem Boden aufgetaucht sind, halte ich zwar, ebenso wenig wie Ihr, für einen Zufall, aber dadurch auf ein frevlerisches Wirken des Tempels zu schließen, halte ich für unsinnig. Bedenkt, dass die Erschaffung eines Wiedergängers nur schwerlich verhindert werden kann, wenn dies heimlich geschieht. Hütet Euch davor, Anschuldigungen auszusprechen“, warnte Dana Jadar, „denn nicht jeder Pharasmit ist so tolerant wie Viktor Mortis.“
Ihr kam der Gedanke, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, den jungen Pharasmiten zu begleiten, anstatt auf dem Friedhof zu verweilen. Hoffentlich kehrte Viktor bald zurück, Dana war das Diskutieren und Warten, ungeduldig wie sie war, nämlich leid.