Nur unter Schmerzen hatte Simon einschlafen können und Schmerzen kehrten auch sofort in sein Bewusstsein zurück, als er am Morgen aufwachte. Die Nacht hatte wenig Erholung gebracht. Die Anstrengungen des gesamten vergangenen letzten Tages steckten ihm noch immer in den Knochen und die Aussicht auf erneute Verausgabung in der Hitze und die lauernden Gefahren des Dschungels war nicht gerade motivierend. Dennoch ging der junge Sondergardist seiner ritualisierten Morgentoilette am Bach nach und wagte sogar einige Liegestütze, bevor er jedoch einsah, dass seine Kraftübungen bei seinem Zustand und dieser unbarmherzigen Umgebung nur kontraproduktiv sein konnten. Stattdessen schob er sich, als die Gruppe das Lager abbrach und sich auf den Weg machte, etwas Schimmer in den Mund, auf dem er kaute, wie manch einer es wohl mit Tabak tun würde – ab und zu, wenn er merkte, dass die Wirkung nachließ, presste er mit den Zähnen den Saft heraus, denn so würde er möglichst lange etwas von einer Portion haben.
Der Geschmack und der zimtige Geruch des süchtig machenden Krautes hatten eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er verband damit seine Kaserne – seine Heimat. Schimmer war unter den Sondergardisten, aber auch unter Söldnern des catosischen Bundes, ein verbreitetes Mittel, das den Muskelaufbau in übernatürlichem Maße förderte. Auch Simon unterstützte damit den Erfolg seiner körperlichen Ertüchtigungen – und anstrengend würde der Marsch durch das Dickicht, ohne das ohne ihre Macheten kein Durchkommen wäre, wieder werden.
Wolf übernahm die Führung. Simon trug seine Last und half mit, den Weg freizumachen, wann immer es sich anbot, und nahm seine Wunden und Ermattung dank des Schimmers als weniger auszehrend wahr als sie in Wirklichkeit sein mochten. Die Droge machte den Schmerz, der an seinen müden Muskel zerrte, die er weiterhin beanspruchte, süß, und deswegen es schaffte ihm Freude und Genugtuung, einen Weg durch die Pflanzen zu schlagen, trotzdem der Schweiß an ihm herunterrann als wolle er einen Sturzbach bilden.
Als ihr Führer sie auf einen Abgrund aufmerksam machte, der ihnen den Weg versperrte, gönnte Simon sich eine Verschnaufpause und legte sein Gepäck neben Aethers Habseligkeiten auf dem Boden ab. Eine andere Wahl hatte Simon ohnehin erst einmal nicht. Schnaufend durch die Nase atmend, trank er einige tiefe Schlucke aus seinem Wasserschlauch, wobei er darauf achtete, die Reste des Schimmers in seinem Mund nicht fortzuspülen, bevor er sich zu Wort meldete.
„Das ist verrückt“, kommentierte er Shivers Angebot, einen Sprung zu wagen, während er schon sein Seil von seinem Rucksack losmachte, um es dem alten Haudegen zur Verfügung zu stellen. Shiver schien vor Vorfreude und Selbstsicherheit beinahe zu platzen. Simon hoffte, dass der alte Mann, der Shiver für Simon schon war, sich nicht überschätzte – nicht, dass dieser sich beim Versuch, so weit zu springen, noch ein Rückenleiden zuzog.
„Wenn du es nicht auf die andere Seite schaffst, schlägst du gegen mindestens eine Felswand“, an die diesseitige garantiert und zuvor vielleicht an die jenseitige, wenn Shiver genau das falsche Maß an Sprungkraft aufbringen würde, „und stürzt vielleicht trotz Sicherung in die Tiefe.“
Simon wies darauf hin, machte aber keine Anstalten, Shiver aufzuhalten, was im Grunde seine Zustimmung verdeutlichte – zusammen mit einer verwegenen Mischung aus Schmunzeln und Grinsen, die sich auf sein Gesicht schlich. Eine bessere Möglichkeit, auf die andere Seite zu kommen, würde sich ihnen kaum bieten. Sollte der Halbgreis zeigen, welch Teufel noch in ihm steckte.
„Ich traue mir schon zu, dich zu sichern“, sagte Simon, „mit Hilfe der anderen umso besser, doch binden wir dich lieber an einem Baum fest. Schaden kann das kaum. Lass uns erstmal eine geeignete Stelle finden und ein wenig Grünzeug beiseiteschaffen, damit du Anlauf nehmen kannst.“
Er zuckte mit den Schultern. Maguerite war nur zu deutlich nicht begeistert von Shivers Vorhaben, doch war sie vermutlich weder aus waghalsigem Holz geschnitzt wie ihr Beschützer, noch dachte sie auf militärische Weise pragmatisch wie Simon. Einen anderen Weg zu suchen, würde die Gruppe nicht nur Zeit kosten, sondern auch viel Kraft und Ressourcen. Außerdem würden sie so vom Kurs abgekommen. In dieser Wildnis könnten sie trotz Kompass die Orientierung verlieren und wären dem Dschungel und seinen Bewohnern vollkommen ausgeliefert. Die Gefahr, in die Shiver sich begeben würde, war im Vergleich zu den Risiken eines Umwegen geringer – so empfand es zumindest Simon. Immerhin würden sie Mann absichern.
Der junge Sondergardist zückte seine Machete, allerdings fing er noch nicht damit an, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen und Shiver eine Anlaufstrecke zu ebnen. Ihn interessierte auch, was die anderen von Shivers Plan hielten, wenn sie sich denn überhaupt dazu äußern wollten oder es einfach hinnahmen.