Die Entscheidung war schnell gefallen und so machte sich die Gruppe – auch wenn der eine oder andere dagegen war – an die Arbeit und baute weiter das Lager auf, während die Verletzten sich ausruhten und von Carl versorgt wurden. Der Tag verging wie im Flug. Während Marguerite und Shiver das Lager unter der Führung und den wachsamen Augen Wolfhards aufbauten und Fallen legten, ruhten sich die anderen zum Großteil aus und blieben in ihren Zelten, um so die Heilung der Verletzungen zu unterstützen. Über den Tag hinweg verfolgten die Gruppe immer wieder die Geräusche und die Wesen des Dschungels. Ab und zu huschten kleine Reptilien durch das Lager oder sonnten sich auf den Vorsprüngen der Felswand in der heißen Sonne. Immer wieder wurde die Sonne durch dunkle Wolken verdeckt, die dem Dschungel lebenspendendes Wasser brachten.
Als der Tag wieder einmal dem Ende nahte, legten sich auch Shiver und Marguerite in ihre jeweiligen Zelte und so verfiel das Lager ein weiteres mal in die Nachtruhe. Die zum Wachdienst eingeteilten fühlten sich durch die Fallen und Sicherheitsmaßnahmen im Lager viel wohler und schon bald zeigten diese auch Wirkung. Mehr als einmal in der Nacht waren Bewegungen im Schein des Lagerfeuers auszumachen aber jedesmal wenn sich etwas dem Lager nähern wollte, wurde es durch die von den Fallen erzeugten Geräusche wieder vertrieben.
Der neue Tag brach an und schon im Morgengrauen und beim Aufstehen bemerkten die einst verletzten, das die Pflege und die tagelange Ruhe Früchte getragen hatte. Nur wenige Kratzer und blaue Flecken waren übrig geblieben und so strotzten alle vor Tatendrang. So war es nicht verwunderlich, das nach einem kurzen Frühstück und einer ebenso zeitsparenden Besprechung, die wichtigste Ausrüstung eingepackt wurde und man sich auf die Suche nach den Ruinen machte. Schließlich wollte niemand länger als notwendig in dieser Hölle bleiben.
Man entschied sich dazu nach Nordosten zu gehen, da da die Ruinen vermutet wurden. Doch um dort hinzukommen, musste man die Steinwand umgehen, die das Lager von einer Seite aus schützte. Da niemand wirklich Lust darauf hatte dort hinaufzuklettern, ging man an der Wand entlang. Der Weg war durchaus beschwerlich aber die Pflanzen und Ranken hielten sich so nahe an der Steinwand in Grenzen.
Es ging zügig voran, bis die Gruppe eine Veränderung in den Geräuschen des Dschungels wahrnahm. Nach all den Tagen hatten sie sich an eine gewisse Geräuschkulisse gewohnt und konnten Ungewöhnliches ziemlich schnell wahrnehmen. Wie es auch schon bei den Urzeitreptilien gewesen war, wurde es plötzlich leiser im Dschungel. Vögel hörten auf zu zwitschern, das Schreien einiger Affen hörte auf und wurde von Blätterrascheln ersetzt, als diese vermutlich die Flucht ergriffen. Neben Samual und Wolfhard verschwand eine sich sonnende Echse in einer Felsspalte der Wand. Die Gruppe machte sich bereit, sich ein weiteres mal zu verteidigen und um ihr Leben zu kämpfen. Würden sie dieses mal mit dem Leben und nur einigen Wunden davonkommen oder würde der Dschungel sie verschlingen?
Doch es kam anders als gedacht. Die neuen Geräusche und der Grund für die Unruhe im Dschungel kam nicht wirklich aus ihrer Nähe.
Es kam von oben.
Während alle blitzartig nach oben blickten, sahen sie einen Schatten auf sich zukommen. Reflexartig wichen sie dem Schatten aus und mit einem lauten Krachen, fiel etwas auf den Boden. Nachdem sich der Staub gelegt hatte und allesamt mit gezogenen Waffen das schlimmste erwarteten, erblickten sie etwas, das sie im Dschungel nur teilweise erwartet hätten.
Die dunkle orangene - schon fast rote - Schale unter der zerrissenen Lederkleidung ließ keinen Zweifel zu. Es musste sich um einen
Craynarbier handeln. Sie waren eine der intelligenten und humanoiden Rassen und waren überall in Jackals anzutreffen. Doch was tat ein Craynarbier hier im Dschungel von Liongeli? War er etwa Mitglied einer der wilden Stämme, die es hier geben sollte oder war er tatsächlich ein zivilisierter Vertreter seiner Art?
Was auch immer er war, ob er gefährlich war oder warum er überhaupt die Felswand heruntergefallen war, war im Moment egal. Er rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Bei genauerer Betrachtung konnte man erkennen, das nicht nur die braune - aus Leder und widerstandsfähigem Stoff gefertigte - Kleidung vollkommen verschmutzt, zerrissen und abgenutzt war, sondern auch der Panzer darunter. Der Craynarbier war in einer üblen Verfassung. Die Haut, die sich zu einem Panzer weiterentwickelt hatte - fast wie bei Krebsen - wies tiefe Schnitte und Bisswunden auf. Das Fleisch darunter war gerötet und geschwollen.
Wenn dieser Sturz den Craynarbier nicht umgebracht hatte, dann würden ihm diese Wunden vermutlich bald den Rest geben, würde er keine Hilfe bekommen.