Radjesha sah mit Staunen auf die geheilte Wunde. Sie warf Esulilde einen fragenden Blick zu, lächelte sie dann aber nur an. "Vielen Dank. Ich finde die Wunder, die Heilmagie vollbringen kann, immer wieder erstaunlich. Danke."
Ohne weitere Fragen zu stellen, kehrte sie zu Ina zurück, und stützte nun Gelirions Schwester mit ganzer Kraft. Esulildes Heilung würde der ganzen Gruppe erlauben, schneller voran zu kommen.
Als die Priesterin sich dann der ältesten der drei Schwestern zuwandte, sah diese sie einen Moment nur mit großen Augen an, bevor sie schließlich nickte. "Ja, natürlich. Ich habe... ich wusste ja, dass Priester solche Wunder wirken können, aber ich habe es noch nie mit eigenen Augen gesehen. Das ist wirklich... fantastisch."
Kurz sah sie zu ihren beiden Schwestern. "Das sind Mia und Kendra, und ich bin übrigens Lynette."
Cederon sah zu dem Säbel, und zuckte die Schultern. "Von mir aus, ich bleibe sowieso lieber bei der Axt. Ich bin Holzfäller, weißt du?" Er lächelte, dann sah er sich zu den Anderen um. "Mein Gedanke war, dass ein Säbel leichter zu handhaben ist als eine Axt. Aber genau weiß ich das nicht. Du entscheidest."
Die Ratschläge Gelirions nahm der Familienvater dankbar an, und machte gleich darauf einige Probeschwünge mit seiner Axt. "Ich glaube, ich verstehe, was du meinst."
Als sich Gelirion dann an Radjesha wandte, sah sie lächelnd zu Esulilde. "Sie ist Priesterin. Jemand wertvolleres können wir in dieser Nacht wohl kaum in unserer Gruppe finden."
Schließlich war alles gesagt, die kleinen Beuteschätze verteilt, und die Flüchtlinge machten sich daran, die Bibliothek zu verlassen. Der Geruch von Rauch lag schwer in der Luft. Keine zwanzig Meter weiter brannte eine Gaststätte, und das Feuer schlug gerade auf das Verbundhaus über, das die Gaststätte mit einem daneben liegenden Wohnhaus verband. Das einfache, unbehandelte Holz des Verbundhauses war eine willkommene Nahrung für die gierigen Flammen. Es würde nicht lange dauern, bis der ganze Straßenzug in Flammen lag. Das laute Knistern würde sich zu einem betäubenden Lärm entwickeln. In der Ferne hörten sie das Krachen und Poltern eines Gebäudes, das in sich zusammenbrach. Auch dieses Geräusch würde in dieser Straße nicht lange auf sich warten lassen.
Schritt für Schritt arbeiteten sie sich vor. Der Regen hatte aufgehört, doch die Wolken am Himmel waren so dicht und düster wie zuvor, und was an Mondlicht vielleicht durchgeschienen wäre, wurde jetzt durch dunklen Rauch verdeckt. Sie ließen nur zwei Häuser hinter sich, bis aus einer anderen Nebenstraße eine Gruppe wandelnder Toter hervorkam. Statt den Kampf zu suchen, wichen sie aus, und so liefen sie im Zick-Zack durch die nächtlichen Straßen, sich ganz allmählich dem Kloster nähernd. Immer wieder trafen sie auf die zerfleischten Körper von Leuten, die nicht schnell genug vor den Toten hatten fliehen können. Männer, Frauen, Kinder - die Monster machten keine Unterschiede. Die leisen, erschrockenen Ausrufe und Schluchzer in der Gruppe machten klar, dass nicht alle unter ihnen diese Bilder besonders lange aushalten würden.
Einmal glaubten sie, in der Dunkelheit jemanden rennen zu sehen, doch die Gestalt war so schnell verschwunden, dass sie keine Gelegenheit hatten, Kontakt aufzunehmen - und lautes Rufen war im Moment ein Tabu, dessen Bruch sie alle das Leben kosten konnte.
An einer Kreuzung hatte sich eine kleinere Gruppe der Wandelnden gesammelt, sieben oder acht standen hier auf einem Fleck und schienen auf frisches Fleisch zu warten. Ihr gutturales Stöhnen und Ächzen hallte wie eine böse Drohung durch die ansonsten leeren Straßen. Doch noch bevor sie entschieden, wie sie die Kreaturen umgehen konnten, sahen sie einen Mann in silberner Kettenrüstung auf die Straße stürmen. Er hielt nichts weiter als eine Eisenstange in der Hand, doch schlug er mit einer solchen Wut auf die Kreaturen ein, dass er einem nach dem anderen den Schädel einschlug. Gelirion lief instinktiv nach vorne, um zu helfen, und auch Cederon folgte ihm nach kurzem Zögern, einem schnellen Blick zu seiner Familie. Sie liefen, beobachteten, wie ein Körper nach dem anderen zu Boden fiel, bis nur noch zwei übrig waren.
Sie waren nur noch wenige Schritte entfernt. Die Eisenstange zertrümmerte einen weiteren Schädel. Der letzte aufrecht stehende Untote aber nutzte seine Chance, und schlug dem tapferen Kämpfer seine Zähne in den Hals. Er schrie auf, lauthals. Noch während er mit dem Monster, das sich in ihn verbissen hatte, zu Boden sackte, schlug der Mann auch dieser Kreatur den Schädel ein, und blieb dann, inmitten des Gemetzels, schwer atmend auf dem Boden liegen.
Gelirion und Cederon waren bei ihm angekommen. Aber sie waren zu spät, um ihm zu helfen, einige, wenige Sekunden zu spät.