Lichter der Zukunft
17. Marpenoth im Jahr des Aufstiegs des Elfenvolkes 1375 TZ
Ganz Myth Drannor hatte sich auf der Lichtung versammelt, die bis vor wenigen Zehntagen noch namenlos gewesen war. Jetzt kannte jeder ihren Namen: Ruid quarlani - die Lichtung der Seele. Das einst freie Feld war jetzt gefüllt mit jungen Setzlingen, einer für jeden Elfen, der zu seinen Füßen begraben worden war. In der Mitte stand ein schon deutlich größerer Baum. Seine Rinde ist silbrig und glatt wie Marmor, seine Blätter sind golden. Zu seinen Füßen ruht die Frau in ihrem Grab, die den Traum Myth Drannors hatte Wirklichkeit werden lassen. Königin Amlaruil selbst war zum Festland zurückgekehrt, um diese Gabe für Ilsevele Miritar zu bringen. Es war der Baum der Seelen, geboren aus einem Samen des Baumes, den Corellon selbst zum Schutz seines Volkes auf Immerdar gepflanzt hatte. Für Jahrzehnte hatte er Auseriel beschützt, bis die Zuflucht ihr Ende fand und jetzt würde er dasselbe für Myth Drannor tun. Die Elfen ganz Faerûns hatten wieder einen sicheren Hafen auf dem Festland, dieser Baum war ein deutliches Zeichen dafür.
Um ihn hatten sich die Anführer des wiedergeborenen Reiches Cormanthor versammelt. Hier stand Fflar Starbrow Melbruth, der Waffenmeister und Träger von Ary'Velahr'Kerym. Seine Augen waren von tiefer Trauer gekennzeichnet, ob der Verluste, die er erlitten hatte. Auch seine Truppen hatten in den Kämpfen gegen Aulmpiters Schergen gelitten und viele waren gefallen, aber die Wunde in seinem Herzen schmerzte schlimmer als das. An seiner Seite stand Araevin Teshurr, der Erzmagier von Myth Drannor, der wie gewohnt etwas fehl am Platz zwischen all den Elfen wirkte. Sein Antlitz strahlte die außerweltliche Macht aus, die er in sich trug und seine Augen schienen nicht nur auf den Baum der Seelen zu blicken, sondern zugleich auch auf viele andere ferne Orte, die sonst niemand sehen konnte. In dem Kreis von Elfen standen auch Daried Selsherryn in seinem roten Panzer, Arias Ulondarr in seinen grünen Roben und Torinkas Zoy'kinal in der Kriegsausrüstung der Dunklen Rächer. Auch Caelreth Maerdrym hatte seinen Weg in diesen erlesenen Kreis gefunden. Die vergangenen Schlachten hatte ihn als ranghöchsten Priester des Corellon in Myth Drannor zurückgelassen und so trug er die für seinen Gott typischen azurblauen Roben, die von feinen silberfäden durchwirkt sind. Auch Königin Amlaruil und ihre Begleiter stehen hier, direkt neben den Helden des letzten Krieges, den Elfen die Ary'Faern'Kerym zurück nach Myth Drannor gebracht hatten, den Elfen, die sich Aulmpiter entgegengestellt und ihn bezwungen hatten. Vagor, Selenia und Tsaer wurde jetzt umso schmerzlicher die Lücke bewusst, die in ihre Gemeinschaft gerissen wurde. Ihre Gedanken wandern zu Talindra, die in den weiten der Ebenen verschwunden bleibt und zu Taeglyn, der unter einen Baum in nur wenigen Metern Entfernung ruht inmitten der Helden des letzten Krieges, unter denen Taeglyn grundsätzlich als einer der ersten genannt wird. Schon jetzt ertönen Lieder in den Gasthäusern Myth Drannors, die den schelmischen Mondelfen in der Erinnerung bewahren würden.
Der Kreis wird geschlossen von Myriil Haladar, die eine einfache grüne Robe angelegt hat. In den Tagen nach der Schlacht hat sich mehr und mehr gezeigt, wie tiefgreifend ihre Begegnung mit Ary'Faern'Kerym die Sonnenelfe verändert hat. Es scheint beinahe so als wäre sie eine andere Person geworden und wie schon während der Schlacht, als alles verloren schien, blickten auch jetzt die Bewohner Myth Drannors zu der Frau auf, die zu einem Symbol des Verlustes geworden war, den sie alle erlitten hatten. Aber sie war zugleich auch ein Symbol der Hoffnung, denn niemals wankte Myriil im Kampf für Ilseveles Traum, den Traum von einem geeinten Myth Drannor. Das ist es auch, wovon die Sonnenelfe bei der Begräbnisfeier für all die Gefallenen spricht, die auf Ruid quarlani ihre Ruhe finden sollten: "Dieser Ort soll ein Mahnmal sein für die Zukunft. Er soll uns immer daran erinnern, welchen Preis wir für den Traum gezahlt haben. Ilsevele Miritar hat alles für uns gegeben, sie hat alles dafür gegeben, damit wir wieder eins sein können. Damit wird den Cormanthor wieder unsere Heimat nennen können. Vor ihrem letzten Opfer hat sie es gesagt: Dieser Traum ist Wirklichkeit. Hier. Jetzt. Für immer. Und Ilsevele Miritar ist die Königin dieses Traums. Es mag der Tag kommen, an dem auch Ar'Cor'Kerym zu uns zurückkehrt. Dieser Tag wird der Tag sein, an dem ein neuer König oder eine neue Königin des Traums ihren Platz in unserer Mitte einnimmt. Aber bis zu diesem Tag wird unsere Königin hier an diesem Ort sein. Wenn von neuem Zwietracht uns zu spalten droht, dann werden wir uns hier versammeln und uns an das erinnern, was uns eint. Wenn neue Gefahren am Horizont stehen, dann werden wir uns hier versammeln und uns an das erinnern, was uns Kraft gibt. Niemals werden wir das vergessen, wofür dieser Ort steht. Niemals werden wir vergessen, was Ilsevele Miritar für uns bedeutet. Und niemals werden wir vergessen, wie viel jeder einzelne Elf, der hier mit unserer Königin seine Ruhe gefunden hat für ihren Traum zu geben bereit war. Sie sollen uns Erinnerung und Zeichen für eine Zukunft sein, die strahlender wird, als wir es uns in dieser Stunde der Trauer vorstellen können. Egal wie dunkel die Welt uns auch scheinen mag. Ilsevele Miritar und die Tausend von Ruid Quarlani werden uns ein Licht sein, das unseren Weg erleuchtet. Hier. Jetzt. Für immer." Wie als eine Bestätigung ihrer Worte beginnen der Baum der Seelen und alle zarten Setzlinge zu glimmen und erleuchten wie ein eigener Sternenhimmel die wolkenlose Nacht.