Lavinia Crankrats
Der Gang führt die Diebin etwa dreißig Meter weiter durch die Dunkelheit. Offenbar war das Haus so angelegt, dass dieser von der Außenwelt völlig abgedichtete Bereich weder beim außenstehenden Betrachten, noch im Inneren des ersten Stockwerkes auffallen könnte... Lavinia ist, als würde sie sich in der Mauer selbst bewegen. Einen Weg einschlagen, welcher sonst nur den unsichtbaren Mitbewohnern der Häuser Arkhams vorbehalten bleibt. Den Ratten, dem Ungeziefer und bösen Träumen.
Doch nach einer schrägen Biegung endet der Geheimgang plötzlich in einem offenen Torbogen. In dessen Türrahmen bleibt Lavinia abrupt stehen und blickt nun, im kargen Schein ihrer Öllampe, auf eine durchweg abstrakte Szenerie, welche selbst den verrücktesten Traumbildnissen des Malers und Autors Abdul Alhazred wohl zu kurios erscheinen mögen.
Denn der versteckte Weg führt die Schurkin in einen runden, etwa vier Meter breiten, lichtlosen und von der Außenwelt ebenfalls separaten Raum. Die Wände enden gen Boden in fünf ebenfalls kreisförmig verlaufenden Stufen, welche zentriert zum Flur in der Mitte hinab führen. Dort reflektiert im Kegel der Lampe ein filigranes Muster aus farbigen, verschlungenen Linien, welche sich um ein großes Pentagram winden, welches wiederum das Zentrum des Zimmers bildet. In der Mitte des fünfzackigen Sternes steht ein pechschwarzes Podest. Darauf erfasst Lavinia einen Anblick, der jeglichen, aufgeschlossenen Kritiker des Übernatürlichen als Lügner beschwichtigt!
Im ersten Moment traut sie ihren Augen kaum, doch wahrhaftig verändert sich der Gegenstand kaum, als die Diebin mehrmals blinzelt um ihren Blick zu schärfen. Denn zentral in einer Schale, direkt auf der Oberseite des schmalen Altars... Sitzt ein...
Teddybär?!
Ein Spielzeug, wie es jedes Kind Kromdales zur Feier des Vikentori bei den Eltern bitterlich erfleht! Doch das ist nicht alles. Der etwas über proportionierte Kopf des Stofftieres sitzt auf einem nicht einmal halb so großen Körper, der wiederum in zwei großen, plumpen Füßen- sowie einem Paar Stummelärmchen endet. Die Knopfaugen, welche an dem Ende der mundlosen Schnauze sitzen bilden mit der runden Stirn und den beiden, kugeligen Ohren einen eigenartig genervten Ausdruck und spotten damit jeglichen handelsüblichen Stoffbären, welche freundlich und kindgerecht-grinsend zum Spielen einladen.
Als Lavinia den Gegenstand weiter betrachtet, fällt ihr Blick sofort auf den großen, glasklaren Diamanten, welcher an einer Art Kette um den Bauch des Bären geschnallt ruht. Moment mal... DIAMANT? Die Diebin braucht nicht das geschulte Auge eines Hehlers um nicht sofort zu erkennen, dass ein Stein dieser Größe mehrere ZEHNTAUSEND Goldmünzen wert ist! Mit diesem Geld wäre das Leben Lavinias- und das ihres Freundes Jack für immer abgesichert und die Zeit der Kriminalität würde der Vergangenheit angehören! Sie könnten sich bei den New Bowerstone Basterds freikaufen, vielleicht ein kleines Häusschen in Godrien mieten und endlich glücklich werden. Ihren Schattenseiten für immer den Rücken kehren...
Erschrocken reißt sich Lavinia selbst aus den Gedanken, als ihre Augen zur Decke des runden Zimmers wandern. Dort, in der Dunkelheit befestigt hängen duzende, silbrig schimmernde Schwerter, welche mit der Klinge direkt gen Boden - dem Pentagram entgegen deuten.
Was hat das alles nur zu bedeuten? Wer kettet einen solchen Klunker an den Bauch eines Stofftieres und versteckt es in einem so abstrakten Geheimzimmer? Lavinia wird das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht das ist, was es auf den ersten Blick zu sein scheint. Doch vor ihr liegt unendlicher Reichtum...
Nur einen Schritt und einen Handgriff entfernt.