Irene, Abraham und Isamu Tanaka
Der Schauspieler wusste, er würde nicht allzu lange an der Statue hängen bleiben können, bevor seine schmerzenden Arme den Halt verlieren- und er somit ebenfalls nach unten stürzen würde. So tat er das Einzige, was in seinen Augen noch eine Chance versprechen würde... Er griff nach dem Lanzenarm der Rüstungstatuette, zog den Oberkörper daran hoch und beugte sich nach vorne; bevor er sich plötzlich von der Stange abstieß und schaukelnd nach vorne schwang. Auch wenn all seine Gedanken sich vehement dagegen sträubten- Tanaka zwang sich dazu, am Gipfel seiner Fliehkraft die den sicheren Halt jener Statue einfach los zu lassen. Er sauste die übrigen zwei Meter durch die Luft und prallte hart gegen jene Steintüre, welche noch bevor er überhaupt hätte nach dem Griff fassen können, durch die Wucht nach innen nachgab. Die Angeln schepperten in ihren Fassungen, während Tanaka mit dem Gesicht vorne über auf einem samtenen Untergrund aufprallte. Regelrecht weich federte sein Körper auf dem Boden auf, ein Gefühl, welches er aus seinem - so unendlich weit enfernten - alten Leben bereits kannte.
Das 'Wort der Hoffnung' Irene Tanner verließ sich beim Überwinden des Abgrundes weniger auf ihre Geschicklichkeit, als mehr auf die stählernen Sehnen ihrer schier übermenschlich trainierten Muskeln. Sie kletterte behutsam dem Barden hinterher und stieß sich, weit nach vorne gelehnt, erst gänzlich am Ende ihrer Reichweite ab, nur um mit den metallernen Fingern sofort Halt an jener, nun offen stehenden, Türschwelle zu finden. Auch sie befand sich nun jenseits des Durchganges und blickte nun, gemeinsam mit Tanaka, auf einen samtenen, scharlachroten Teppich mit gold-karierten Kränzen, welcher sich auf einem langen, aus dunklem Holz bestehendem Gang entlang schlenderte. Die Wände zu den Seiten waren zu feinstem Stuck geschnitzt und wurden durch niedrige, reich verzierte Gaslaternen in dimmes Licht getaucht. Der fensterlose, edel geschmückte Tunnel bog etwa neun Meter weiter scharf nach links. Während der Schauspieler sich wieder aufrichtete, drang plötzlich das - für Tanaka vertraute - Klingen eines fernen Piano-Flügels an die Ohren der beiden Brigadiere. Die, von schleichenden Moll und langgezogenen Dur Tönen erschaffene, gar zauberhafte Melodie schien direkt von hinter der Biegung zu ertönen.
Abraham hatte zweifelsfrei beobachtet, wie die übrigen zwei Brigadiere den Abgrund überwunden hatten. Er versuchte, dem Beispiel Irenes zu folgen und verließ sich bei den behutsamen Kletterbewegungen absolut auf seine Körperkraft. Er griff am schweren Schild der Statuette um und streckte sich der ausgestreckten Lanze der nächsten Gestalt entgegen- doch als seine Finger danach tasteten, sackte sein linker Stiefel etwas ab und glitt von der farbenprächtigen Wand hinab. Der Acquisitor rutschte zur Seite und prallte hart gegen die Rüstungsplatten, reagierte instinktiv und versuchte sich daran wieder nach oben zu ziehen; leider hatte er den einst so festen Griff am Schild durch den Rückschlag verloren, wodurch ihm nun völlig der sichere Halt dafür fehlte. Wieder schnellte sein Arm nach oben, als sein Körper bereits nach unten glitt... Doch die Hand griff ins Leere und Abraham Harker stürzte in die Finsternis.
Flinkhand, Lavinia und Inspektor Haze
Während der selbsternannte Inspektor Haze, völlig außer sich vor Wut, sich die Kehle aus dem Halse plärrte, fand sein Bruder Flinkhand tatsächlich jenen Gegenstand seiner Begierde und zog diesen aus seinem Rucksack hervor; welchen er dabei wie eine Schwimmboje verwendete. Lavinia hielt sich mit Müh und Not über der Oberfläche, tauchte immer wieder mit dem Gesicht hinab; nur um sich prustend wieder nach oben zu stoßen. Ihre Bewegungen in dem unterirdischen Gewässer hallten förmlich in jener noch unbekannten Kaverne und brachen sich an noch ungesehenen Wänden, welche plötzlich von der kleinen Lichtquelle Flinkhands erhellt wurden. Die Drei erkannten, dass sie sich in einer Art Zisterne oder Tank befanden. Kreisrund, etwa fünfzehn bis zwanzig Meter in der Diagonale, erstreckten sich rostige, Messing-farbene Metallwände um sie herum zu den Seiten und nach unten. Die Decke verlief schräg etwa vier Meter weiter nach oben und formte sich an ihrem Zenit zu einer langen Linie, welche in etwa mit den Maßen jenes Gemäldeganges übereinstimmen musste. Das Wasser, in welchem sie sich befanden, ähnelte sehr dem Graben, der sie als Erstes nach ihrer interstellaren Reise begrüßt hatte. Es war klar genug, dass zumindest die Kobolde ihre strampelnden Füße in dem Licht erkennen konnten; doch der Grund des Beckens blieb bisweilen außer Sicht, wodurch die Tiefe des Bassins ihnen in diesem Augenblick noch unbekannt war. Von ihrer Position aus, die Köpfe gerade so über Wasser gehalten, erkannten die drei keinerlei Eingänge, Schächte oder Öffnungen.
Plötzlich drang ein fernes Poltern an ihre Ohren, als von einem Moment auf den anderen ein bekanntes Gesicht unbeholfen gegen eine ferne Wand stieß und schließlich durch die Öffnung in der Decke direkt nach unten in das kühle Nass stürzte. Der Acquisitor Abraham schien ihr Schicksal zu teilen, als er mit den Stiefeln zuerst, nicht weit ab von dem Bastler Flinkhand, durch die Wasseroberfläche drang; von einem tosenden Platschen begleitet.
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