Harry las Henrys Zwei-Wort-Nachricht und runzelte die Stirn. Das klang nicht glücklich. Er sah zu dem Freund hinüber: der sah auch gar nicht glücklich aus. War es die gefährdete Unschuld der Dame oder das ausstehende Gespräch mit Tai'Lor, das ihm so mißfiel? Oder beides? 'Weder das eine noch das andere ist meine Schuld', hätte Harry am liebsten zurückgeschrieben, doch das klang kindisch.
Er lauschte der Priesterin. Aha, es fehlten also nur die Erinnerungen an das Ritual und den Todeszeitpunkt selbst. Auch wenn Harry sich zu diesem Zeitpunkt der Ermittlung noch nicht auf eine Richtung festlegen wollte, so hielt er als erste Hypothese zunächst einmal fest, dass es dem Täter eventuell um das Einfangen des Schmerzes, der Todesangst, des Horrors seiner Opfer ging.
Auf die Worte des Inspektors dagegen schossen Harry gleich neue Fragen in den Sinn, doch zögerte er. Die Vermutung, die sich ihm aufdrängte, würde die Leute wohl sehr beunruhigen. Und vielleicht lag er ja ganz daneben. Für ihn sah es jedoch so aus: drei Morde mit drei Tage Abstand, da käme nun zwangsläufig die nächste Stufe der Eskalation. Schließlich muss der Täter sich ja steigern, zum Höhepunkt des Ganzen hin. Zum Beispiel so: erst drei Morde mit drei, dann zwei Morde mit zwei Tagen Abstand, und ein letzter dann—das Finale schon?—nach einem weiteren Tag. Das machte sechs Morde in zwölf Tagen. Die sechs passte zum Pentagram (fünf Spitzen + Mitte), aber die zwölf sagte Harry so gar nichts. Eine besonders heilige Zahl, schon bei den Babyloniern und den alten Griechen. Hier vielleicht eine dämonische Zahl? Außer, es kam dem Täter auf die Elf an—des Teufels Dutzend—also fünf Morde in elf Tagen als Vorbereitung, gefolgt vom grande finale. Ach, das Raten machte keinen Spaß, wenn man sich so gar nicht auskannte.
"Zahlenmystik spielt bei dem Ritual also offenbar eine Rolle. Hat die Drei denn eine besondere Bedeutung in den verschiedenen Kulten und Glaubensrichtungen hier? Oder auch die sechs und die zwölf? Die Fünf und die Elf? Ist eine davon besonders... unheilig?"
Kaum stand die Frage im Raum, da ärgerte Harry sich, den Mund schon wieder aufgerissen zu haben. Das hätte er besser Aria fragen können. Oder in der Magischen Akademie erforschen. Außerdem werden die Herren Ermittler da bestimmt selbst drangedacht haben. War es überhaupt schlau, bei diesem Fall—und so ganz ungebeten—helfen zu wollen? Sollte er nicht besser alles daransetzen, möglichst unauffällig zu bleiben, zumindest so lange, bis man sich mit der Stadt und ihren Bewohnern, den Gebräuchen und Machtstrukturen, den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, und vor allem auch mit der hiesigen Magie vertraut gemacht hatte.