Als Manik in den Verschlag tritt und Bosol die Neuigkeiten mitteilt, schüttelt der Mann zunächst nur mit dem Kopf. "
Nein", murmelt er. "
Ich hatte doch gesagt, nicht nach Dorwida, die werden mich umbringen...", doch schon hat der Waldläufer ihn gepackt und hilft ihm aus dem Wagen und herunter. Bosol humpelt immer noch aufgrund der Bauchwunde - die Bauchmuskulatur ist in Mitleidenschaft gezogen. Doch auf den herrischen Hinweis von Tarqetik hin, springt Kirus vom Kultschbock hinunter und stützt den Mann auf der anderen Seite. So machen sich die drei auf zum Eingang.
Die Kommandantin verzieht das Gesicht, als sie den Verletzten sieht, verzichtet aber auf Einwände und Fragen. Anscheinend soll der Rest drinnen geklärt werden. Als Manik am Eingang sein Langschwert abgibt, aber den Bogen behalten will, schaut der Mann namens Nardin fragend zu Ejdarn. Diese steht gerade hinter der kleinen Dreierkette aus Manik, dem verletzten Bosol und Kirus. Sie macht einen Schirtt auf die Rücken zu und ergreift mit der Rechten die gefiederten Pfeilspitzen, die am Rücken des Waldläufers aus dem Köcher schräg nach oben ragen.
"
Du kannst den Bogen gerne behalten, wenn es unbedingt sein muss", sagt sie. "
Uns reicht es, wenn die Pfeile hierbleiben." Mit diesen Worten zieht sie die Geschosse aus dem Köcher und drückt sie dem anderen Soldaten - Jorik - in die Hand. Doch die Szene hat auch ihr Gutes. Anscheinend hat niemand bemerkt, dass Manik noch einen Dolch bei sich trägt.
Als der Waldläufer, zwar unwilligen Schrittes, aber dennoch mit den beiden Begleitern ins Rathaus tritt, folgen auch Sanjan und Elrynor. Beide geben die Waffen zügig ab und verschwinden im Inneren. Dem Elfen sieht man an, dass er so schnell wie möglich aus der Reichweite des Mobs gelangen will.
Als nächstes ist Basilio an der Reihe und gibt seine Waffen ab. Nardin nickt dem Koraker zu und nimmt die Klingen entgegen. Anscheinend hat ihn noch niemand erkannt, denn die Wachen verhalten sich ruhig. Dann ändert sich der Gesichtsausdruck der Wache und Basilio ahnt schon Schlimmes. Wodurch hat er sich verraten? Er hat doch nichts getan?
Ein Schatten fällt auf Nardin und liefert die Erklärung. Basilio kann erleichtert aufatmen. Die Anspannung im Gesicht des Soldaten gilt nicht ihm, sondern Barkas. Der Ukhtark ist neben Basilio getreten, und nickt ihm kurz zu, als dieser ihn auf die Bezeichnung "Kargifreund" hinweist.
Sein Blick ist grimmig, die orangenen Pupillen fixieren den Soldaten. Basilio bemerkt, dass Barkas im Gegensatz zu seinem älteren Bruder nicht besonders hochgewachsen ist. Doch die immense Schulterbreite des Ukhtark verfälscht diesen Eindruck. Seine Brust- und Rückenmuskeln wölben sich wie Berge über dem mächtigen Rippenkorb und Schultern und Nacken erinnern an die eines Ochsen. Selbst unter den Kargi ist der
Hirogul eine imposante Erscheinung und für Nardin muss es so aussehen, als würde ein Bulle hoch über ihm aufragen.
Der Koraker erinnert sich, dass Barkas erst vor wenigen Tagen in Gefangenschaft war und dem Tod in die Augen geblickt hat. Und nun fordern Menschen, die einen seiner Kameraden im Kampf getötet haben und einen weiteren zum Tode verurteilen wollen, ihn auf, seine Waffen abzugeben und sich ihnen auszuliefern. Keine leichte Entscheidung.
Doch der
Hirogul wird damit fertig. Sein Blick wandert zu dem kleinen Haufen Waffen, den die Gefährten bereits abgegeben haben und dann noch einmal zu Basilio. Schließlich greift er kopfüber, zieht das mächtige Bastardschwert aus der Scheide und reicht es wortlos an Nardin. Der Soldat schluckt und nimmt die Klinge entgegen. Dann folgen Schild und zwei Dolche. Daraufhin dreht sich Barkas um und nickt Lihana Ejdarn zu. Immer noch stumm tritt er ins Rathaus.
Als letzter kommt Tarqetik an die Reihe. "
Ha!" - Die Kommandantin lacht kurz auf, als sie die schelmischen Worte des Kriegers hört. "
Ich habe einen anderen Vorschlag. Ihr geht jetzt da rein und sagt was ihr zu sagen habt. Falls ihr keine Schwierigkeiten macht und auch noch wirklich etwas sinnvolles zu dieser Sache beitragt, gibt es von mir einen festen, freundschaftlichen Händedruck."
Damit betritt die Gruppe geschlossen das Gebäude. Jemma bindet noch schnell die Pferde an und folgt den anderen.
* * *
Im Rathaus angekommen, gelangt die Gruppe durch einen kurzen Korridor zum Sitzungssaal. Dieser ist voll besetzt - sechs Reihen von Zuschauern haben auf den Bänken Platz genommen und blicken auf das Podium. In der Mitte - auf einem erhöhten Sessel und vor einem ebensolchen Pult, sitzt ein Mann in schwarzer Robe. Das dunkelgraue Haar ist noch leicht von schwarzen Strähnen durchzogen. Es ist kurzgeschnitten und bildet einen Kontrast zu den meisten Frisuren im Raum. An den Seiten findet es nahtlos den Übergang zu einem ebenso gepflegtem Vollbart. Die Haut ist dunkel, macht einen wettergegerbten Eindruck und verrät zumindest Beimischungen von Dejy-Blut. Die stramme Haltung und - so weit sichtbar - der immer noch gut in Form befindliche Körper unterstreichen den asketischen Eindruck. Das muss wohl Richter Anis sein, von dem Ejdarn gesprochen hat.
Für den Betrachter links vom Richter stehen ein halbes Dutzend Stühle, auf denen weitere Männer Platz genommen haben. Gleich neben dem Richter sitzt Bürgermeister Hiram Sulu in beiger Robe. Es folgen weitere Ratsherren. Die meisten sind in Sulus Alter - Männer jenseits der Vierzig oder Greise. Nur einer ist jünger - ein Mann mit kurzem braunen Haar.
Rechts vom Podium stehen zwei weitere Soldaten und der Scheriff des Ortes, Gelspad, um die Anklagebank herum - einem klobigen Holzklotz, der mehr an einen Block auf dem Marktplatz, als an ein Pult erinnert. In das Holz ist ein metallener Haken eingelassen, von dem eine Kette nach oben führt und die Handgelenke des Angeklagten umschließt. Und da steht er - ein hochgewachsener, ungewöhnlich schlanker Kargi. Nicht so muskulös, wie Barkas, aber dafür drahtig und ausdauernd. Schnittwunden ziehen sich über die grünliche Haut, ein Bluterguss zeichnet sich Blau ab an den Rippen. Das langgezogene Gesicht wird von einer schwarzen, lockigen Mähne umrahmt, die feuerroten Pupillen sind trotzig in die Menge gerichtet. Das muss Desto sein.
Als die Gruppe hereinkommt, richten sich alle Augen auf die Gefährten. Ein Raunen geht durch die Reihen, als Barkas ausgemacht wird. Einige der Anwesenden springen auf. Die Soldaten legen die Hände an die Schwertknäufe und Fragen werden gebrüllt, bis Lihana Ejdarn mit erhobenen Händen die Menschen beruhigt.
"
Barkas! Alam ko na hindi mo ipaalam sa akin pababa, kapatid na lalaki!"
[1], schallt es plötzlich durch die Halle. Es ist der Gefangene, dessen rissige Stimme - typisch für die Ukhtark - durch den Raum trägt.
Der Hirogul schluckt, als er seinen Kameraden sieht. "
Hindi sa buhay na ito o sa susunod na mga kapatid na lalaki.", ruft er. "
Ang iyong kapatid, ang iyong ama, kami ay handa na ang lahat. Kami ay labanan ang kanilang mga paraan kung kailangan maging."
[2]Der laute Knall des Richthammers schneidet durch Barkas' letzte Worte und beendet gleichzeitig das Gemurre in der Halle. "
RUHE!", donnert Richter Anis. "
Was bei Tartaros geht hier vor, Kammandantin?"
Lihana Ejdarn tritt vor. "
Richter Anis, diese Männer behaupten im Auftrag von Jaresh Dorguln mit den Kargi verhandelt zu haben. Sie behaupten, wichtige Neuigkeiten zu bringen. Neuigkeiten, die im Bezug auf die heutige Verhandlung von Bedeutung sind und vor Gericht gehört werden sollen."
"
Ihr habt es tatsächlich geschafft!" - ein alter Mann ist aufgestanden und schaut freudig zu den Gefährten. Sanjan, Manik und Tarqetik erkennen die graue Mähne und das freundliche Lächeln von Jaresh Dorguln. Der Dejy wendet sich an den Richter. "
Varoth..., Richter Anis - diese Männer sagen die Wahrheit. Ich habe sie vor einer Woche angeheuert, mit dem Auftrag, mit den Ukhtark zu sprechen und die Wahrheit über die Überfälle ans Licht zu bringen. Ich bitte das Gericht, sie anzuhören."
"
Das ist doch lächerlich - hör endlich auf damit, Onkel!", ruft der junge Mann aus dem Podium. Bürgermeister Hiram Sulu hebt beschwichtigend die Hände. Als der junge Mann wieder schweigt, wendet er sich ebenfalls an den Richter. "
Richter Anis, die Verhandlung läuft bereits, wir sollten sie nicht durch Aussagen unglaubwürdiger Quellen verfälschen. Die Beweislage ist doch eindeutig genug?"
Für einen Augenblick kehrt Stille ein. Alle warten auf die Entscheidung des Richters. Doch bevor dieser etwas sagen kann, macht Barkas zwei Schritte nach vorn. Nardin und Jorik stürmen vor und halten ihn an den Armen zurück, aber der Ukhtark geht in seiner Wut noch weitere zwei Schritte und schleift die Männer mit, bevor er zum Stillstand kommt. Die Zuschauer in den letzten zwei Reihen springen verängstigt auf und weichen zurück. "
Desto hat nichts getan!", ruft Barkas. "
Lasst mich sprechen!"
Die Stimme des Kargi donnert durch den Raum. Schwer atmend hält er inne und schaut zum Richter. Der Mann bleibt erstaunlich gefasst und erwidert den Blick ruhig. Ein paar Sekunden vergehen, dann schlägt Richter Anis noch einmal mit dem Hammer auf das Pult. "
Also gut. Das hier ist eine Halle der Gerechtigkeit. Jeder soll gehört werden. Sprecht. Sagt, was ihr zu sagen habt."