Santiago, September 2595, eine knappe Woche vorher(© Khenubaal)
Cesare betrat den abgedunkelten Raum wie immer durch den Hintereingang. Die Fenster waren mit rotem Stoff verhangen, die Sonne zeichnete darauf durch die Fenstergitter hindurch orangene Vierecke. Die Luft war schwer und roch nach Wein, Schweiß und Erregung.
Lodovico erhob sich von den Kissen des Himmelbetts und gab Celina einen Klaps auf den nackten Hintern. "
Lass Cesare und mich kurz allein, Süße", sagte der Rabe mit einem Lächeln und zwirbelte den dünnen Schnurrbart.
Celina lächelte ihn schelmisch an. Dann schwang sie die Beine von der Bettkante und landete mit einem Sprung leichfüßig auf den Beinen. Sie sah mit dem gleichen schelmischen Grinsen zu Cesare und warf ihm eine kokette Kusshand zu. Ohne sich die Mühe zu machen, ihre Reize zu bedecken, spazierte die Elster aus dem Raum. "
Aber macht nicht zu lange!" rief sie noch, kurz bevor sie aus dem Raum verschwand.
Als die Tür hinter ihr zufiel, stand Lodovico vom Bett auf und warf sich einen schwarzen Seidenmantel über die Schultern. "
Komm - setz dich", lud er Cesare mit einem Wink ein, während er zwei Gläser Wein aus einer Karaffe am Beistelltisch eingoss.
Der Rabe und der Kuckuck unterhielten sich eine Zeit lang. Der Rabe wollte wissen, wie die Geschäfte laufen und ob der Kuckuck bei seinen Unternehmungen Erfolg hatte, denn am Ende des Tages waren das auch seine Unternehmungen. Der Rabe war der oberste Vogel und wachte über alle anderen Vögel der Schar und damit waren alle Unternehmungen der Schar auch seine Unternehmungen.
Der Kuckuck wusste um seinen Platz in der Schar und gab bereitwillig Auskunft. Er genoss es, dem Raben von seinen Erfolgen zu berichten, denn der Rabe entschied darüber, welcher Vogel welchen Platz in der Schar einnahm. Und der Kuckuck war ehrgeizig.
Schließlich gab der Rabe dem Kuckuck ein Pulver aus einem Blasebalg und forderte ihn auf, es zu probieren. Der Kuckuck gehorchte und atmete die Sporen tief ein, wie er es schon so oft getan hatte. Dann stellte der Rabe ihm die Frage.
"
Und - was sagst du?" Lodovico beugte sich in Erwartung einer Antwort vor. Die Hände waren verschränkt, die Finger ineinander gekreuzt. Cesare zögerte einen Augenblick. Er verstand nicht, warum ihn Lodovico zu so etwas banalem, wie Burn befragen wollte, wartete auf die altbekannte Aufwallung von Wärme, die sich von seinem Unterleib aus über den Körper ausbreiten sollte, doch diese blieb aus. Hatte er etwa nicht genug Sporen inhaliert? Einige Augenblicke vergingen. Dann schien ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit sich auszubreiten. Ihm kam es so vor, als würde wohltuende, heilende Wärme von seinem Brustkorb aus seinen ganzen Körper durchfluten. Er keuchte bei der unerwarteten Reaktion - so etwas hatte er noch nie inhaliert.
"
Was zum Teufel ist, Lodovico?" fragte er. "
Es ist anders, ganz anders."
"
Worauf du Gift nehmen kannst!" antwortete Lodovico mit einem breiten Grinsen. "
Du hast es noch nie vorher probiert, Cesare. Ich glaube, auch sonst keiner in der Schar, außer mir. Und ich hatte es vorher nur ein einziges Mal. Kein Wunder - das Zeug kommt von westlich des Sichelschlags, das gibt's hier bei uns so gut wie nie." Der Rabe schlug mit der flachenhand auf den Beistelltisch, dass eins der Gläser umkippte. "
Das ist Eintracht, Mann - Eintracht! Kein Bion aus Pollen" - eröffnete der Cesare.
Der Rabe redete weiter auf den Kuckuck ein, der - leicht benommen und voller Zufriedenheit durch die Sporen - ihm aufmerksam lauschte. Der Rabe sagte dem Kuckuck, dass ein Geschäftsfreund aus Hellvetika ihm den Blasebalg geschickt hatte. Einer, der regelmäßig bestes Bion als Geschenk an ihn verschickte. Aber dieses Mal hatte der Geschäftsfreund das hier geschickt. Ohne Erklärung. Ohne Vorwarnung. Der Geschäftsfreund inhalierte die Sporen selbst nicht - seine Arbeit waren Grubenkämpfe. Er war einer der Veranstalter in Tal in der Territorialregion I. Der Rabe wusste nicht, was die fränkischen Sporen bedeuteten - ob es ein Hinweis war, oder Zufall. Doch er wusste etwas anderes:
"Wir müssen rausfinden, ob das eine versprengte Lieferung ist - eine einmalige Sache, oder ob es jetzt ein regelmäßiges Angebot an Eintracht in Tal gibt. Wenn es eins gibt, dann müssen wir diejenigen sein, die es nach Purgare liefern" Lodovico packte Cesare am Kragen und redete auf ihn ein. "
Cesare, verstehst du das? Wir wären die einzigen, die es anbieten - Monopolisten! Wir könnten das Fünffache, vielleicht sogar das Zehnfache verlangen. Wenn die Lieferung groß genug ist, würden wir in einem Jahr mehr verdienen, als in all den letzten Jahren zusammengenommen."
Endlich ließ der Rabe Cesare los und setzte sich wieder. Er stellte den umgefallenen Weinbecher wieder auf und goß beiden ein. "
Ich will, dass du herausfindest, ob es noch eintracht in Tal gibt, wer es liefert, was es damit auf sich hat", sagte er nun wieder gefasst. "
Und dass du - falls möglich - einen Deal für die Mauersegler aushandelst."
~~~
Außerhalb von Santiago, September 2595, heuteKrank im Kopf! Das musste er sich von einer Eule sagen lassen. Obwohl Jehan ihm ja etwas ähnliches an den Kopf geworfen hatte. Und Lodovico auch, gerademal zwei Tage war das her. Was fühlten sich plötzlich alle bemüßigt, seinen Geisteszustand zu kommentieren?
Er sah das anders. Er war nicht krank im Kopf. Sein Inneres, da, wo sein Ich kauerte, das keine Maske trug, war ein großer leerer Raum. Rings an den Wänden hingen Spiegel, in Reihen standen sie kreuz und quer und überall dazwischen, und keiner darunter, der nicht zerbrochen oder verbogen war: ein Labyrinth aus Spiegeln, in dessen Herz keinerlei Erkenntnis verborgen lag, das dem, der sich hineinwagte, keinerlei Wahrheit zu bieten hatte außer zersplitterten Zerrbildern seiner Selbst. Und je tiefer man hineingeriet, desto lauter hallten von allen Seiten die Stimmen und Schritte wider, entleibte Klänge, zerworfene Geräusche, und irgendwo in der Nähe, obwohl man es nie traf und wenn man noch so sehr danach suchte, da weinte ein Kind.
Aber je länger er über die eigentliche Frage nachdachte: das mit dem Auftrag würde wohl nichts werden. Cesare hatte sich ohnehin schon sehr gewundert, dass Lodovico ihm eine derart wichtige Sache auftrug und zutraute. Bisher hatte Cesare, bei aller Schönrederei, nur viele kleine Deals von lokaler Tragweite abgeschlossen. Vielleicht wollte der Rabe ihm ja eine Chance geben, sich in einem Spiel mit höherem Einsatz zu beweisen. Wahrscheinlicher war aber, dass er Cesare nur deshalb damit beauftragt hatte, weil alle anderen seiner Burnschmuggler—also die mit Erfahrung in Pollen, dem Balkhan oder auch nur den Feldern im eigenen Land—dass diese Leute zurzeit nun einmal alle unterwegs waren. Außerdem war Cesare von den Vögeln, die sich zurzeit im Nest befanden, der einzige, der auch nur ansatzweise Borcisch beherrschte. In seiner venezianischen Kindheit war es in der Schule schon bei den Kleinsten Pflichtsprache gewesen, von wegen Domstadt und "Sprache der Erleuchteten" und so weiter. Gelernt wurde ausschließlich das Vokabular der Wiedertäufer-Schriften... ganze Passagen davon konnte Cesare heute noch auswendig.
Trotzdem: der Rabe konnte seinen Entschluss genausogut noch ändern. Zumal die Karten sich im Hinblick auf das geplante Unternehmen, in Lodovicos Worten, "entschieden unentschieden" gezeigt hatten.
Was für ein Mumpitz, hatte Cesare gedacht. Nun war er sich gar nicht mehr so sicher.
Beten tut Jehan für mich. Täglich.~~~
Santiago, September 2595, vor zwei TagenAls Cesare das zweite Mal innerhalb weniger Tage in das Zimmer des Raben gerufen wurde, wusste er sofort, dass etwas anders war. Keine Elster räkelte sich im Bett, Lodovico saß voll bekleidet am Tisch, noch dazu in seinem offiziellsten Staat: ganz in schwarz natürlich, das Seidenhemd leicht bläulich schimmernd, dazu ein weiter, taillenlanger Umhang—auch Rabenflügel genannt—und an einem Band im schulterlangen Haar das Bündel aus neun Rabenfedern, eine für jeden Vogel in der Schar. Dazu brannten Kerzen in noch verschwenderischerer Fülle als beim letzten Mal, sodass an allen Wänden Schatten tanzten.
Und auf dem Tisch vor Lodovico lag das Tarot-Deck bereit.
"Ach, kleiner Kuckuck, nun schau doch nicht so, als hättest du Zahnschmerzen. Dachtest du, du könntest mich auf immer vertrösten? Ich weiß, du misstraust diesem Spiel, weil du das von deiner alten Schar her nicht kennst, aber wäre es dir denn wirklich lieber, es ginge hier in allen Dingen so zu wie dort? Komm, setzt dich und mach die Tür zu. Hier, die erste Karte in einer privaten Lesung zieht derjenige selbst, denn sie steht für ihn selbst." Und er streckte Cesare mit beiden Händen Karten entgegen, elf pro Hand, säuberlich aufgefächert.
"Zieh eine Karte und erkenne dein Wesen."Cesare, der die ganze Rede unbewegt über sich hatte ergehen lassen—und mit Sicherheit das Gesicht nicht verzogen hatte, als plage ihn ein Zahnschmerz—tat, wie ihm geheißen. Je schneller die Sache vorbei war, desto besser.
Dabei war es nicht einmal so, dass er das Kartenlegen nicht als Machtinstrument und Manipulationsmittel sehr faszinierend fand. Wenn er sich vorstellte, eines Tages selbst einmal Rabe einer eigenen kleinen Schar zu sein, so würde er sich das Ganze sicherlich einmal anschauen. Wenn es half... Und das tat es. Cesare hatte zwar noch nie eine private Lesung erlebt, aber vor jedem nicht ganz banal-alltäglichem Unternehmen befragte der Rabe seine Karten nach dem voraussichtlichen Gelingen der Aktion oder mit was für Schwierigkeiten zu rechnen sei, damit die Beteiligten sich besser darauf vorbereiten könnten. Wie abergläubisch die anderen Vögel sich um ihn scharten und gierig jedes seiner Worte aufschnappten! Selbst die, von denen man ansonsten denken würde, die seien völlig abgebrüht—es war unglaublich. Von daher sollte Cesare eigentlich ganz genau aufmerken, wie Lodovico das handhabte. Dummerweise hasste er es—so gerne er sie selbst anwandte—sich selbst auf der Empfängerseite derartiger Psychospielchen zu sehen.
"Und gleich aufdecken!" drängte Lodovico, während er acht Räuchstäbchen anzündete, sie in eine flache Schale mit Sand steckte und zu Cesare hinüberschob. Ihr stechend-schwülstiger Duft stieg diesem schon nach wenigen Atemzügen zu Kopf wie ein schwerer Wein.
"Mach schon!" Und er begann, die restlichen einundzwanzig Karten sorgfältig unter sein Deck zu mischen, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen.
Cesare gehorchte abermals—und starrte lange auf die groteske Gestalt, die er aufgedeckt hatte.
Lodovico aber tat einen befriedigten Seufzer.
"Ah. L'aberrante. Das liegt also unter deinen vielen Masken. Ich war mir uneins: l'eretico könnte es auch sein, dachte ich mir, wenn nicht il dominatore oder il conquistatore. Aber nein, jetzt sehe ich, dass es l'aberrante sein muss."Wider Willen fasziniert, starrte Cesare noch immer auf die Karte, während Lodovico schon damit begann, weitere Karten verdeckt um sie herumzusortieren.
Eine annähernd menschliche Gestalt, bekleidet mit nichts als einem zerlumpten Lendenschurz, muskelbepackt, die Haut ledrig grau und mit den verschiedensten Falten, Taschen oder Dornen bestückt, Kiemen am Hals, der Kopf amphibisch, über dem gespaltenen Kinn ein Maul voll dünner spitzer Zähne, und glubschige Froschaugen dort, wo die Ohren sein müssten. Der linke Arm der Kreatur war halbwegs normal, darin hielt er ein Henkersbeil, der rechte Arm aber war eine grässliche Mutation, als hätten sich Mensch und Insekt gepaart: einer riesigen Gottesanbeterin hätte er besser gestanden als einem Mann.
"Das bin also ich", sagte Cesare trocken.
"In den Tiefen deiner Seele? Ja", antwortete Lodovico und legte die letzte Karte quer über die erste.
Dreizehn Karten lagen nun zwischen den beiden auf dem Tisch und bildeten das gebrochene Kreuz der Wiedertäufer. Der längere Balken zeigte auf Cesare. Und dann begann die Lesung. Und hier zeigte sich nun, dass es ein sehr seltsames Kraut war, dessen Rauch dem Kuckuck da in die Nase stieg: denn so schwebend benommen er sich zu dem Zeitpunkt auch fühlte, dass er die Worte des Raben kaum zu fassen bekam, so klar und deutlich sollte er sich später daran erinnern, als er im Schatten einer Zypresse lag, aus selbstzugefügten Wunden blutend.
Doch jetzt folgte sein Blick in hypnotischer Andacht, dabei nahezu verständnislos, den flinken Fingern des Raben, der die Karten in einer bestimmten, für ihn sinnreichen Reihenfolge aufdeckte und dabei jeweils vor dem Aufdecken ankündigte, mit welcher Fragestellung die folgende Karte sich befasste. Nach dem "Spiegel deiner Seele" (l'aberrante) folgten also in ebendieser Reihenfolge, wozu die Hand des Raben aber wild auf dem Kreuz herumsprang:
"Darum geht es—il conservatore! Gerettet werden willst du, will deine Seele. Dazu muss getan werden: il cercatore! Eine lange Suche steht dir bevor. Und am nächsten Punkt führt dabei kein Weg vorbei—ah, Cesare, il bruto! Das Tier, das Tier, das in dir steckt, es steht dir im Weg, nicht einmal du selbst kannst es umgehen. Und die nächste Karte ändert alles—la morte! Ah, mein Junge, kein gutes Blatt soweit: L'aberrante, il bruto, la morte! La morte: ein Verlust, eine Trennung, vielleicht gar wörtlich ein Tod, in jedem Fall aber eine Erkenntnis, die zu spät kommt.
Doch was weiß die nächste Karte? Dies wird erkannt: la penitenza! Und so geht es weiter: l'avventuriero. Du bereust also und ein Abenteuer folgt. Das klingt doch schon besser. Was musst du tun?—la spada! Das hätte ich mir denken können: Eine Entscheidung wird dir abverlangt, egal wie sehr du dich davor scheust; wer ein Schwert führt muss wissen, was er damit tun will. Und was lässt du lieber bleiben?—il conquistatore! Ja, man darf sich halt doch nicht immer alles nehmen, ohne zu fragen, bloß weil man's haben will. Denn das hier steht dir bevor, Cesare: il tribunale! Oh weh, Cesare, mit dir selbst wirst du ins Gericht gehen, gnadenloser als ein Mitmensch das könnte! Doch was wäre die Alternative?—il boia! Der Scharfrichter, Cesare, da hast du's, das ist deine Wahl: entweder werden andere über dich richten oder du selbst, aber gerichtet wirst du in jedem Fall. Möge der Gott deiner Kindheit sich deiner erbarmen!
Aber gibt es denn gar nichts, was dir jetzt noch helfen könnte? Doch, das hier—il giglio! Ha, was ist das? Die Lilie! Diese Karte hätte ich in deinem Blatt wahrlich nicht erwartet: Reinheit, Unschuld, selbstlose Liebe! Das kann dich jetzt noch retten. Ein Erwachen, Cesare, ein Erwachen der Gefühle, die du so gern niedertrampelst, wo immer du ihren zarten Spross erblickst. Mach weiter so, und du bist verloren.
Jetzt sind wir bei der letzten Karte angelangt: Dies, Cesare, ist dein Einsatz. Dies hast du dem Croupier an deinem Tisch hingeschmissen, nachlässig aus dem Handgelenk, weil du glaubst, leicht verschmerzen zu können, wenn du es verlierst, und verlieren wirst du es, wenn die Karten dir nicht hold sind—la gazza ladra! Die Elster, Cesare! Die Elster wirst du verlieren, wenn du nicht besser auf sie achtgibst, wenn du ihr nicht bald den Wert beimisst, den sie für dich hat. Noch Fragen?"Doch Cesare starrte nur stumm auf die letzte Karte, die quer über der seinen lag und eine Elster zeigte. Im Schnabel hielt sie triumphierend ein Ringlein aus Silber, das sie in einem Kleiderhaufen gefunden hatte, während im Hintergrund auf zerwühltem Bett der Mann lag, dem beides gehörte.
Humbug, dachte er, die Gedanken so schwer, so träge wie die Zunge eines Betrunkenen.
Firlefanz. Ein Trick des Raben, das Spiel getürkt, von vorn bis hinten. Davon lass ich mich nicht mani... mapu... lieren."Unschuld", höhnte er mit schwerer Zunge.
"Wenn das meine Rettung ist, dann bin ich verloren."Der Rabe redete noch eine geraume Weile weiter, erklärte hier etwas, sah da eine Verbindung, hatte auch einmal einen Rat, dann wieder eine Warnung. Die Worte rauschten über Cesare hinweg wie Wellen am Strand, und doch würde er sich später an sie erinnern. Das letzte, was er hörte, bevor sein Kopf vornüber auf den Tisch fiel und er das Bewusstsein verlor, war Lodovicos unzufriedenes Gemurmel:
"Nur darüber, ob das bevorstehende Unternehmen unter einem guten Stern steht, darüber schweigen die Karten sich aus. Da zeigen sie sich entschieden unentschieden."~~~
Außerhalb von Santiago, September 2595, heuteDer Tag verging, die zweite Nacht, der nächste Tag, eine weitere Nacht. Cesares Geduld, für die er sich normalerweise sehr rühmte, wurde diesmal arg strapaziert. Seine Gedanken kreisten auf die einzige Weise, wie Gedanken nun einmal kreisen konnten: im Kreis herum.
Diesmal war es Teresa, die ihn davon erlöste. Auch sie hatte wieder Vorräte für ihn, einen prallen Rucksack voll. Doch Cesare war vor allem ausgehungert nach Neuigkeiten und so stürzte er sich mit Fragen auf sie:
"Ist im Nest alles in Ordnung? Wie geht es Jehan? Was sagt Lodovico zu allem? Was soll ich tun?" Doch obwohl er sich mit Teresa normalerweise gut verstand, blaffte sie zurück:
"Jetzt halt endlich den Rand und lass mich erzählen, so wie ich mir das denk!"Ihre Stimme war heiser, ihre Gesten fahrig zerstreut, und die Augen schien sie nur mit Mühe aufhalten zu können. Genauso plötzlich, wie sie ihn angeschnauzt hatte, umarmte sie ihn gleich darauf.
"Tut mir leid. Die Wache hat uns ziemlich zugesetzt, erst bei den Spitaliern, dann im Nest. Deine Jehan war klasse. Nerven wie Stahl, hätte ich von einer Elster nicht erwartet. Die haben ihr alles abgekauft. Von den Spitaliern hat keiner widersprochen, denen gehen solche Lokaldramen an der Hutschnur vorbei. Haben sich darauf berufen, unsere Sprache nicht so gut zu verstehen, schon gar nicht den Gossendialekt. Dich konnte natürlich nichts retten, von dir hängt jetzt ein ziemlich gut getroffenes Phantombild an jeder Straßenecke mit der Unterschrift: Cesare, gesucht wegen dreifachen Totschlags. Achtung, bewaffnet und gefährlich, nicht auf eigene Faust stellen. Belohnung für jeden Hinweis, der zu einer Verhaftung führt: 1000 Wechsel.""Ist Jehan wieder im Nest?" fragte Cesare.
"Morgen sollen wir sie holen, sagt Doktor Wittich. Ich war vorhin noch einmal bei ihr. Sie lässt dir ausrichten, du sollst nur ja zusehen, dass du ihrer Familie aus dem Weg gehst.""Ich hatte nicht vor, ihnen über den Weg zu laufen. Ich mache mir mehr Sorgen um sie!""Die Schar wird auf sie aufpassen. Überhaupt werden wir in den nächsten Tagen weiterziehen. Für den Fall, dass du ihre Warnung nicht ernst zu nehmen scheinst, soll ich dich bitten, doch ausnahmweise deinen Kopf zum Denken zu gebrauchen: ihre einzige heilige Frau hättest du geraubt und zur Hure gemacht und jetzt auch noch einen ihrer beiden Segen ermordet: selbst der Enkel des Vettersvetter der Kusine des Schwagers ihres Großvaters wird noch hinter dir her sein!"Cesare schwieg kurz, dann fragte er:
"Und was sagt Lodovico?""Lodovico schickt dir dies." Teresa gab ihm einen Brief, bestehend aus einem einzelnen Blatt Papier, gefaltet und mit schwarzem Kerzenwachs versiegelt. Sie umarmte ihn noch einmal.
"Viel Glück, wo immer du hinmusst. Ich pass auf deine Jehan auf. Soll ich ihr noch etwas ausrichten?"Cesare öffnete den Mund. Nach einer Weile schloss er ihn wieder.
Teresa grinste.
"Werd' ich ihr sagen!" Dann verschwand sie in dem vertrockneten Gebüsch, welches das ehemalige Flussufer bewuchs, und Cesare wandte sich dem Brief zu.
Mein kleiner Kuckuck, was für ein Streich! Das hätte keiner hier dir altem Mädchenhüter zugetraut. Außer mir natürlich. Glaubst du mir jetzt? Egal. Es bleibt bei unserem Plan. Warum sollten wir da etwas ändern? In dem Rucksack findest du alles, was du für die Reise benötigst. Viel Erfolg! ~Il Corvo~
P.S. Wenn du keinen Erfolg hast, komm bitte nicht zurück.