Er würde hier also nicht wie geplant raus kommen. Es musste also jemand über Charles gestolpert sein. Hätten Sie nicht wie gewohnt zwei oder drei Wochen brauchen können, um die Leiche zu finden? Dann wäre er wieder in Italien gewesen und damit in Sicherheit. Ein Manzoni wurde nicht einfach so verhaftet. Aber hier? Er würde den Teufel tun und den Preis bezahlen. Nicht angesichts dieses Trunkenbolds und dieser Frau, die ihm all die Probleme verursacht hatte.
Er brauchte einige Augenblicke, in denen er sich bemühte möglichst geschockt zu wirken, dann sprach er wieder: "Charles ist tot? Wann? Wo?" Er atmet einmal tief durch, er kennt die Antwort auf die Frage bereits, aber das würde er sicher nicht verraten: "Das dürfen sie mir natürlich nicht sagen. Also gut, ich werde sie begleiten und ihnen alles sagen, was ich weiß."
Im Büro des Sicherheitschefs angekommen, beginnt er dann mit seiner Geschichte. Der kurze Weg hat ihm geholfen sie etwas besser auszufeilen: "Ich weiß nicht, wie viel Sie schon wissen, also fangen wir ganz vorne an. Vor einigen Monaten bin ich für eine kurze Weile eine "unangemessene Verbindung" mit der Stellvertretenden Stationsleiterin Dr. Roberts eingegagen. War nicht sonderlich geschickt, aber was will man machen. Ich weiß selbst, dass so etwas nicht gut aussieht. Immerhin ist sie in den Kommitees für die Vergabe der Forschungsmittel und man hätte das ganze also Vorteilsnahme auslegen können. Wir wurden irgendwann von einem Lagerarbeiter erwischt, Witwar oder Witaker, glaube ich. Er hat mit seinem Telefon einige sehr geschmacklose Fotos gemacht. Daraufhin habe ich diese Beziehung sofort beendet, aber es war natürlich etwas spät. So wie ich es verstanden habe, hat dieser Mann Dr. Roberts mit den Fotos erpresst, woraufhin sie mich sehr deutlich darauf hingewiesen hat, dass sie sehr wohl die Möglichkeit hat, meinen Aufenthalt hier sehr zu Verkürzen und alles, was ich bisher erreicht habe hinfällig zu machen. Mir blieben wenige Alternativen." Er macht eine Pause, um sich zu sammeln und zu überlegen, wie er am besten weiter machen sollte: "Nun fragen Sie sich sicher, was Charles mit der ganzen Sache zu tun hat. Nun, wie es aussieht ist er ziemlich oft mit diesem Witwar oder wie auch immer er heißt einen Trinken gewesen. Zumindest kannten die beiden sich recht gut. Also hat mich Dr. Roberts "gezwungen" in dessen Quartier nach den Fotos zu suchen. Sie kam gestern morgen ziemlich früh zu mir und hat mir gesagt, Charles sei nicht in seine Quartier und das wäre die Chance für mich, da einzubrechen. Ich hatte ja wenig Alternativen, also habe ich den Hausmeister überredet mir den Schlüssel zu geben. Hab mir ne Geschichte ausgedacht, dass Charles ziemlich betrunken sei und im Labor säße und ich Unterlagen für ihn holen solle, was natürlich nicht stimmte. Also der Teil mit dem Labor, da war ich vorher gewesen und hatte es abgeschlossen, damit niemand zufällig rein stolpert. Aber der Teil, dass er betrunken war schon. Am Abend vorher hab ich ihn das letzte Mal gesehen. Da war er wirklich sturzbetrunken, ist dann aber wieder hinaus gestolpert und hat mich weiter arbeiten lassen. Lebendig, das schwöre ich!"
Erneut atmet er tief durch: "Aber wenn ich drüber nachdenke, hätte er eigentlich in seinem Quartier sein sollen, oder nicht. Naja, scheinbar ist er dort nie angekommen. Auf jeden Fall hat Dr. Roberts mir das ziemlich deutlich gemacht. Also bin ich hin, habe die Akten durchsucht und natürlich keine Fotos gefunden. Dafür aber nen paar ziemlich verdächtige Papiere. Denen ließ sich recht klar entnehmen, dass Charles in irgendwelchen Schmuggel-Aktivitäten verwickelt war und dieser Witwar war sein Komplize, zumindest fing die Unterschrift des zuständigen Hafenarbeiters mit nem großen "Wit" an, den Rest konnte ich nicht so richtig lesen.
Ich hatte keine Fotos gefunden, aber dafür eine Mail von zuhause bekommen. Mein Onkel Roberto ist ziemlich schwer krank und keiner weiß, wie lange er noch hat." Marco ist sich sicher, das diese Geschichte halten würde. Wenn jemand von den Manzonis in Neapel etwas von Onkel Roberto hörte, würden sie schon wissen, was sie antworten mussten. "Also bin ich mit den Papieren zu Dr. Roberts und habe gleichzeitig meinen Antrag auf Sonderurlaub eingereicht. Und damit wären wir bei der Hubschrauberplattform angekommen. Ich weiß natürlich, dass Ihre Aufgabe schwierig ist, aber ich hoffe Sie verstehen auch meine Notlage. Roberto hat mich wie ein Vater aufgezogen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht noch einmal mit ihm sprechen könnte. Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn sie so bald wie möglich meine Abreise gestatten würden."
Der Sicherheitschef mustert Marco noch einmal eindringlich, scheint aber zumindest vorläufig mit der Geschichte zufrieden: "Ich werde sehen, was ich tun kann, aber halten Sie sich bitte vorerst für Rückfragen bereit."