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Geschichte I - Ein normaler Tag in Inaba

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Luther Engelsnot:
Es ist ein warmer Frühlingstag in Inaba, der kleinen japanischen Stadt, welche vor langer Zeit ihren Anfang als Kohlestadt genommen hat, und sich an die Ausläufer eines großes Gebirges schmiegt. Der Schnee ist inzwischen geschmolzen und die Flüsse Talwärts tragen reichlich Wasser, aber zumindest diese Jahr ist eine kleine Flut ausgeblieben und die Götter strahlen milde auf den Ort herab. Die Sonne steht hoch am Horizont und die unzähligen alten Bauten der Stadt erstrahlen in frischer Farbe. Nur eine Tatsache stört das idyllische Stadtbild, riesige gelbe Kräne finden sich im westlichen Teil der Stadt in dem ein merkwürdiger grauer Kasten entstehen soll. Doch zumindest an diesem Tag merkt man davon nichts in dem uralten Wald am Rande der Stadt. Trotz der Tatsache, dass in früheren Zeiten viel der Vegetation für den Bergbau abgeholzt und nur langsam wieder aufgeforstet wird, steht dieser Wald schon seit ewigen Zeiten und blockt das Sonnenlicht teilweise aus. In seinem Schatten finden sich Wunder und Orte aus einer anderen Zeit. Orte wie der kleinen Schrein an dessen Erbauung sind in Inaba wohl Niemand mehr erinnert. Es ist noch früh am Tag und um diesen Uhrzeit ist es hier meist still. Die älteren Leute machen sich meist später auf den Weg und die Jugend interessiert sich selten für das alte Bauwerk und wenn doch, kommen sie meist erst wenn sie das große Gebäude Namens Schule verlassen haben oder wenn ihre Eltern Zeit dazu finden. Es ist die perfekte Zeit um ungestört sein, denn nur wenige Personen sind anwesend. Person wie die Füchsin Kitsuko, die sich um den Schrein kümmern und ihr Hüter ist, der Häsin Arisu, die in direkter Nähe ihren Bau hat, oder dem Hund Takeo, der von Zeit zu Zeit nach beiden schaut und sich mit ihnen trifft. Auch dieser Tag ist solch ein Tag, der verspricht ruhig und beschaulich zu werden.

Kitsuko:
Über einen gewundenen Pfad erreicht man ein paar einfache steinerne Stufen, die eine sachte Erhebung heraufführen. Zu allen Seiten ist sie dicht von Bäumen und Buschwerk gegen Blicke von draußen versteckt. Aber die Hügelkuppe selbst stellt eine freie Fläche dar, die man nach den Stufen durch einen Torii (rotes, geschwungenes Holztor) betreten kann. Ein kleiner, überdachter hölzerner Brunnen direkt neben dem Weg hält die Besucher zur Reinigung an und übers Gelände sind diverse alte und verwitterte Toros (Steinlampen) und Fuchsstatuen verteilt, die nur wenig mehr als 1m hoch sind. Der Balken für die Ema (Holztäfelchen mit Wünschen) schließt direkt an den Brunnen an. In der hinteren Hälfte steht der Schrein selbst, ein fensterloses Holzhäuschen mit umlaufender Terrasse und hölzernem Geländer. Das alles ist auf einem flachen Steinsims errichtet, das man mit fünf Steinstufen erklimmen kann. So erreicht man die saisen-bako (Holztruhe), in die die Gaben entrichtet werden können, daneben hängt das Seil der Glocke, die am Giebel des weit überstehenden, leicht geschwungenen Dach aus Holzschuppen befestigt ist. Die Tür zum Heiligtum ist verschlossen und versiegelt, aber das Gebäude ist etwas langgestreckt und hat eine weitere, verschlossene Tür auf der Rückseite.

Auf der Terrasse stolziert Kitsuko, ihr Fell glänzt geschmeidig orangebraun, selbst in diesem Zwielicht. Als sie der anderen gewahr wird, stellt sie die Ohren auf, steckt ihre Schnauze zwischen dem Geländer heraus und begrüßt sie mit leiser Stimme: "Ah, ehrenwerte Gäste. Welch ein Glanz an diesem heiligen Ort. Ich danke euch für euren Besuch. Gibt es einen Grund für diese Ehre? Oder kann ich euch etwas anbieten?" Sie legt ihren Kopf ein wenig schief und blinzelt.

Arisu:
Bunt schillernd im Licht der Sonne zieht ein Schmetterling seine verwirrenden Bahnen zwischen den Baumstämmen hindurch. Immer wieder leuchten seine Flügel auf, wenn er aus dem Schatten eines der alten Riesen fliegt und durch die Lichtbahnen gleitet, die sich von den unregelmäßigen Lücken des Blätterdachs bis zum Boden erstrecken. Er setzt seinen Weg unbeirrt fort, ungestört im Schutz der Vegetation. Dabei flattert er auch an einem kleinen Hügel am Rand einer Lichtung nahe des Schreins vorüber, den Eingeweihte als einen Kaninchenbau erkennen würden. Wie von einem unsichtbaren Zauber angezogen verharrt er eine Weile vor dem kleinen, nach warmer, weicher Erde riechenden Loch des Eingangs, schwirrt hin und her, bis sich aus dem dunkel eine kleine, feuchte Nase schiebt und nervös schnuppert.

Es dauert eine Weile, bis der Nase ein pelziger Kopf mit zwei langen Ohren folgt. Große, runde Knopfaugen folgen dem Flug des bunten Falters, und ein flauschig wirkendes Kaninchen hoppelt langsam aus dem Bau hinaus. Die Lauscher spielen, während es sich auf die Hinterläufe aufrichtet und sich mit den Vorderpfoten die Nase reibt. Dann schnuppert es nochmals in Richtung des Schmetterlings. "Hallo, du! Bleib doch da..!" Das bunte Tierchen reagiert scheinbar nicht, sondern steigt in die Höhe und flattert über das Gras der Lichtung dahin. Das Kaninchen schaut ihm nach, dann macht es einige rasche Sprünge in das noch vom Tau feuchte Gras und beginnt hinter dem Schmetterling her durch das saftige Grün zu tollen. Die fröhlichen Bocksprünge lassen das auf den ersten Blick rundliche Tier plötzlich flink und behände wirken, als würde es vor Lebensfreude schier platzen.

Takeo:
Auf halber Höhe zwischen Schrein und Kaninchenbau sitzt ein gefährlich aussehender Hund: Ein durch und durch muskulöser Körper mit kurzem, mittelgrauem Fell, ein äußerst kräftig aussehendes Gebiss unter hängenden Lefzen, und dazu noch ein schwarzes Halsband mit silbernen Stacheln. Erst ein Blick in die sanftmütigen Augen des kleinen Kolosses verrät, dass er bei weitem nicht so gefährlich ist, wie er scheint.

Entspannt setzt er sich auf den Waldboden, und beobachtet das Spiel des Kaninchens, bevor er sich dem Fuchs zuwendet. "Die Ehre ist wie immer auf meiner Seite", antwortet er mit dunkler, fester Stimme. "Der Grund für meinen Besuch ist, wenn ich ehrlich bin, das Nachbarskind. Ein Jahr alt, der Kleine, und hat meinen Schwanz als interessantestes Spielzeug der Welt entdeckt."
Er sieht sich um zu seinem kurzen, geraden Schwanz, als wolle er prüfen, ob noch alles an seinem Platz ist. "Ich mag die Menschen, aber die Großen mehr als die Kleinen."

Wer Takeo kennt, weiß, dass dies nicht stimmt, und dass er vermutlich eine sehr, sehr lange Zeit des Schwanzziehens über sich hat ergehen lassen, bevor er in den Wald geflüchtet ist. Im Augenblick aber glaubt er selbst an das, was er sagt.

Dann fällt sein Blick auf den Waldboden unter ihm, und die kleinen Schlappohren stellen sich interessiert auf. "Oh, was ist das denn?" Er scharrt den weichen Waldboden mit seiner linken Pfote zur Seite, bis ein kleines, dunkelbraunes Etwas zum Vorschein kommt. Ein leichtes Grinsen erscheint in seinem Gesicht, als er sich vor seinem Fund auf den Boden legt, kurz daran schnüffelt und ihn dann mit der Schnauze aufnimmt. "Kastanie", erklärt er kauend, "wohl noch aus dem letzten Herbst übrig geblieben."

Plötzlich hält er inne, und die Ohren legen sich schuldbewusst nach hinten. Mit der halb zerkauten Kastanie im Maul schaut er zwischen Arisu und Kitsuko hin und her. "Möchte jemand was abhaben?" fragt er mit vollem Mund.

Arisu:
Das kleine Kaninchen hat das Haschmichspiel mit dem bunten Schmetterling nach einer Weile aufgegeben und hoppelt langsam zu seinen Freunden. Indem sie die Füchsin mustert und sich erneut mit den Pfoten ihre winzige Nase reibt, setzt sich Arisu wie eine winzige Fellsphinx unter das Geländer und schaut zu ihr hoch. "Puh, was bist du heute wieder ernst..!" An einigen Grashalmen mümmelnd meint sie dann undeutlich: "Ein föner Tag heute, waf? Wir follten gemeinfam waf unternehmen!" Darauf wirft sie einen Blick zu Takeo, der mit der halb zerbissenen Kastanie im Maul auf sie hinunter schaut.

Zögerlich hoppelt sie näher an ihn heran, und ihr Näschen zittert nervös, als sie schnuppert. Schließlich rümpft sie es ein wenig. "Vielen Dank, aber ich bleibe lieber bei meinem gewohnten Essen." Dafür macht sie jedoch von einem anderen Angebot Gebrauch, von dem der Hund noch nichts wissen kann, weil er es gar nicht ausgesprochen hat: Sie hoppelt ganz an ihn heran, drängt sich gegen seine Flanke, dreht sich dort einige Male um ihre eigene Achse und hat sich schließlich zu einem flauschigen Pelzball gerollt an ihn gekuschelt. Sichtlich zufrieden mümmelt sie vor sich hin, ihre Knopfaugen blinken aus ihrer gemütlichen lebenden Höhle zu Kitsuko hinauf.

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