Background (Anzeigen)"Wach auf!" rief Kit, während er um sie herum zappelte. Ihr kleiner Bruder war schon Tage vorher aufgeregt gewesen, und konnte die Entsendung offenbar gar nicht mehr abwarten. Man konnte meinen, er würde geradezu hoffen, dass er von Azora getrennt würde.
"Wach auf, wach auf!" wiederholte er und zupfte solange an ihren Tentakeln, bis sie widerwillig aufstand.
"Meinst Du, Du wirst ausgewählt? Meinst Du, meinst Du? Sax sagt, sie wählen sicher Rhesat, weil er so stark ist. Aber ich glaube, sie nehmen Dich!" stieß er, weiterhin um sie herumschwimmend, hervor.
"Ich weiß es nicht!", brachte sie schließlich hervor und unterbrach seinen Wortschwall damit. "Und ich werde sicherlich nicht ausgewählt." Es klang halb wie eine Beschwörungsformel. Die meisten Kandidaten waren geradezu versessen darauf, entsendet zu werden, aber Azora gehörte nicht dazu. Sie war 15 Jahre alt, hatte viele Freunde, und eine tolle Familie, wenn man von der kleinen Nervensäge einmal absah - weshalb in Glees Namen sollte sie den Planeten verlassen wollen, der alles darstellte, was sie sich wünschte? Nein, die Ältesten würde ebenso erkennen, dass sie nicht geeignet war und jemand anderes auswählen.
Nachdem ihre Mutter ihr geholfen hatte, das festliche Gewand anzulegen, das sie extra für diese Gelegenheit genäht hatte, verabschiedete sich Azora von ihren Eltern und Kit, da sie wie die anderen Kandidaten auch bereits früher zur Feier kommen musste. Unterwegs sah sie Rha, ihre beste Freundin, die wie Azora im letzten Jahr 15 Jahre alt geworden war und damit eine von 12 Kandidaten für die Entsendung war, und die wie sie gerade auf dem Weg zum Festplatz war. Als Rha sie bemerkte, winkte sie ihr zu und wartete auf sie; gemeinsam legten sie den Rest der Strecke zurück.
"Und? Hast Du Angst?" fragte Azora ihre Freundin. "Ich hoffe wirklich, sie nehmen mich nicht."
"Ein bisschen schon, aber Papa sagt, es wäre eine große Ehre, ausgewählt zu werden. Immerhin gibt es nur alle zehn Jahre eine Entsendung. Und stell Dir vor, was man alles erleben kann. Paffet erzählt immer von so wundervollen Sachen."
Rha geriet wieder einmal ins Schwärmen, aber der Klumpen in Azoras Magen blieb so schwer und fest wie schon den ganzen Tag. Paffet war die einzige aus ihrer Siedlung, die in den letzten 50 Jahren von der Entsendung zurückgekehrt war. Allein das machte sie schon traurig. Vier von fünf hatten den Planeten nie mehr gesehen, waren nie nach Hause gekommen. Wer weiß, wie es ihnen ergangen war? Eigentlich sollten alle Entsendeten mit 50 Jahren nach Hause zurückkehren und von ihren Erlebnissen in der Galaxis erzählen. Es war eine ehrenvolle Aufgabe, damit hatte Rhas Vater recht: Alle zehn Jahre wurde ein junger Nautolaner aus der Siedlung, die sonst keinen Kontakt zur Außenwelt hatte, auf Reisen in die Galaxis geschickt, um dort 35 Jahre lang Wissen zu sammeln, Völker zu erforschen, und dann zurückzukehren und den Daheimgebliebenen die Geheimnisse der Welt zu lehren. Aber Paffet war nun schon 75, und es waren nun 25 Jahre vergangen seit der letzten Heimkehr.
Zwei Stunden später stand Azora mit den anderen Heranwachsenden vor der versammelten Gemeinde. Im Publikum konnte sie ihre Eltern erkennen, und auch Kit, den es wie immer nicht auf seinem Platz hielt und der ein paar Meter oberhalb seiner Eltern hin- und herschwamm, bis ihn ihr Vater zurechtwies und er kleinlaut auf seinen Platz zurückkehrte.
Die Ältesten hatten ihre Wahl getroffen, denn gerade kamen sie aus der Ratskammer nach draußen, und gleich würden sie das Ergebnis verkünden. Niemand außer dem Rat selbst wusste so recht, nach welchen Kriterien die Entsendeten ausgewählt wurden. Manche mutmaßten, es würde einfach gelost, aber die meisten waren überzeugt, dass Stärke, Geschick und Klugheit berücksichtigt wurden, um die Chancen auf eine erfolgreiche Heimkehr zu vergrößern.
Der Oberste des Rates trat vor die Menge, die 12 Kandidaten vor sich, und hob die Arme - sofort wurde es absolut still.
"DIE ENTSENDETE IN DIESER DEKADE IST ..."
Azoras Herzschlag setzte einen Moment aus.
"AZORA HAI!"
"BERICHT, SOLDAT!"
Azora schreckte aus ihren Gedanken auf. Auf den Tag zehn Jahre war ihre Entsendung nun her, heute würde also ihr Nachfolger ausgewählt. Sie hoffte, ihm oder ihr würde es besser ergehen als ihr selbst seit ihrer Abreise.
"Sir, ich konnte keine Unwahrheiten feststellen. Der Mann ist kein Rebell."
Sie hasste ihr Leben, und noch viel mehr hasste sie, was sie tat. Aber am meisten hasste sie die Menschen, mit denen sie jeden Tag arbeiten musste: Folterknechte des Imperiums, euphemistisch Verhörspezialisten genannt, die Informationen über die Rebellion aus Gefangenen herauszuquetschen versuchten. Und sie sollte ihnen dabei helfen.
Die Gedanken an die Entsendung holten die Erinnerung an die letzten Jahre nach oben. Zuerst war alles noch gut gewesen. Sie hatte zwar Angst gehabt und war einsam gewesen, aber die vielen Eindrücke von fremden Planeten und Kulturen hatten sie davon abgelenkt, und sie begann, sich mit ihrem Schicksal anzufreunden. Zunächst reiste sie viel, sie hatte ja genügend Startkapital erhalten. Nach einigen Jahren fand sie einen wunderschönen Planeten mit mächtigen Ozeanen, Correlia, und begann dort, als Gehilfin eines Händlers zu arbeiten. Ihre Pheromon-sensitiven Tentakel gaben ihr oft entscheidende Vorteile beim Abschluss von Geschäften, und so wurde sie schnell zu einer wichtigen Mitarbeiterin.
Dann jedoch kam der Tag, an dem sie von imperialen Agenten entführt und zwangsrekrutiert wurde. Irgendwie hatten sie von der speziellen Gabe ihres Volkes erfahren und wollten sie nutzen, um bessere Ergebnisse in ihren Verhören zu erzielen. Zu Beginn ließ sich Azora, wenn auch widerwillig, noch darauf ein, als Mörder, Diebe und andere Verbrecher verhört wurden. Doch mit der Zeit landeten mehr und mehr angebliche und auch echte Rebellen in den Zellen, während die Feindseligkeit gegenüber allen Nichtmenschen im imperialen Militär immer stärker zunahm.
"Lügen Sie mich nicht an, Soldat Hai! Wir wissen, dass er ein Rebell ist!" Eine behandschuhte Hand landete in ihrem Gesicht, und wieder nahm ihr Stolz größeren Schaden als ihr Körper. "Bringen Sie ihn dazu, uns die Namen seiner Mittelsleute zu verraten. Bis heute abend. Ansonsten wird er es bereuen - und Sie ebenfalls!"
Ihre Flucht war fast schon zu einfach gewesen. Offenbar hatte das Imperium so wenig Achtung vor Aliens, dass sie nicht einmal daran dachten, eine von ihnen könnte sie hintergehen. Auf jeden Fall war es recht einfach für sie gewesen, heimlich die Zelle zu öffnen und gemeinsam mit dem correlianischen Rebellen zu fliehen. Sie konnten sogar ein kleines Schiff stehlen und nach ein paar Wechseln des Transportmittels, um die Spur zu verwischen, waren sie nun gemeinsam unterwegs zu einer Rebellenbasis.
Endlich war sie wieder frei, und nun konnte sie Rache nehmen für das, was das Imperium ihr angetan hatte - und für alles, was sie im Namen des Imperiums anderen angetan hatte.