Es ist eine seltsame Atmosphäre, in der sie sich unterhalten. Fremdartig, faszinierend, doch zugleich irgendwie heimelig und vertraut. Eddy und der Flussmann beteiligen sich nicht direkt am Gespräch – während der Troll finster vor sich hin starrt und eigene Gedanken zu wälzen scheint, hält Sonnenauge den Blick stets auf das Orakel gerichtet, in einer Weise, die ungekünstelt daherkommt, aber auf große Ehrerbietung schließen lässt. Laura Ann ist die einzige, die sich irgendwann zumindest ein Stück weit aus dem Bann löst, der sie alle unwillkürlich vor jedem Schritt überlegen lässt, als seien sie in einer ehrwürdigen Kirche: Das Satyrmädchen hat zwar die Beine seitlich abgewinkelt und sitzt so ohne ihre üblichen kokett-respektlosen Gesten dem Orakel schräg gegenüber, doch ihre Blicke beginnen irgendwann kühner durch den Raum zu wandern. Neugier und Unbekümmertheit, wie die anderen sie von ihr kennen, brechen allmählich wieder durch. Dennoch unterbricht auch sie nicht den Wortwechsel zwischen Ayleen, Ricky und dem Orakel.
Das letztere wiegt den Kopf in einer greisenhaft wirkenden Geste, die so gar nicht zu dem jugendlichen Äußeren zu passen scheint. Die Lider sinken über die dunklen Augen, in denen mit dem Schein der bunten Flammen winzige Sternchen zu tanzen scheinen. "Viele Fragen auf einmal. Und ihr habt im Gegensatz zu mir nicht viel Zeit, wenn ihr helfen wollt. Ich" erklärt das Orakel und lächelt unergründlich "habe keine Zeit, aber gerade darum mangelt es mir nie an ihr." Rasch wird es wieder ernst und fährt fort: "So will ich also versuchen, euch zu erklären, was mit Worten nicht schnell und auch nicht vollständig zu erklären ist." Eine neue Handvoll Kräuter wandert in die Flammen, von denen sich eine weitere Welle würzigen, scharfen Geruchs verbreitet. "Ihr seid Wanderer zwischen zwei Welten – so wie eure junge Freundin. Es gibt verschiedene Wege, die euch von hier nach dort oder umgekehrt führen. Mindestens einen davon habt ihr bereits kennengelernt, das junge Mädchen einen anderen. Doch über diese verschlungenen Pfade, die ganz verschiedene Gestalt haben können, schreiten nicht nur euresgleichen."
Das Knistern der Flammen wird von keinem Atemhauch übertönt, da sich alle gespannt vorgebeugt haben und dem Orakel zuhören. Nach einer kleinen Pause erklärt es: "Die Verbindungen sind auch wichtig für die Existenz beider Welten. Ohne den Austausch mit jener Welt wird diese hier sich in wirren Träumen verlieren, Substanz und Stabilität einbüßen und schließlich verwehen wie ein ferner Traum, der in Vergessenheit gerät. Die andere Welt... sie würde ohne die Tore erstarren. Sie würde an Lebenskraft, an Farbe verlieren, bis sie ein totes Gebilde wäre, eine Maschine, deren Zahnräder sich drehen und drehen, ohne Seele, ohne Vergangenheit und damit ohne Zukunft. Beides wäre schrecklich. Wächter sind darum eingesetzt worden, welche die Tore hüten und offen halten sollen. Leider gibt es nicht mehr sehr viele von ihnen... Auch das Mädchen kam über einen verwaisten Pfad. Es hatte Glück oder wurde vom Schicksal beschützt, denn diese Pfade sind sehr gefährlich." Die Stimme des Orakels klingt traurig. "Aber als wäre dies nicht genug, gibt es auf beiden Seiten jene, die glauben, sich abzuschotten sei besser. Sie sehen die jeweils andere Welt als Hort einer ansteckenden Krankheit an, welche die ihre verdirbt."
Sein Blick geht unter den Gefährten umher. "Womöglich seid auch ihr schon einigen von jenen begegnet..." Und wirklich, in ihnen klingt die Erinnerung an jenen Mann in Ricks Café nach, an die nichtssagenden Gesichtszüge, die seelenlose Stimme... "Eben jenes Tor, was eure Freundin hierher führte, ist bedroht – eines der letzten. Es hat keinen Hüter mehr, und darum muss ein neuer gefunden werden. Eure Gefährtin hat eine Bestimmung, die damit zusammenhängt. Mehr darf ich euch nicht sagen. Der einzige Weg, etwas über euch und eure eigene Bestimmung zu erfahren, ist die große Geistreise. Wenn ihr dazu bereit seid, will ich euch auf diese Reise schicken." Wieder trifft jeden von ihnen ein langer Blick aus den rätselhaften Augen des Orakels. "Aber seid auf der Hut: Seine Bestimmung zu kennen und ihr nicht zu folgen, kann heißen, dass man daran zerbricht – sei die Bestimmung nun eine, die man freudig begrüßt, oder nicht! Ob euch euer Pfad wieder in jene andere Welt zurückführt, wann das sein wird und was ihr dann dort vorfindet... das im Vorhinein zu wissen, wäre nicht gut für euch." Ein Lächeln stiehlt sich auf die jugendlichen Lippen. "Indes, ganz ohne klare Antworten auf eure drängenden Fragen will ich euch nicht lassen: Eure Freundin brach vor drei Tagen auf, und ihr werdet sie erkennen, solltet ihr einander begegnen. Sie trägt das Erbe der Sluagh in sich. Eine tiefe Ernsthaftigkeit und Trauer umgibt sie. Armes Mädchen... so schmale Schultern, auf denen so viel lastet!" Das Orakel verstummt mit einem leisen Seufzen.