Am nächsten Tag schlief Basilio bis weit in den Mittag hinein. Der Hunger trieb ihn schließlich aus dem Bett. Er stand auf, wusch sich, kleidete sich an, und machte sich auf in Richtung Küche. Dort allerdings kam er niemals an. Wahrscheinlich war er einfach zu abgelenkt—vom Gähnen, Augenreiben und der plötzlichen Erkenntnis, dass er erstens sein Hemd auf links anhatte und zweitens barfuß losmarschiert war—jedenfalls sah er den Hinterhalt nicht kommen. Dabei gab es Anzeichen: den keuchenden Atem hätte er hören können, das unterdrückte Stöhnen, oder aber den breiten Schatten bemerken, der weiter vorn den Gang verdunkelte und nur eines bedeuten konnte: dass sich dort jemand in der Fensternische verbarg.
Doch dann sah Basilio plötzlich nichts mehr außer lockigem dunklen Haar und hörte nichts außer eifrigem Schmatzen, als die Schwester ihm um den Hals fiel und sein Gesicht mit Küssen bedeckte. Wohlwissend, dass Amell für einen solch breiten Schatten zu schmal war, schielte Basilio besorgt an ihr vorbei, ob der zweite Schatten—wenn es sich dabei um die Person handelte, die Basilio befürchtete—nicht eifersüchtig würde. Er selbst wäre sicherlich eifersüchtig, wenn seine Verlobte einen anderen Mann derart abknutschte, Bruder hin oder her. Doch Amells Zuwendungen erschwerten den Blick auf Gesicht und Oberkörper des Mannes und lenkten ihn auf dessen Hose um. Dort war der Mann mit fliegenden Fingern beschäftigt, alles so zurechtzurücken, wie es hingehörte, und auch den Gürtel wieder zu verschnallen.
"Endlich!" rief Amell zwischen zwei Küssen.
"Ich hatte schon Angst... Wie kannst du es nur wagen, mir solche Sorgen zu machen! Jetzt bleibst du aber da, ja? Jetzt musst du vorher nicht mehr fort?"Und dann zog sie den Bruder auch schon vor, um ihn ihrem Zukünftigen zu präsentieren, oder vielmehr umgekehrt.
"Das ist er! Was sagst du?" Ihr Blick war voller Besitzerstolz, als wolle sie den Bruder fragen: Na, habe ich mir nicht einen stattlichen Gatten ausgesucht? Das war Luis Labat natürlich. Deprimierend stattlich. Einen Kopf größer als seine Braut (und damit auch als Basilio), besaß er gerade die richtige Größe, dass man schutzsuchend den Kopf an seine Schulter drücken konnte (was Basilio nicht vorhatte). Die Schultern selbst würden einem Holzfäller wunderbar stehen, die Hüften aber waren schmal und die langen Beine für einen Kavalleristen erstaunlich gerade. Gerne hätte Basilio das Gesicht verzogen. Natürlich tat er es nicht.
"Rittmeister", sagte er mit einem Kopfnicken.
"Feldwebel", erwiderte Luis Labat ebenso steif.
Rittmeister Labat trug eine enganliegende Hose zu Reiterstiefeln, darüber ein weites Hemd. Hinten steckte es in der Hose, vorne hatte es jemand herausgezerrt.
Ha, ihr könnt von Glück sagen, dass ich nicht der General bin! Dann musste er zugeben:
Obwohl der General natürlich eher selten barfuß durch die Gänge schleicht...Labat schien Basilios Blick zu bemerken (oder seine Gedanken zu lesen) und instinktiv das Hemd wieder hineinstopfen zu wollen, da fiel ihm wohl auf, warum das momentan keine so gute Idee war. Er räusperte sich trocken. Basilio meinte, eine leichte Röte im wettergegerbten Antlitz des älteren Mannes zu entdecken; das eigene war glühend heiß. Der einzige, der keinerlei Anzeichen von Verlegenheit erkennen ließ, war Amell. Sie errötete nicht einmal, als sie ihre zerraufte Bluse wieder ordentlich zurechtzupfte und verschnürte.
Wie machte sie das bloß? Musste sie gar nicht daran denken, wie Bruder und Schwester auf nämliche Weise... in dem Alter halt, wo man neugierig wird... heimlich zueinander fanden... scheu zunächst, obwohl sie sonst keine Scheu voreinander kannten, aber sie ahnten eben, nein, eigentlich wussten sie genau, dass es verboten war,
per Gesetz verboten, nicht bloß skandalös, sondern
abscheulich in den Augen der meisten Leuten. Aber für die Geschwister war es trotzdem ganz natürlich, ja, selbstverständlich gewesen. Sie hatten nicht einmal Worte darüber verlieren müssen, hatten sich nur eines Tages ganz lange, ganz still angeschaut, in einer ähnlichen Nische wie dieser, dann hatten sie ihre Hände über den Körper des anderen wandern lassen... hatten sich gegenseitig überall berührt, erkundet, gestreichelt, geküsst... nicht, dass Basilio die Schwester je... also, das hätte er niemals! Aber so wie Luis mit seiner Braut gerade, so hätte der General (wenn er denn barfuß in den Gängen herumgeschlichen wäre) die Geschwister auch erwischen können: Amell mit der Hand in der Hose des Bruders, Basilio mit beiden unter der Bluse der Schwester. (Vielleicht war es gut, dass er dann bald zum Militär musste und die Sache ein Ende fand.)
Als ob Amell ahnte, was in Basilios Gedanken vorging, stieg ihr nun doch eine zarte Röte in die Wangen. Oder aber das hatte einen ganz anderen Grund, denn im nächsten Augenblick rief sie aus:
"Herrje! Hat es euch beiden die Sprache verschlagen? Jetzt sagt doch was!""Ja, was denn? Wir kennen uns doch schon", erklärte Basilio. Mehrmals hatte er im vergangenen Jahr Brieflein für Aras Nadal ausgetragen und einmal war auch einer für dessen Rittmeister dabei. Ob das ein Brief der Schwester war oder des Vaters, die Schwester betreffend? Ging da was hin und her mit Basilios Hilfe, ohne dass Basilio selbst etwas ahnte?
"Wie, und da habt ihr euch schon alles gesagt, was es im Leben zueinander zu sagen gibt?" fragte Amell.
"Schwager werdet ihr beide in zwei Wochen, das ist doch fast so wie Brüder! Luis, du wolltest doch..." Sie sprach nicht aus, was er wollte, sondern sah ihn nur mit großen Augen an. Dem Bruder aber drückte sie kurz die Hand. Eine Bitte, sich zu benehmen?
Luis Labat trat einen Schritt heran. Amell schubste ihm Basilio einen Schritt entgegen. Den beiden blieb keine Wahl, als sich in der Mitte die Hand zu reichen. Ein Waffenstillstand. Also gut.
"Courage zumindest hast du!" attestierte Basilio dem Schwager in spe, wobei das brüderliche
Du ihm dem ranghöheren Offizier gegenüber nur sehr zögerlich über die Zunge glitt.
"Darauf habe ich lange warten dürfen! Dass endlich mal einer daherkommt, der genug Mumm hat, den General um die Hand der Tochter zu bitten! Höchste Zeit wurde es!""Wenn du nicht am anderen Ende des Landes unterwegs gewesen wärst, hätte ich dich als erstes gefragt", versicherte der Rittmeister ihm. Der Händedruck an dieser Stelle wurde ziemlich kräftig. Basilio gab sich alle Mühe, in gleicher Stärke zu erwidern.
"Die Frau", seufzte Amell.
"Man fragt immer zuerst die Frau.""Mach meine Schwester glücklich", sagte Basilio, ohne Amells Einwand zu beachten,
"dann soll mir das mit dem Bruder recht sein.""Das habe ich vor.""Und außerdem macht er das schon", warf Amell von der Seite ein.
"Dann verstehen wir uns ja." Basilios Stimme klang gepresst, weil er und sein Schwager in spe noch immer zu ermitteln versuchten, wer der bessere Schraubstock sei.
"Krieg' ich die wieder?" fragte Basilio schließlich mit Blick auf seine Hand, an der jeden Augenblick Finger brechen würden.
Luis ließ los.
"Tun wir das?""Ich denk' schon. Also, ich seh dich auf der Hochzeit." Basilio wollte an dem Rittmeister vorbei und seinen Weg zur Küche fortsetzen, doch Amell rief ihn zurück.
"Halt, warte. Wir müssen dir noch etwas zeigen. Luis hat etwas für dich.""Für mich? Hoffentlich etwas Essbares. Ich hab' seit gestern morgen nichts mehr im Magen.""Dann hältst du's auch noch bis zum Abendessen aus. Komm. Es wird dir gefallen."Wer hätte einem solch bittenden Blick widerstehen können? Basilio jedenfalls nicht.
~~~
Luis Labat holte ein flaches, in schweren Stoff eingewickeltes Paket aus der Fensternische hervor, doch als Basilio ihn erwartungsvoll ansah, sagte er:
"Nicht hier." Also machten die drei sich auf den kurzen Marsch zurück in Basilios Zimmer: die Brautleute händchenhaltend und trunkene Blicke tauschend vorneweg, Basilio—verloren und vergessen—hinterdrein. Wenigstens etwas zu Essen bekam er am Ende doch noch, denn eine Küchenmagd lief ihnen über den Weg, bei der er rasch etwas Brot, Käse und einen Krug Bier bestellte. Ihr Glucksen erinnerte ihn an Mirtel. Früher hätte er nicht gewusst, was es zu bedeuten hatte.
Oh, ich weiß, an wessen Kammertür ich mal klopfen könnt'..., dachte Basilio, während er der davoneilenden Magd wohlwollend hinterherblickte. Als diese wenig später die Speisen auf sein Zimmer brachte und ihm überreichte, zog er sie an beiden Händen zu sich heran, um einen tiefen Blick in ihre Bluse zu werfen. (
War die vorhin nicht fester verschnürt gewesen?) Was er sah, gefiel ihm sehr. Also geleitete er die Magd, von ihrem Kichern zusätzlich ermuntert, zur Tür. (
Seit wann ermunterte weibliches Kichern ihn? Früher hat es ihm stets Kopfzerbrechen bereitet!) Vor selbiger verabschiedete er sie dann mit einem beherzten Griff an ihr Gesäß, worauf sie sich geschwind noch einmal umdrehte, seine Hände packte und auf ihre Brüste drückte. "Heut' nacht?" wisperte sie. Basilio nickte nur.
"Du... hast dich verändert", sagte Amell, als er zurück ins Zimmer trat.
"Das Leben ist kurz", erwiderte er und biss zuerst in den Käse, dann in das Brot, dann nahm er einen Schluck direkt aus dem Krug.
Amell zog eine Augenbraue hoch.
Er hätte ihr ja gerne von Mirtel erzählt. Noch lieber von Maru. Aber natürlich nicht mit Luis als Zuhörer. Dem schien freilich der Vorfall mit der Magd in keinster Weise als bemerkenswert aufgefallen zu sein. Sein Päckchen noch immer in den Händen stand er da und blickte von der Schwester zum Bruder und wieder zurück, als fragte er sich, was da momentan zwischen den Geschwistern kommuniziert wurde, das ihm entging.
Besser, man lässt ihn darüber nicht allzu lang grübeln... Also stellte Basilio sein Mahl beiseite und wandte sich dem Schwager zu.
"Mein Geburtstag ist aber im Weidemond, nicht wahr? Man kann ihn sich besonders gut merken: am selben Tag wie Amells. Reichlich spät dieses Jahr und fürs nächste zu früh!"Luis lachte. Es klang ehrlich, aber nervös. Wortlos streckte er Basilio das Päckchen entgegen. Es war schwer und doch irgendwie leichter, als Basilio gedacht hätte. Er legte es aufs Bett und packte es aus. Vor ihm lag, inmitten des notwendigen Zubehörs, bläulich schimmernd, dabei seidig kühl unter den Fingern, die nicht anders konnten, als sogleich ehrfürchtig darüber zu streichen—ein Kettenhemd.
Basilio trat einen Schritt zurück.
"Das... kann ich nicht annehmen.""Es ist meins", sagte Luis.
"War meins. Ich habe mir ein neues anfertigen lassen, aber das alte ist noch tadellos. Lumerischer Stahl: robust, aber leicht, genau das richtige, wenn man viel zu Pferd unterwegs ist. Es hat mir ungezählte Male das Leben gerettet. Bitte nimm es an."Basilio zögerte. Sein Blick war begierig, das wusste er. Aber so leicht wollte er es dem Schwager in spe nicht machen.
Was, Bestechung? So einfach soll das gehen? Sein Blick glitt zweifelnd über die lange, muskulöse Statur des Rittmeisters. Sein Kiefer mahlte.
"Ich hab's frisch ausbessern lassen", sagte Luis.
Das sah Basilio selbst. Nicht ein verbogenes Kettenglied war zu entdecken, nicht ein Blutfleck oder Krümel Dreck, auf Hochglanz poliert, das gute Stück!
"Und... anpassen", ergänzte Luis vorsichtig.
Machte der Mann sich lustig über ihn? Nein, er schaute völlig ernst. Und noch nervöser als zuvor. Hielt er gar den Atem an? War es ihm wirklich so schrecklich wichtig, dass Basilio sein altes Rüstzeug annahm? Zugegeben, es war einfach... fabelhaft. Und sicherlich teurer als die Quiki-Seide gewesen, die Basilio für Amell besorgt hatte.
Aber ein Kettenhemd, will ich wirklich ein Kettenhemd? Ist das nicht viel zu schwer, zu laut, zu unbequem? Kann man sich darin überhaupt noch richtig bewegen?"Jetzt probier' es doch endlich an", rief Amell, als ginge es um ein gewöhnliches Hemd beim Schneider.
"Dann sehen wir ja, ob's passt!"Basilio trat vor, berührte das Hemd abermals, mit beiden Händen diesmal, nahm es auf, staunte, wie leicht es war, wie leise... für ein Kettenhemd. Und sein Widerstand schmolz wie Butter in der Sonne. Er riss sich das Hemd vom Leib, sprang darauf im Zimmer umher auf der Suche nach seinem wattierten Unterhemd—
Wo habe ich das gestern abend fallen lassen? Davon werde ich auch ein neues brauchen, aber fürs Anprobieren wird's reichen...—und drehte sich besorgt nach der Schwester um, als diese erschrocken aufkeuchte.
"Was ist?"Amell antwortete nicht sofort.
"Sag schon, was ist dir?"Sie zeigte auf die (ausgebrannte) Pfeilwunde auf seiner Brust. Die Schnittwunde am Bauch. Sogar auf die Narbe vom Blutschwur.
"Oh", machte Basilio.
"Das. Äh. War alles nicht so schlimm..." Gefunden! Rasch streifte er das Unterhemd über und trat ans Bett.
"Und die hübscheste Heilerin weit und breit hat sich um mich gekümmert..." Er grinste und wollte nach dem Kettenhemd greifen, da flog Amell ihm in die Arme, drückte das Gesicht an seinen Hals, nur um gleich darauf von ihm abzulassen und ihn mit beiden Fäusten zu traktieren.
"Du hast doch versprochen, auf dich aufzupassen! Du hast es mir versprochen!"Er packte sie an den Handgelenken, küsste sie auf die Nase.
"Das hab' ich doch. Ehrenwort. Ich pass immer auf mich auf. Aber du, du hast doch jetzt noch den Luis. Und ich hab' auch jemanden. Freunde, meine ich"—Amells Kopf war hochgezuckt, ihr Blick fragte—
"kein Mädchen. Ich will damit doch nur sagen: Wir beide haben noch andere Personen in unserem Leben, nicht mehr bloß einander. Wir sind nicht mehr allein."Er ließ los. Die Schwester stand still da, die Augen noch immer schreckensweit. Luis Labat hatte den Ausbruch zunächst mit offensichtlichem Befremden verfolgt, doch bei Basilios Worten glättete sich seine Miene, als werde ihm so manches klar.
Der Rittmeister legte den Arm um seine zitternde Braut und zog sie heran. Basilio nickte ihm zu und widmete sich endlich dem Geschenk. Es passte wie angegossen.
~~~
Eine Woche später, es war spät am Abend, saß man noch an der gemeinsamen Tafel beisammen: der General gut gelaunt bei einem seltenen Glas Wein, im Gespräch vertieft mit dem am Vortag angereisten Bruder des Bräutigams, Hauptmann Jerom Labat. Die Brautleute waren schon beim dritten Glas und turtelten miteinander. Basilio saß zurückgelehnt in seinem Stuhl, satt, zufrieden, ein wenig schläfrig, und machte über den Tisch hinweg schöne Augen mit Lore, der hübschen Magd, die soeben dem Hauptmann nachschenkte und deren Blick ganz deutlich sagte: nicht wahr, du kommst heut' nacht wieder?
Keine Sorge, tu ich! war Basilios unverhohlene Antwort. Im Gesicht des Generals zuckte ein Muskel.
Da fuhr Amell plötzlich zum Bruder herum.
"Was du brauchst ist eine Frau", erklärte sie.
Basilio, der gerade an seinem (ersten) Glas Wein genippt hatte, verschluckte sich.
"Was? Wieso? Das hat doch keine Eile. In zehn Jahren vielleicht!" fügte er mit Blick auf den Bräutigam hinzu.
"So lange will ich nicht warten", sagte Amell.
Luis lachte. Es klang überrascht. Immerhin.
"Äh", sagte Basilio.
"Ich will eine Schwägerin", verkündete Amell mit Bestimmtheit.
"Eine Schwester. Und viele kleine Neffen und Nichten. Ich will eine Familie. Eine große, große Familie.""Hm. Jetzt lass uns erst einmal ganz langsam mit meinen Neffen und Nichten anfangen, ja?" versuchte Basilio sie sanft zu bremsen. Der energische Ton der Schwester machte ihm Sorge.
"Auf meiner Hochzeit wirst du reichlich Auswahl haben", fuhr Amell ungebremst fort.
"Das halbe Land kommt. Das kann doch nicht so schwer sein, jemanden für dich darunter zu finden."Neben ihr lag Luis fast auf dem Boden vor unterdrücktem Gelächter. Das lag wohl am Wein. Gegenüber wiesen die Mundwinkel seines Bruders Jerom eindeutig nach oben. Dem General aber war etwas vom Tisch gefallen, er musste sich danach bücken.
"Ich, äh, also...", begann Basilio und klappte den Mund wieder zu. So wäre der Satz weiter gegangen: ... hätte da neulich ja beinah jemanden gefragt, eigentlich
habe ich sogar gefragt, lag gar auf den Knien vor ihr, so richtig, wie Frauen es sich wünschen, aber hm, den Ort, an dem ich mit ihr zusammen friedlich leben könnte, den gibt es auf Erden nicht...
"Ich will wiederhaben, was die Eltern uns genommen haben. Du nicht auch?" Amell kannte heute wahrlich keine Gnade. Das Prusten und Kichern verstummte. Eine derartige Deutlichkeit war man hier im Haus nicht gewohnt. Eigentlich wurden die Eltern nie laut erwähnt.
"Doch", sagte Basilio leise in die Stille hinein.
"Doch, möchte ich. Aber ein Herz, Amell, das verliebt sich nicht auf Befehl. Und ein wenig zugetan sollte man seiner Zukünftigen schon sein, findest du nicht?" Er hätte ihr doch von Maru erzählen sollen, dann würde sie ihn wohl kaum so bedrängen, aber... er hatte sich nicht getraut. Jetzt, da Amell einen zweiten Vertrauten besaß: waren seine Geheimnisse noch sicher bei ihr?
"Ich finde, du solltest die Augen aufhalten an meiner Hochzeit", beharrte die Schwester.
"So viele hübsche, unverheiratete junge Frauen wirst du so schnell nicht wieder zu Gesicht bekommen."Es war dieser Augenblick, da Basilio beschloss, sich auf Amells Hochzeit einmal so richtig, so ganz ohne Hemmungen zu betrinken. In Vorbereitung darauf hielt er Lore seinen halbvollen Becher hin; wortlos schenkte sie nach. Er kippte den Wein in einem Zug hinunter. Dann erhob er sich leicht schwankend, fasste die Magd um die Hüfte und fragte in die Runde:
"Braucht noch jemand was? Sonst würden wir uns dann zurückziehen."Amell öffnete den Mund.
"Lass gut sein", sagte der General.
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Später, so um die Mitternacht, fragte Lore leise: "Wer ist Maru? Du hast schon wieder ihren Namen gerufen."
"Verzeih, Lore. Das wollte ich nicht. Maru ist die Frau, die mir das Herz gebrochen hat." Er strich ihr übers Haar, die Schulter und küsste sie dann auf die Stirn. "Aber sag's keinem weiter, ja? Ich bitte dich. Das braucht keiner wissen, das tut so schon weh genug. Wenn ich da auch noch den Spott ertragen müsst'..."
"Ich schwör's dir", wisperte Lore. "Bei Lelnani schwör ich's dir!" Und sie presste seine Hand ganz fest auf ihr Herz.