Mit Rückfragen über den möglichen Fokus konfrontiert, ärgert
Freydis sich, dass sie diese nicht zu beantworten weiß. Zweifellos hat Undis ihr wesentlich mehr darüber erzählt als das Wenige, an das sie sich jetzt erinnert! Etwas über die Beschaffenheit eines solchen Fokus zum Beispiel, so entsinnt sie sich dunkel. Musste der Fokus vielleicht etwas besonders Wertvolles sein? Oder eine magische Substanz? Etwas, dass dem Berührten sehr am Herzen lag? Ein Tieropfer? Ach, es will ihr einfach nicht einfallen.
Weil sie es damals nämlich gar nicht hat wissen wollen. Die eigenen Kräfte machten ihr (ganz zu schweigen von den Mitmenschen) auch so schon Angst genug, waren so schon schwer genug zu bändigen, als dass sie sich auch noch mit Flüchen befassen wollte. Die Finger davon lassen, wie die alte Lehrmeisterin ihr dringend riet, das würde sie, und da wäre es besser, man wusste gar nicht erst so genau, wie die Sache überhaupt funktionierte! Deshalb hat sie damals nicht richtig zugehört, als Undis ihr alles über Foki erzählte.
[1]Aber das will sie hier in der Runde natürlich nicht zugeben.
Rogars Frage nach Aufzeichnungen erntet einen derart verwirrten Blick Solveigs, dass dem Dain abermals bewusst wird, wie wenig er über die Welt der Menschen weiß. Gut, er hatte daheim auch einmal einen Lehrmeister gehabt, der sich darüber mokierte, bei ihnen werde noch jeder Furz festgehalten—in Stein für alle Ewigkeit—wenn die Person, der er entfleuchte, auch nur halbwegs angesehen war. (Wenn Rogar sich recht erinnerte, folgte dieser Spruch als Ermahnung auf eine abfällige Rede eines Schülers—war es nicht gar seine eigene gewesen?—über die Elben, welche, obwohl sie von den Dain die Schrift erlernt hatten, diese nur so selten anwandten. Stattdessen lebten sie frivol in den Tag hinein!
[2]) Was Rogar daraus jetzt als Lehre ziehen kann: offenbar ist sein Volk auch darin einzigartig, nämlich in seiner Sorgfalt, um nicht zu sagen Akribie, alles schriftlich festzuhalten, sei es Wissenschaft oder Historie.
"Aufzeichnungen?" echot die Heilerin.
"Nein, also, außer den Mönchen selbst macht hier niemand Aufzeichnungen. Wozu auch? Es erinnert sich jeder hier im Ort, der es miterlebt hat, nur allzugut an jene, die der selbstherrlichen Willkür des Abtes zum Opfer fielen. Uther wird euch Auskunft geben können, da ihr ihn sowieso aufsuchen wollt, oder auch jeder andere im Ort, der sich der Vierzig nähert."[3]Abdos Frage dagegen lässt sie erblassen. (Dabei ist sie wahrlich schon blass genug.)
"Uthers Schwester? Woher wisst ihr—" Solveigs Blick geht zu den fünf Heilerinnen hinüber, die noch immer mit ihrem Zaubersang beschäftigt sind, und senkt dann abermals die Stimme.
"Woher auch immer: sie ist keine Berührte, kann gar keine sein, wie ich doch erklärte: weder Fee noch Feenspross kann mit dem Feuernetz etwas anfangen, ihre Magie ist die der Erde, ist natürlich, das Netz aber künstlich. Wieso Menschen oder auch Zwerge—Verzeiht, ich meine natürlich Dain—geboren werden, die sich dazu hingezogen fühlen, weiß ich nicht, jedenfalls kommt es bei den Elben nicht vor oder nur bei solchen, die Menschenblut beigemengt haben, und dasselbe gilt für die Kolkar, unter denen es menschen- wie auch zwergenblütige Berührte gibt."[4]Für dieses Wissen sieht sich die Heilerin wohl mit etlichen erstaunten Blicke konfrontiert, weshalb sie errötend erklärt:
"Mein Va—Lehrmeister kennt sich damit aus. Sein Großvater erinnerte sich nämlich noch gut an die Zeiten, und konnte ihm davon berichten, bevor es das Feuernetz gab. Jedenfalls bringt nur Zwergen- oder Menschenblut Berührte hervor."Auch dies sind seltsame Behauptungen in
Freydis' Augen. Wie, das Feuernetz gab es nicht schon immer? Aber klar, wenn es tatsächlich erschaffen wurde, dann muss es ja eine Zeit davor gegeben haben. Aber so kurz soll das erst her sein, dass Solveigs Urgroßvater sich daran erinnert? Da scheint ihr etwas nicht zu passen. Zu Zeiten des Propheten gab es schon Berührte, was um die dreihundert Jahre her ist, und schon lange davor, wenn ihre Bücher nicht allesamt lügen.
"Jedenfalls ist Uthers Schwester keine Berührte und wäre außerdem zu einer solchen Tat auch in jeder anderen Hinsicht nicht fähig", bekräftigt Solveig abschließend.
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Draußen muss
Aeryn sich erst einmal in alle Richtungen umschauen, denn der Gesuchte steht keinesfalls mehr dort, wo sie ihn zurückließ, doch bald entdeckt sie ihn in der Nähe einiger Büsche. Zu ihm hingeeilt, platzt sie sogleich mit ihrer Frage heraus, und erkennt erst danach, warum Jan die Nähe der Büsche aufgesucht hat.
"Uther?" antwortet er jedoch völlig ungerührt.
"Nun, ich würd's mal bei ihm daheim probieren. Das fürstliche Familiengut liegt ein Stück weit außerhalb von Ansdag, Richtung Süden."