Für die einen war es ein Wispern im Wind, für den anderen Buchstaben, geschrieben in Feuer, für wieder andere war es der Ruf eines Vogels und für manch einen gar einfachen Worte geschrieben auf Pergament, doch egal welcher Art, die Botschaft war immer dieselbe: “Die Morndinsamman haben Orbus, den letzten des Clans Proteg, zu sich gerufen. Nun ruft er seinen Clan zu sich, um ihn auf diesem letzten Weg zu begleiten. Die erste Glocke wird geschlagen am 3. Kythorn, auf dass er die Ruhe der Felsen finden möge.“
Es war eine traurige Nachricht. Orbus war ihnen allen ein Vater gewesen, wie man ihn sich nur hatte Wünschen können und auch wenn der Zwerg schon alt gewesen war, als er die Ältesten von ihnen aufzog, so hatte doch keiner von ihnen erwartet, dass er so plötzlich diese Welt verlassen und in die nächste gehen würde. Doch weil sie ihm so viel verdankten, zögerte keiner von ihnen dem Ruf nachzukommen und in das Haus zurückzukehren, in dem sie so viel Zeit verbracht hatten. Manch einer war fern vom glanzlosen Juwel des Nordens gewesen, mancher hatte es nie in seinem Leben verlassen. Doch jetzt waren sie alle zurückgekehrt. Der Winter hatte seinen eisigen Griff um den Norden bereits gelöst und so war die Reise nicht allzu beschwerlich gewesen. Niewinter selbst mochte nicht mehr die große Hafenstadt von einst sein, aber die Wärme des Hitzenun hegte es noch immer in seiner Bucht. Die, die es seit längerem nicht gesehen hatten, waren überrascht, dass das Juwel zwar nicht strahlte, aber doch ein schwacher Glanz von ihm ausging. Die Tore waren jetzt nicht mehr brüchiges Holz, das in schiefen Angeln hing, sondern starke mit Eisen beschlagene Eiche, die des Nachts geschlossen werden konnten und draußen hielten, wer nicht eingelassen werden sollte.
Aber unter der Sonne des Tages standen diese Tore offen und reisende strömten hinein, wenn auch nicht in Scharen, sondern in kleinen Gruppen. Der Weg führte sie durch verschlungene Gassen, die vielfach von Gerüsten enger gemacht wurden, da an vielen der Gebäude hier in dem Viertel, das alle nur als die „Enklave“ bezeichneten, gearbeitet wurde. Die meisten Leute, die hier in der Straße unterwegs waren, hatten irgendein Geschäft zu erledigen und viele davon hatten mit dem Wiederaufbau zu tun. Aber ebenso viele gingen den Geschäften nach, die man in jeder anderen Stadt auch entdecken würde, Schmiede und Kesselflicker, Bauern und Fischer, die ihre Erzeugnisse anboten. Sogar einige Bettler hatten sich schon gefunden, die hier auf den Straßen saßen und darauf hofften wenigstens einige Kupfermünzen von denen zu bekommen, die mehr Glück hatten als sie.
Doch ihr Ziel lag nicht in der Enklave, sondern, um es zu erreichen mussten sie sie hinter sich lassen und den Nie überqueren. Sie ließen die grauenerregende Ruine von Schloss Nie zu ihrer linken liegen und gelangten so zu dem Anwesen, das sie ihr einst ihr Heim genannt hatten. Nie war es in einem so schlechten Zustand wie der Rest der Stadt gewesen, aber es glänzte auch nicht so wie die wiederhergestellten Bauten in der Enklave. Es war kein großes Anwesen, das hier direkt an der Seite des Nie lag. Asche und Sturm hatten seine Mauern grau und abgewetzt werden lassen. Viele glückliche Erinnerungen verbanden sie mit diesem Ort, aber ihre Rückkehr würde ihnen weniger schön im Kopf bleiben.
Am Abend des 3. Kythorn waren sie alle versammelt in diesem Anwesen, in der großen Halle, in der einst die lange Tafel gestanden hatte, an der sie alle gemeinsam gespeist hatten, war nun in der Mitte auf einem steinernen Tisch Orbus selbst aufgebahrt. Alte zwergische Magie konservierte seinen Körper und bewahrte ihn vor dem Zahn der Zeit, solange die Riten dauerten. Nicht alle Kinder, die er aufgezogen hatte, waren hier versammelt. Für einige war der Weg zu weit gewesen, hatten sie doch in ganz anderen Regionen der Welt zu ihrem Heim gemacht und wieder andere waren gebunden von anderen Pflichten. Doch einige waren gekommen, um dem Zwerg Respekt zu zollen, dem kein Clan geblieben war, außer den Kindern, die er großgezogen hatte, obwohl sie nicht seines Blutes waren.