1. Kapitel (Anzeigen)«Dein Sohn ist eine so bemitleidenswerte Kreatur, Torrek, dass man gar nicht mehr erwähnen sollte, dass deine Frau ihn herausgepresst hat!» Fragon war ein Zwerg mittleren Alters, kein Krieger, ein Sprecher. Man sah es ihm an seiner Statur an, er war dick und passte in keine Rüstung mehr. Aber seine weite Robe war reich beschmückt, wie es bei den Höchsten der Soldorak stets der Fall war.
«Du hast ja Recht, alter Freund. Er hätte uns niemals verlassen dürfen. Dich niemals anklagen dürfen und dir Verrat vorwerfen. Dabei war er so ein guter Sohn über die ganzen Jahre. Beflissenlich, nicht zu tumb und ein begabter Krieger. Ich konnte ihm sogar das Brauen beibringen lassen und als Inspekteur der Minen hat er sich auch immer gut gemacht...» Torrek, ein alter Zwerg mit rostrotem kurzen Haar und einem sehr kurzen Bart starrte in das Nichts, welches unterhalb der Brücke auf ihn wartete. Seinen Bart hatte er sich nach der Flucht seines Sohnes aus Scham abgeschnitten, nur langsam wuchs er nach. Seine Schande würde noch eine ganze Weile zu sehen sein.
«Der Tod seiner geliebten Marjena hat ihn um den Verstand gebracht. Liebe hat schon größeren Kriegern den Willen genommen. Es war ein so tragisches Unglück.» Torrek konnte nicht sehen, dass Fragon süffisant in seinem Rücken lächelte.
«Es ist der Lauf der Dinge. Wir finden Aufstieg und dann verlieren eines Tages den Boden unter den Füßen. In diesen Momenten hat dein junger Tor jedoch seinen Clan, der solche Momente auffängt, verlassen und sich dem Suff hingegeben. Weißt du, was man sich über deinen Jungen erzählt?»
«Nein...» Torrek wurde bleich und ließ die Schultern hängen.
«Auch wenn du es vielleicht nicht hören möchtest. Er lebt jetzt als Vagabund. Saufend und prügelnd reist er über die Oberfläche und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch. Es heißt, er sei so ein starker Trinker geworden, dass er fast alle Zähne verloren habe, weil sie einfach weggeschimmelt sein.
Und noch viel schlimmer wiegt, dass er Zwerge, gerade unseres Clans, sofort angreift, wenn er sie auch nur zu Gesicht bekommt. Und dann noch die Geschichten! Die Geschichten, die er über unsere Ruchlosig...»
«SCHLUSS JETZT!» fuhr Torrek auf und drehte sich mit geballter Faust zu Fragon um.
«Fragon, ich kenne die Vorwürfe und verstehe die Enttäuschung meines Jungen. Er denkt, dass du Marjena umgebracht hast, dass du die gerühmte Loyalität, mit deren Geschichten ein jeder Zwerg aufwächst, verraten hast. Nur damit du Marjenas Posten im Rat bekommst. Wir alle kennen sie. Aber es ist vorbei! Du brauchst nicht weiter zu machen. Lass den Jungen zumindest im Exil in Frieden. Lass ihn...»
Fragon machte zwei Schritte auf Torrek zu und legte ihm die Hände auf die Schulter und drückte sie tröstend.
«Torrek. Ruhig. Ich weiß, es ist alles so schwer. Aber ich bin nicht hier, um dir zu sagen, dass ich deinen Sohn töten lassen werde oder ähnliches. Ich bin hier, um dir zu helfen, dass alles zu beenden.»
Da lief Torrek eine Träne der Rührung das Gesicht hinab, doch im selben Moment stieß Fragon den Vater Gharts mit aller Kraft, sodass dieser über die Brüstung der Brücke stürzte und fiel...
...bis das Nichts ihn umarmte.
2. Kapitel (Anzeigen)«Wer ist dieser Ghart? Wieso wollt Ihr, Herr, seinen Tod?» Die Stimme zeugte davon, dass sie sanft und demütig war, doch in den Augen der Person lag eine unbarmherzige Kälte. Die Gesichtszüge waren kantig und nur leichter Flaum bedeckte die Wangen. Fragon nickte zufrieden, die Person, die ihm präsentiert wurde, hatte wirklich verblüffende Ähnlichkeit mit der toten Rätin Marjena. Fragon legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und trat an auf den Balkon seines Wohnhauses, die Zwergin hinter ihm blieb im unterwürfigen Kniefall und wartete weiter beharrlich auf eine Antwort. Fragon hatte sich eine solche Person gewünscht, er brauchte eine Dienerin mit viel Geduld und Ruhe. Sie musste fast vierundzwanzig Stunden auf diese Audienz warten, auf nacktem Stein wartend und dennoch war sie ruhig und unterwürfig. Entweder war sie sehr kaltblütig und professionell oder extrem verzweifelt, beides Qualitäten, welche der neue Ratsherr Fragon für seinen Plan benötigen würde.
Abermals ließ er sie über Minuten warten und hoffte irgendwie darauf, dass die Zwergin doch ihre Nerven verlor, doch er wartete vergeblich. Selbst dem sonst so kühnen Fragon zauberte dies eine leichte Gänsehaut in den Nacken. Es ging sogar inzwischen ein gewisser Reiz von der Zwergin aus, doch auch der Ratsherr war zu professionell, es ging um zu viel.
«Der Letzte der Familie Schimmeraxt aus dem Clan der Soldorak. Deine Aufgabe», der Zwerg duzte sie absichtlich, um seine gesellschaftliche Überlegenheit auszudrücken, zudem benahm Fragon sich immer sehr väterlich, was ihm einige Beliebtheit einbrachte, «ist es, die Schimmeräxte ganz auszulöschen.»
Die Zwergin erhob jetzt ihren Blick ein wenig und blickte Fragon auf die Waden.
«Dann stimmen die Gerüchte, dass Torrek Schimmeraxt, der Trollschlächter, gefallen ist.» Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Diese Frage war der erste, kleine Stachel der Herausforderung, den Fragon spürte. Sie war also auch eine ausgebildete Spionin, auch eine Anforderung, welche der Ratsherr gestellt hatte.
Seine Diener benötigten dringend eine Belobigung, sie hatten zwar drei Monate statt der geforderten vier Wochen gebraucht, um eine vernünftige Kraft zu finden, aber sie hatten ihn nicht enttäuscht. Fragon kannte diese Spiele jedoch und fiel nicht darauf hinein, er offenbarte der Spionin nichts, was er bereuen müsste, würde ihr jemand eines Tages mehr bezahlen, auch wenn das bei der stolzen Summe, die sie empfangen würde, kaum zur Debatte stehen konnte. Fragon war ein Meister im Vertuschen, ein Meister der Täuschung. Selbst dieses Gespräch würde niemand nachvollziehen können oder gar wollen, dessen war sich Fragon sicher.
«Und es wäre eine Schande, wenn sein versoffener Taugenichts von Sohn, der Witwer der großen und weisen Marjena, den Ruf seiner Familie vollends ruiniert und dem Clan Soldorak noch mehr Schaden zufügt mit seinem liederlichen, ja katastrophalen, Verhalten. Sein Vater war ein anerkannter Mineninspektor und ein Meister mit der Axt und dem Schild. Er ist immer noch ein Vorbild für jeden jungen Zwerg und ein Kriegsheld.» Fragon blickte hinunter in die Halle, wo die Soldorakzwerge geschäftig Waren verluden, welche die Stollen heute nach verlassen würden und dann wohl ganz den ganzen Kontinent bereisen würden; an ihrer Stelle würden Karren mit Gold zurückkommen.
«Dann werde ich ihn für euch jagen und töten.» Fragon spürte, dass sie sich fragte, warum Ghart noch nicht tot war, wenn er solch eine Bedrohung sei und warum ein Taugenichts denn eine Gefahr für den Clan sein konnte. Er spürte, dass sie sich fragte, warum man einen exilierten Alkoholiker fürchtete. Aber das waren Information, welche eine Attentäterin nicht für ihren Auftrag benötigte. Fragon ließ keine Sicherheitsrisikos zu, er war zu lange im Geschäft.
«Das ist eine sehr weise Entscheidung vor dir. Einen Teil deines Goldes kannst du gleich bei meinem Geldwechsler holen, den Rest wie vereinbart. Du kannst sofort aufbrechen. Instruktionen hast du erhalten, dein Auftrag ist klar. Du hast alle Informationen, die du benötigst und die du bekommen wirst, den Rest musst du dir selbst beschaffen. Komm erst wieder, wenn du erfolgreich warst. Ich werde dich reich belohnen.»
Fragon hörte, wie sich die Zwergin erhob und sich zum Gehen wandte und dann langsam durch das Wohnhaus schritt. Als sie an der Tür angekommen war, hatte Fragon sich umgedreht und erhob seine Stimme.
«Wie ist dein Name?»
Jetzt war es an ihr, ihrem Auftraggeber den Rücken zugewendet zu antworten. Fast süffisant kam diese Antwort über ihre Lippen, während sie durch die Tür schritt.
«Nennt mich Marjena, Herr.»
Mit einem leisen Klicken fiel die Tür ins Schloss.
3 .Kapitel (Anzeigen)Das Gedicht vom Ghart
Sein Name ist Wankelmut,
das weiß ein jeder Tor,
trinkt mehr als ist gut,
macht jedem etwas vor.
Er schlägt und balgt sich immer,
stets in die Fresse rein,
stinkt jeden Tag ein bisschen schlimmer,
frisst wie 'nen altes Schwein.
Hat alles außer Witz und Benehmen,
hat auch kein Charme und Mut,
kann sich nur zu einem bequemen,
denn ständig kocht sein Blut.
Er schwitzt selbst beim müßigen Sitzen,
kennt an Worten nur derer vier,
versteht keinerlei rhetorische Spitzen,
denkt nur an frischgezapftes Bier.
Und so endet auch jeder einzelne Tag,
hat nichts weiter als Unnützes gemacht,
pöbelt jedes Wesen an so sehr er mag,
bis er nach unerholsamer Nacht wütend erwacht.
- improvisiertes Liedchen des Barden Zolt d'Ghallanda, der sehr erbost über Gharts Verhalten war, als der Zwerg auf einem der von den Ghallandas veranstalteten Banketten reinplatzte und sich so sehr betrank, dass er sich über die Veranstalterin erbrach, nachdem er vorher noch eine Elfengesellschaft aufzumischen versucht hatte.
«Augenscheinlich hat dieser Zwerg sich nicht im Griff, niemals im Griff.» Die kleine Halblingsgestalt mit dem kurzem, extrem lockigen, grau mellierten Haar und der kleinen Brille auf der Stubsnase war noch immer etwas verschnupft und noch immer wütend über die Vorgänge, die schon einige Zeit her waren; sein kleines, improvisiertes Gedicht, welches er noch immer auswendig konnte, spülte die Erinnerung wieder hoch. «Nannte uns aufgeblasene Spinner und hat die ganze Festhalle zusammengeschrien, Tische umgerissen, Einrichtung zerstört...» Seine Gegenüber war eine recht ansehnliche Zwergin, die jedoch einen merkwürdig wütenden Ausdruck im Gesicht hatte. «Zügelt eure Tiraden, Halbling. Ich bin nicht für eure schäumende Wut hier. Je schneller ihr zum Punkt kommt, desto eher bin ich gewillt, euch einen Bonus zu zahlen.» Der Halbling pustete die Backen auf und hustete. «Es geht nicht um eure Galifar, wie war euer werter Name?» Die Zwerge verstärkte ihre Forderung mit einer Handarmbrust. «Kommt. Zum. Punkt.» Der Halbling legte seine Laute beiseite und seufzte. «In Ordnung. Soweit ich weiß, ist er letzte Woche weitergezogen. Irgendwo nach Hatheril oder so, das soll er angesteuert haben.» Die Zwergin lächelte zufrieden und drückte dem Halbling einen Brief in die Hand, gemeinsam mit einigen Münzen. Der Halbling lächelte jetzt auch. «Es war einfach eine Frechheit, wie er unsere Gastfreundschaft ausgenutzt hat und unseren Namen beschmutzt hat. Drei Wochen haben wir ihn in eine Einzelzelle gesperrt und dann haben wir ihn aus der Stadt geworfen. Aber passt auf, er ist ein sturer und wütender Spinner. Er vertrimmt jeden, der etwas von ihm will.» Die Zwergin lächelte mitleidig und ging wortlos.