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« am: 13.06.2007, 20:39:51 »
So, wie Ein die Welt vergessen hat, und dazu ist er keiner weiteren Anregung bedürftig gewesen, so hat die Welt auch ihn vergessen. Von dem Moment an, als er den Kriegsgeschmiedeten herangerufen hat, ist alles stehengeblieben.
Selbst der abrupt stoppende Zug hat es versäumt, den jungen Mann von den Beinen zu reißen, und nun käme er damit zu spät.
Ein findet nur einen Kriegsschauplatz vor. Die mechanischen Soldaten sind überwunden und liegen zu einem Haufen zusammengekehrt, sodass das erste, was er in Abwesenheit jeder Menschenseele tun muss, das Erklimmen des Totenberges sein muss, und sich mit dem Speer in der Hand der Einbildung aussetzen, er habe alle diese Krieger niedergestreckt. So abwegig, meint er, ist das nun auch nicht, da immerhin alle Vorgänge in seiner Erinnerung verloschen sind.
Erst, als er der Nachahmung verschiedenster Gemäldefiguren, die ähnliche Berge Besiegter unter sich hatten, überdrüssig ist, wird ihm bewusst, dass er allein ist.
"Ist jemand hier? Ich hätte gerne... ein Wasserglas", erkundigt er sich zaghaft, die Anwesenheit anderer Wesen mehr fürchtend als hoffend. Überhaupt sind es Worte, die er nur aussprechen kann, da er weiß, dass niemand ihn hört.
Außerdem wirken die Räume etwas enger. Er steckt zwar den Speer ein, postiert sich aber mit dem Gesicht zu den Gefallenen, denn ob sie wirklich erschlagen worden sind, kann er diesen nicht ansehen. Nun könnte es also sein, dass sie sich erheben, in dem Moment, da er ihnen den Rücken zukehrt, und ihm Messer hineinwerfen, oder andere grausige Szenen könnten sich ergeben.
Er hockt sich in eine Waggonecke, von der aus er alle der Räuber im Blick hat.
"Xim? Daal Garden? Ihr seid natürlich kein Pferd..."
Seine Entschuldigung hallt ihm so bedrohlich in den Ohren, dass er beschließt, nicht weiter mit denen zu reden, die wahrscheinlich längst nicht mehr da sind. Nicht einmal die vergangene Zeit kann er ermessen. Was ist, wenn Tage vergangen sind und die Leichen neben ihm schon so lange hier liegen? Sie verwesen natürlich nicht.
Der Vampir kann an Schwäche des Alters gestorben sein. Sogar der, denn die, die Vampire für unsterblich erklären, wissen nicht, ob nicht nach so vielen Jahren, wie sie sich selbst nicht einmal vorstellen können, auch die Vampire sterben. Und just so viele Jahre mögen gerade eben vergangen sein.
Unvergänglich ist nur eine, so beharrlich er sie auch herausfordern mag, und wie viel Zeit auch in die Länder geflossen sein mag: Es ist Abend, die Sonne ist untergegangen - es gibt sie noch - und damit bricht die Stunde für ihn an, die er seiner geliebten, selbstgewählten Widersacherin widmet.
Er versteckt sich vor der Welt, die ihn eine Weile vergessen hat, hinter vor das Gesicht gehaltenen Händen, schließt aber die Augen nicht und lässt vor diesen je einen Spalt zwischen den Fingern, um nicht die Kriegsgeschmiedeten aus dem Blick zu verlieren.
Selbst, als er sich befreien will und sein zerknittertes, leeres Papier hervor holt. Er muss es auf die Knie klemmen, gehalten von einem Ellenbogen, denn auch der Stift fordert eine freie Hand, und mit der anderen muss er sich schützen.
Es ist ungemütlich und bedrückend, diese Haltung, aber er beginnt, etwas aus sich herauszuschreiben, das kein Gedicht an die Liebe ist.
Hat ein Mann, es erst einmal soweit kommen lassen, dass sich Berge von Trümmern vor ihm häufen türmen, selbstgeschaffen oder fremdgewirkt – die Ursprünge verblassen -, er aber selbst nicht die Kraft dazu hat, sie fortzuschaffen, oder dieser Mangel an Kraft gar der Grund ist, weshalb sich die Trümmer erst getürmt haben, denn es ist auch eben so gut möglich, dass sie es selbst getan haben, sich aufgetürmt, dann ist es nur allzu gut vielleicht durch Ausnutzung des männlichen Kraftmangels, dann ist es.................... kann es gerne so sein, dass die Trümmer in sich selbst also die Gnade verspüren, eine Gnade mit dem Kraftlosen, dem sie sich entgegengebaut haben, zu schnell, zu heftig, sodass nun eine Art der trümmerlichen Reue durch sie fährt und sie beschließen, sich höchstselbst durch eigene Triebkraft davonzuheben und eine Erlösung Abbauung fördern, die der Kraftlose also schon ersehnt hat, denkbar auch mit kecker Berechnung erwartet hat, dass die Trümmer zuerst nachgeben und vom Mitleid besiegt werden.
Dadurch wäre der Mann aber Kraft Sieger und alles nichtig, denn er hätte sie schlussendlich mit seiner Kraft besiegt, die nicht zu besitzen oder verloren zu haben er nur als Gauklerspiel inszeniert hat, worin ja wieder eine eigene Kraft liegt, Aktion und auch ein gewisses Vermögen von Wasserbüffelhörnern[/s] ............., die ihre Brandmarkung erst mit glühendem Eis....................
Auch mit Ende der bedeutenden Stunde ist Ein nicht wohler. Fürwahr hat er einiges dort fertiggebracht, auf die leere Seite, nun fehlt der wüsten Ansammlung an Gedanken aber der Verstand, der sie denken könnte.
Hinter Fingerschlitzen nimmt er den Leichenturm ins Visier, tastet sich mit der anderen Hand an der Wand entlang und hilft seinem Körper wieder aufwärts. Als er dabei abrutscht, muss er nun auch die andere zu Hilfe nehmen, um nicht zu stürzen, und siehe da, er selbst stürzt nicht – zu Boden -, und die Kadaver stürzen nicht – zu ihm. Er muss sich nicht unbedingt verstecken.
Von brausender Idee erfüllt verfällt er wieder in die Anfangsgebärde und besteigt den Berg aus Metall. „So“, sagt er ohne großen Sinn, stärkt sich diesmal aber durch die widerhallenden Worte, die er selbst in die Welt gebiert, und auf die die Wände ihm antworten. Damit sind sie schon mächtiger als der geschriebene Unfug, denn der ist ungehört geblieben. Oder nur unbeantwortet.
Er klopft mit dem Speerschaft gegen und auf Metallschädel, besiegt die Besiegten mit seinem Blick und ist mit einem Satz vom Kadaverturm herunter.
Denn sind sie nun alle tot, ist das sein Zug. Jeder Raum, jedes Abteil gehört ihm, und alles, was ihm noch daran gefallen mag.
Der Vampir allein gefällt ihm, und auch den hat er vielleicht längst ohne sein Wissen zerstört.
Er beginnt die Suche. Die ersten Meter noch rückwärts laufend, um die Augen immer auf dem Schrotthügel halten zu können, dann aber vorwärts und ungebremst, will er den gesamten Zug durchmessen. Das ist so eine Visitation, die er wohl vornehmen muss, bevor alles ihm zugeeignet wird, und damit auch der Vampir, ob untot, ob an Schwäche durch vorüberziehende Millennien oder durch Äxte im Hirn zerschmettert.