Die Tür zum „Waldgeist“ öffnete sich einmal mehr. Für einen Moment konnte man den Regen hören, der über Falkengrund hinweg zog und die Straße in ein großes Matschloch verwandelte. Der neue Gast schlug seine Kapuze nach hinten und sah sich nach einem freien Platz um, doch die Taverne war voll. Hinter der Theke polierte Dolin, der Wirt des Waldgeistes, ein Glas, das seine besten Tage schon sichtlich hinter sich hatte. Mit einem kurzen Nicken begrüßte der Gast den Wirt. Dolin stellte das Glas für einen Moment ab, langte unter die Theke und zog einen Hocker hervor, den er dem Gast reichte.
Falkengrund war noch nie ein Ort gewesen, an dem man lange verweilen möchte. Doch seit kurzem war alles noch schlimmer geworden. Eine Krankheit breitete sich in Falkengrund aus. Es war jedes Mal das Gleiche: erst hustet der Kranke, kurze Zeit später hustet er Blut, dann kommt das Fieber. Durch das ständige Husten hat der Kranke starke Schmerzen, starke Müdigkeit ist eines der letzten Symptome, doch dann ist es fast zu spät; die meisten wachen nicht wieder auf. Schwarzscheuerflecken wurde die Krankheit genannt. Ein Pilz, der am Wasser wächst, vergiftete dieses. Dolin musste sein Bier probekosten und eine Woche lang warten, bis er seine Kundschaft davon überzeugt hatte, dass sein Bier trinkbar ist. Seitdem diese Krankheit ausgebrochen ist, herrscht tiefe Niedergeschlagenheit in Falkengrund. Jeden Tag tummeln sich die Menschen vor Laurels Kräuterladen. Viele warten den ganzen Tag, nur um unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Die meisten landen dann im Waldgeist.
Der Mann hatte währenddessen seinen Hocker platzieren können und sich zu anderen Dorfbewohnern gesetzt. Dolin nahm sein Glas wieder in die Hand und polierte es mit seinem dreckigen Lumpen. Die Tür öffnete sich einmal mehr, eine Frau trat in die Taverne ein. Das Licht war schummerig, doch jeder konnte ihr tränenüberströmtes Gesicht sehen. Dolin erkannte die junge Frau, es war Dana. Ihr kleiner Sohn war vor ein paar Tagen an den Schwarscheuerflecken erkrankt. Der kleine war stets ein quietsch fideler Junge gewesen, der keine Schlammpfütze auslassen konnte. Mit seinem spitzbübischen Grinsen sprang er immer voller Freude hinein und die Matschfontäne traf sodann meistens nicht nur ihn. Doch selbst die grimmigsten Menschen, die vom Matsch getroffen wurden, konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen, während der Kleine schon wieder davon gedüst war.
Der Wirt war nie sonderlich sensibel gewesen, doch selbst er wusste, dass der kleine Levin es nicht geschafft hatte. Wortlos zog er einen weiteren Hocker hervor, stellte ihn an die Bar und goss Dana, das stärkste Gesöff ein, dass er hatte. Die Frau setzte sich an die Bar, ihr sonst so schönes braunes Haar war ganz nass vom Regen und klebte ihr im Gesicht. Sie nahm das Glas, leerte es in einem Zug. Kaum hatte sie es abgesetzt, bebte ihre Lippe und sie begann laut zu schluchzen.
„Mein kleiner Levin...“, wimmerte sie; im Waldgeist war es ganz still geworden. Einige Dorfbewohner standen auf und versuchten Dana Trost zu spenden.
Ein Dorfbewohner, es war,der Dorfschmied, beugte sich zu ihr hinüber und frage sie behutsam:
„Hast Du ihn zu Laurel gebracht?“
Dana nickte nur mit dem Kopf.
„Hat es geholfen?“, fragte er weiter, doch zuckte er zusammen, als er das laute Aufheulen von Dana vernahm und sich dem Wortlaut seiner Frage bewusst wurde.
„Ich meine, hat es ihm Linderung verschafft, seine Symptome geschwächt.“, korrigierte er sich.
Die junge Mutter starrte das Glas vor ihr an, das von Dolin gerade wieder aufgefüllt wurde. Sie verharrte einen Augenblick, bis sie wieder mit dem Kopf schüttelte. Einen Moment später, hob sie den Kopf und starrte Kendro in die Augen.
„Es ging ihm danach schlechter, viel schlecht...“, sagte sie, bevor ihre Stimme erneut brach und ihren Tränen freien Lauf ließ.
Aus der anderen Ecke der Taverne erhob sich die Stimme eines weiteren Dorfbewohners: „Ich habe für meine Mutter ebenfalls etwas bei Laurel gekauft, danach ging es ihr auch schlechter.“ Er hielt einen Moment inne. „Sie ist tot.“
„Meine Frau hat seit 3 Tagen die Schwarzscheuerflecken. Gestern war ich bei Laurel und bin den ganzen Tag angestanden um einen Trank für meine Frau zu kaufen. Heute hustet sie noch mehr und ihr Fieber ist stärker geworden.“, sagte ein anderer Dorfbewohner, der jetzt aufgestanden war.
Kendro tätschelte Danas Schulter, dann stand er wieder auf und schaute in die Runde. „Wer hat noch Angehörige, die bei Laurel waren?“, fragte er ganz leise, doch im Waldgeist war es so still, dass jeder ihn hören konnte. Einige weitere hoben die Hand. Kendro fuhr fort, noch leiser. „Und bei wem hat es alles noch viel schlimmer gemacht?“ Nur wenige Hände senkten sich.
Dolin stellte sein poliertes Glas erneut ab. Das roch nach Ärger.
„Laurel will so vielen von uns helfen, doch wem hat es geholfen?“, sprach der Schmied. „Sie verlangt viel Geld für einen solchen Trank...“, fuhr er fort. „...einen ganzen Monatslohn hat es mich gekostet“, rief ein Gast dazwischen; zustimmendes Gemurmel wurde laut.
„Laurel konnte sich immer nur knapp über Wasser halten, doch seitdem diese Krankheit und Pilze auf ominöse Art aufgetaucht sind, geht es ihr auf einmal sehr sehr gut.“ Kendro ließ die Worte im Raum wirken, er konnte förmlich sehen, wie jeder einzelne den Sinn dahinter verstand. Stimmen wurden laut. „Laurel ist für die Krankheit schuld!“ „Sie will sich nur selbst bereichern!“ Bei jedem Ausruf wurde das zustimmende Gemurmel größer. Das Wort „Hexe“ war plötzlich in aller Munde, keine Sekunde später rief die ganze Taverne im Chor “Hexe, Hexe, Hexe“.
Plötzlich unterbrach das klirrende Geräusch eines zerspringenden Glases die Stille. Dolin hatte sein Glas auf den Boden geschmettert, es herrschte augenblicklich Stille. Der beleibte Wirt schaute sich in seiner Taverne um, sah möglichst jedem in die Augen.
„Ihr könnt nichts beweisen, macht nichts Unüberlegtes“, sagte er in die Runde hinein. Bedrückte Stille breitete sich aus. Kendro nahm das Wort einmal mehr in die Hand.
„Dana, wann hast du Levin zu Laurel gebracht.“
Die Frau schluchzte noch immer leise vor sich hin, doch mit aller Mühe brachte sie ein „Gestern“ hervor. Kendro beugte sich einmal mehr zu ihr hinüber, er flüsterte, doch jeder konnte ihn hören.
„Wie geht es deinem Sohn jetzt?“, fragte er, während die anderen Dorfbewohner scharf die Luft einsogen. Dieses mal zuckte er nicht zusammen, als Dana aufschluchzte, er wiederholte die Frage sogar noch einmal. Dana hob ihren Kopf wieder, drehte ihn zu Kendro, der sich wieder erhoben hatte. Ihr Schluchzen hörte für einen Moment auf. „Er ist...“ ihre Lippe begann zu zittern. „...tot“.
Kendro seufzte einmal laut hörbar. „Ist das Beweis genug?“ Der Schmied schnippte Dolin eine Münze zu, zog einen Hammer von seinem Gürtel, schlug die Tavernentür auf und trat in den Regen hinaus. Das Geräusch des Regens wurde vom Scharren vieler Stühle übertönt.
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Über den Schriftzug „Wurzeln und Heilmittel“ tanzten die Schatten der Laternen, während der Regen auf alle herabprasselte. Viele Männer mit Hämmern, Schwertern und allerlei anderer Waffen umlagerten das Haus von Laurel. Unzählige Leute waren ebenfalls da, auch wenn sie einen großzügigen Abstand zum Haus und den Männern hielten. Diese brüllten mit ihren tiefen Stimmen stets “HEXE, HEXE, HEXE“. Kendro an ihrer Spitze gebot ihnen Einhalt, nahm seinen Hammer, den er lautstark gegen die Tür hämmerte und so laut er konnte, rief: „Hexe Laurel! Öffne die Tür, Du wirst niemanden mehr mit dieser Krankheit töten!“
Die Frau ließ Kronos Frage einen Augenblick im Raum stehen, bevor sie mit einem Schritt aus dem Dunkel trat.
"Ja, ich bin ." Laurel hielt kurz inne und auf ihrem Gesicht tauchte ein besorgter Blick auf.
"Ich hatte mit etwas Derartigem fast gerechnet." Ihr Blick schweifte für einen Moment hinweg. "Aber leider nur fast. Ich glaube sie sind noch nicht am Haus. Wir sollten verschwinden, bevor es unangenehm wird."
Laurel machte ein paar Schritte zurück in die Dunkelheit ihres Ladens, griff ein Buch und eine Weste auf, die sie sich um die Schulter warf. Just in dem Moment, als sie vor der Tür stand, hämmerte es mit lautem Knallen gegen die Tür. Die Kräuterkundige fuhr zusammen und trat ein paar Schritte zurück. Auf ihrem Gesicht stand nun die Angst geschrieben. Panisch warf sie Blicke umher, auf der Suche nach einer Lösung.
Als das Hämmern ein weiteres Mal erschien und die "HEXE"-Rufe nun deutlich zu vernehmen waren, wandte sie sich an den Elfen.
"Habt ihr irgendeine Idee, wie wir hier herauskommen könnten, Herr...?"
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Der Halbling schreckte zurück, als der Wolf sein Knurren von sich gab. Er schenkte dem Tier einen vernichtenden Blick und wandte sich dann an die Gnomin. Er musterte sie mit einem abschätzigen Blick und setzte sodann seinen Hammer auf die Schulter.
"Warum wir uns gegen diese Frau richten? Du wagst es tatsächlich das zu fragen?" Kendro drehte sich zu den Männern um, die hinter ihm in Schweigen verfallen waren und die die Gnomin mit ihren Fackeln und Waffen finstere Blicke zuwarfen.
"Männer, warum bringen wir Falkengrund Gerechtigkeit?", brüllte der Halbling
Keine Sekunde später hallte der alte "HEXE, HEXE, HEXE"-Chorus über den Platz.
"Da hörst du es.", sein Gesicht verzog sich zu einem dreckigen Grinsen.
"Diese Frau hat Elend über uns gebracht, jetzt bringen wir es zu ihr und Falkengrund Gerechtigkeit. Da gibt es nichts unter vier Augen zu bereden, die Beweislage ist..." Er hielt einen Moment inne, schaute sich kurz um und wandte seinen Blick wieder auf die Druidin. "Erdrückend. Möchtest du etwas zur Verteidigung dieser Frau sagen?"
Vorsichtig spähte Korax in das Gesicht des Holzfällers. Kurz überlegte er ob dieser vielleicht betrügen würde, doch auf der anderen Seite hatte dieser kurzvorher ein Spiel verloren. Oder war diese Szene extra für ihn gespielt worden? Die Gier in den Augen des Mannes vor ihm lies ihn vorsichtig werden.
Sich von einem einzigen Wurf jedoch nicht beeindrucken lassend, nahm er seine letzte Kupfermünze zur Hand, legte sie in den Pot und fragte, während er sich mit der anderen Hand am Kopf kratzte: "Nach Regeln ihr müssen zu Mami? Spiel später weiterspielen?" Kurz durchsuchte er seinen Geldbeutel fand jedoch kein zweites Kufperstück und das erste mal huschte ein echte Grübeln über seine Stirn. Dann zog er eine Silbermünze hervor und sagte: "Jemand tauschen mit mir?"
Die Antwort des Holzfällers schon kennend nahm er die ihm angebotenen Würfel und lies den Würfelbecher fast sanft auf dem Spieltisch nieder. Mit einer ruckartigen Bewegung zog er den Becher weg und präsentierte eine 3. Laut rief er zufrieden :"Du Münze legen!"
Mit einer übertriebenen glücklichkeit nahm er den Humpen und einen tiefen Zug. Ein zufriedenes Grunzen erklang aus seiner Kehle und erneut setzte er an, zumindest den Namen seines Mitspielers zu erfahren: "Korax und Fremder spielen und trinken. Korax kann Fremde nicht leiden. Wie heißt Fremder?"
Zurfrieden bemerkte Korax, dass fast alle Blicke auf ihm und den Holzfäller gerichtet waren. So sollten seine neuen Begleiter unbemerkt etwas in Erfahrung bringen können.
Als dann die Silbermünze gewechselt wurde, legt er die zweite fehlende Kupfermünze in den Pot und steckt das Kupfer vorläufig in seinen Beutel, wohlwissend das die meisten dieser Münzen noch im Pot landen würden.
Mit einer hastigen Bewegung steckte sich er Vorarbeiter die Münzen in die Tasche. Sein Gesicht zeigte höchste Zufriedenheit. Er schaute sich noch einmal kurz zu den Spielenden um, bevor er mit verschwörerischer Miene zu einem kleinen Kabuff, etwas abseits des Feuers lief. Er öffnete es und trat ein, womit der Platz auch schon fast ausgefüllt war. Das Objekt des Begehrens war an der Wand festgemacht. Behutsam nahm er die Karte von der Wand, rollte sie zusammen und streckte sie Kronos hin.
"Hier, mein guter Freund! Ich habe sie sogar selbst beschriftet!"
Er fuchtelte noch ein wenig mit der Karte umher, bis Kronos sie entgegen nahm. Daraufhin wandelte er mit Engelsgesicht zurück zum Lagerfeuer und stellte sich zu den Spielern. Bevor er sich endgültig dem Spiel widmete, blickte er sich noch einmal kurz zu Kronos um und zwinkerte ihm freundschaftlich zu.