Khenubaal
02.Jan.2016
08:01
Hallo Leute,
ich habe mich entschlossen, hier in unserem Forum eine Fortsetzungsgeschichte im Kingdoms of Kalamar-Setting zu schreiben, und zwar aus mehreren Gründen, die da wären:
1) Ich habe Bock drauf! :)
2) Ich hoffe, dass sie dem einen oder anderen von euch gefällt und
3) Außerdem noch ein paar tiefere Einblicke in die Welt von Tellene ermöglicht und...
4) Ach ja - ich habe Bock drauf! :)
Da es eine Fortsetzungsgeschichte werden soll, kommen nach und nach in weiteren Beiträgen weitere Teile hinzu, wobei ich mich bemühen werde, je ein in sich geschlossenes Kapitel pro Beitrag zu posten. Ich bitte euch aber daher, in diesem Thread nichts zu posten, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Wer einen Kommentar (positives, wie negatives ist immer willkommen) zur Story hat, sollte das im OOC-Thread posten.
Übrigens - sollte der eine oder andere von euch auf den Geschmack kommen und selber Mal eine Story im KoK-Setting schreiben wollen - gebt Bescheid und ich mache dafür einen eigenen Thread auf.
In diesem Sinne: viel Spaß beim Lesen.
Khenubaal
_________________________________________________________________________________________
"Ukhluch, bitte! Ich habe kein Geld! Nicht eine einzige Lida!"
"Falsche Antwort!"
Die Faust des Krangi schnellte blitzartig auf das Gesicht des vor ihm knieenden Mannes herunter. Ein dumpfer Knall erscholl und die zerlumpte Gestalt krachte rücklings in den Staub der Seitengasse. Ukhluch trug zwei dornenbewährte Stahlringe an den Fingern der Rechten. Von denen tropfte jetzt Blut. Links, knapp unterhalb der Augenhöhle des Mannes, klaffte eine tiefe Wunde, die sich über die Wange hinab bis zum Kinn zog.
Die wenigen umstehenden Gestalten huschten in die Schatten. Zwei Schaulustige an der Mündung zur Töpferstraße eilten davon. Warda, die Nachbarin, knallte die Fensterläden der kleinen Holzhütte zu. Und auch Aabid ließ schnell die Zeltplane runter. Nur Salem - ein kleiner Junge - seine drei Schwestern und seine Mutter blieben wie angewurzelt im Zelteingang stehen. Ihr Zelt stand am Ende der Sackgasse, die bis auf Ukhluch, seine beiden Häscher und Salems Vater, der blutüberströmt im Staub lag, nun so menschenleer und verlassen war, wie nie zuvor.
Salem verübelte es den Nachbarn nicht, dass sie sich versteckten. Dort lebten Freunde und Spielkameraden von ihm, Freundinnen seiner Mutter und seiner Schwestern, und einige gute Männer. Aber sein Vater hielt sich eher an die Trinker und Taugenichtse. Und selbst wenn nicht - jeder wusste, was passierte, wenn man sich Leuten wie Ukhluch widersetzte. Das konnte man von niemandem verlangen.
Salem zitterte. Er war erst zwölf Sommer alt und hatte Angst. Dann hörte er ein Schluchzen und sah zur Seite. Rabi, seine jüngste Schwester, war auf die Knie gesunken und weinte leise. Seine beiden anderen Schwestern eilten zu ihr, knieten sich neben ihr hin und begannen, sie zu trösten. Auch sie zitterten. Salem schaute zu seiner Mutter. Sie stand da, wie angewurzelt, und schaute mit glasigem, leerem Blick auf die Szenerie in der Gasse. Wie der Wüstenfuchs vor der Kobra. Wie eine Puppe führten ihre Hände mechanisch weiter die Bewegungen aus, die sie seit Jahren als einziges kannten, und flochten weiter an dem halbfertigen Flechtenkorb in ihrem Schoß.
"Bitte, bitte - Ukhluch" - sein Vater war wieder zu sich gekommen. Salem schaute nach vorn. Sein Vater kroch rücklings nach hinten und flehte den Krangi wieder an. "Noch eine Woche bitte! Noch drei Tage! Ich besorge das Geld!"
"Halt's Maul!" Ukhluch schrie und holte den Mann mit zwei kraftvollen Schritten ein. Er zog ein langes Jagdmesser unter seinem Umhang hervor und kniete sich über seinem Opfer hin. Mit einem kräftigen Stoß nagelte er den zerlumpten Überwurf nur einen Fingerbreit von der Schulter des Mannes entfernt am Boden fest.
"Du kennst Ukhluch. Jeder hier im Töpferviertel kennt Ukhluch. Ich leihe jedem Geld, der in Not ist. Ich gebe jedem eine Chance. Aber ich will mein Geld pünktlich zurück! Keine Schonfristen!" Er hatte die Worte laut geschrieen, so dass jeder in der Gasse und darüber hinaus sie hören konnte. Seine beiden Häscher lachten auf und grölten. Nun kniete sich Ukhluch noch tiefer über Salems Vater. Der Junge sah, wie eine Geiferspur aus dem Maul des Krangi seinem Vater auf das Kinn tropfte, als dieser leiser weitersprach. "Und du weißt, was passiert, wenn ich mein Geld nicht pünktlich kriege - mit Zins."
Salems Vater zitterte am ganzen Körper. Seine Stimme stotterte. Es war ein erbärmlicher Anblick. 'Du verdammter Säufer', dachte Salem. Der Junge verschränkte die Arme und unterdrückte die Angst in sich, so gut es ging. Alles - nur nicht so sein, wie sein Vater. "Bitte Ukhluch!", flehte dieser wieder. "Ich habe nichts - keine einzige Lida!"
Der Krangi entblößte die Hauer in einem eisigen Lächeln und schaute auf zu Salem und seiner Familie. "Ja", sagte er. "Aber du hast drei Töchter. Die Älteste - wie alt ist sie? Fünfzehn Sommer, sechzehn? Auf jeden Fall alt genug, um als Lustsklavin in einem der Bordelle unterzukommen. Ist zwar hässlich und abgemagert - sicher keine 30 Lidae wert, aber ich mache heute dir zu liebe eine Ausnahme."
"Ibtissam?", murmelte Salems Vater. "Aber sie ist meine Tochter. Nein, nein. Das geht nicht. Die gebe ich nicht her!"
Ukhluch klatschte mit der flachen Hand auf den staubigen Boden und heulte entzückt auf. "Die gibt er nicht her!", rief er seinen Häschern zu. Die beiden Männer fielen in das Lachen ein. Ein Lachen, das anhielt und und nicht zu enden schien, bevor es dann doch abrupt und mit einem harten Faustschlag auf das Gesicht des liegenden Mannes abriss.
"Ich nehme mir alles, Säufer!", schrie Ukhluch den Mann an, während er seine Faust wieder zurückzog. "Wenn deine Tochter dir was wert war, hättest du daran denken sollen, bevor du dein ganzes Darlehen versoffen hast! Also - ich frage noch einmal, und diesmal deutlicher. Entweder deine Tochter kommt mit, und du bist mir bis an dein Lebensende dankbar, dass ich dich verschont hab'. Oder: ich zermatsche deinen Kopf hier und jetzt, so dass du Futter für die Wüstenratten wirst, und nehme mir deine Tochter danach zur Deckung meiner Kosten. Was sagst du?"
Salems Vater zitterte nun noch mehr. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel. Und Salem sah, dass seine Lumpen sich um die Lenden herum dunkler färbten. Er hatte sich eingenässt. "Ja", murmelte er. Salem riss vor Entsetzen die Augen auf. "Ja - klar. Natürlich! Danke! So machen wir das."
"Na also", murmelte der Krangi zufrieden. "Sag ihr, sie soll herkommen."
Salems Vater schluckte. "Ja", murmelte er wieder. Dann schluckte er noch einmal. Und noch einmal. "Ibtissam?", rief er schließlich. "Ibtissam. Komm her!"
Salem schaute zu seiner großen Schwester. Sie stand da wie angewurzelt, wagte nicht zu atmen. Tränenfurchen zogen sich über ihre Wangen. Das schwarze, lockige Haar verdeckte den Hals, doch er wusste, dass sie malmte und schluckte. Ihre Hände zitterten, doch sonst konnte sie sich nicht bewegen. Der Junge schaute seine Schwestern und seine Mutter an, doch auch sie standen nun völlig starr.
"Also, was ist?", rief Ukhluch. "Bist du so ein Wofooka, dass selbst deine Tochter nicht auf dich hört?"
"Nein, nein - sie kommt gleich", murmelte der Mann. "Ibtissam! Komm sofort her!", rief er wieder.
Salem hörte ein Schluchzen. Er schaute wieder zu seiner Schwester und sah, wie sie einen Fuß vor den anderen zu setzen begann und langsam auf ihren Vater und seine Peiniger zuging. "Mutter!", rief Salem. "Tu' was!"
Seine Mutter schaute ihn mit demselben starren Blick an. Auch ihre Wangen waren von Tränenfurchen durchzogen, aber die Augen waren ausdruckslos und leer. 'Ohne Hoffnung, ohne Kraft', dachte Salem. "Aber was soll ich denn tun, mein Junge?", murmelte sie.
Salem ballte die Fäuste. Erst jetzt merkte er, wie schwer er atmete, dass auch er weinte und wieder am ganzen Körper zitterte, aber diesmal vor Wut. "Nein!", schrie er.
Dann, plötzlich, lief er los. Mit zwei Sätzen hatte er seine Schwester eingeholt und riss sie wieder zurück, so dass sie in den Staub fiel. "Nein! Nein! Nein!", rief er immer wieder, lief dabei weiter auf Ukhluch und seinen Vater zu und blieb vor diesen stehen.
"Was willst du, Knirps?", fragte Ukhluch belustigt.
Salem zitterte noch stärker, atmete so schwer, als hätte er nicht dreißig Fuß, sondern dreißig Meilen zurückgelegt. Aber es gab jetzt kein zurück. "Ich komme mit dir, Ukhluch. Nimm mich anstatt meiner Schwester", sagte er.
Der Krangi und seine Häscher starrten den Jungen entgeistert an. Salem sah, dass auch das Gesicht seines Vaters denselben Ausdruck hatte, und er spürte dieselben Blicke in seinem Rücken. Dann lachte Ukhluch auf. "Dich?", rief er, sich schüttelnd. "Was soll ich mit dir? So dürr und schwächlich, wie du bist, bringst du auf dem Sklavenmarkt keine zehn Lidae ein. Oder hast du da eine Möse unter deinen Lumpen versteckt?" Der Krangi lachte über seinen eigenen Scherz und auch die beiden Männer hinter ihm fielen ein.
"Hey!", rief Salem trotzig. "Ich bin stark - ich kann drei Kant Holz auf einmal schleppen. Außerdem bin ich schlau! Ich kann rechnen und lesen! Ich bin mehr als zehn Lidae wert!"
Die drei Männer lachten noch lauter auf. "Ach ja?", rief Ukhluch. "Gut", er hielt seine linke hoch und streckte alle Finger aus. "Wie viele Finger halte ich hoch?"
Salem konnte nicht rechnen - das war eine Lüge gewesen. Aber jeder im Töpferviertel wusste, dass ein reudiger Hund Ukhluch mal einen Finger abgebissen hatte. Salem hoffte, dass es die linke Hand gewesen war. "Vier!", rief er sofort.
Der Krangi schüttelte sich immer noch, doch langsam klang das Gelächter ab. "Stimmt, Knirps. Aber das nächste mal solltest du hinschauen, bevor du antwortest. Das sieht dann so aus, als könntest du wirklich zählen", sagte er mit einem Grinsen.
An den Mann am Boden gewandt sagte er: "Ich mag deinen Knirps, Säufer. Ist noch so klein, dass er zwischen meinen Füßen durchlaufen könnte, hat aber schon mehr Eier, als du." Dann schaute er wieder zu Salem. "Also gut, Knirps. Ich nehme dich - deine Schwester darf bleiben."
Salem nickte. Er merkte plötzlich, dass er nicht mehr zitterte, nicht mehr weinte. Er stand völlig still und äußerlich ruhig dar. Aber ihm war, als würden seine Knie gleich nachgeben und als würde es vor seinen Augen jeden Augenblick schwarz werden. Aber so kam es nicht. Er sagte nur "Gut" und nickte noch einmal.
Später konnte er sich an die nächsten Minuten - die Minuten des Abschieds - nicht mehr erinnern. Alles verschwamm hinter einem grauen Schleier, der in den darauffolgenden Tagen und Monaten immer weiter zu völliger Schwärze gerann. Salem behielt nur ganz wenige Eindrücke zurück. Er wusste nicht mehr, wie das Gesicht seiner Mutter ausgesehen hatte, als er sich von ihr verabschiedete. Er nahm an, dass es genauso ausdrucklos und leer gewesen war, wie zuvor. Er wusste auch nicht, welchen Gesichtsausdruck sein Vater gehabt hatte, als er ging, ohne sich zu verabschieden. Er war sich sicher, dass der Grund dafür darin lag, dass er dem alten Säufer nicht einmal einen Blick zugeworfen hatte, als er an ihm vorbeilief.
Nur einen einzigen Schnappschuss hatte sein Unterbewusstsein in aller Deutlichkeit behalten. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er sich an nichts sonst erinnerte - weil sein Kopf alle Kraft und allen Raum dafür gebraucht hatte, dieses eine Bild so vollkommen zu bewahren? Als sie an der Mündung der Gasse angekommen waren, hatte Salem noch einmal nach hinten geblickt. Er hatte in Ibtissams Gesicht geschaut, in das wunderschöne Gesicht seiner Schwester, das er sogar besser kannte, als sein eigenes Spiegelbild, und das jetzt von Tränen überströmt war. Sie weinte, aber als sie sah, dass er sie anschaute, hielt sie die Tränen zurück und lächelte ihn traurig an. Wann immer Salem in seinem späteren Leben die Augen schloss, konnte er seine Schwester in diesem Augenblick sehen. Nie zuvor und nie danach hatte ein Gesicht zugleich so viel Trauer und so viel Dankbarkeit in sich vereinen können. "Tsalani", murmelte Salem leise, wohlwissend, dass sie ihn nicht mehr hören konnte. Lebwohl. Dann bog er zusammen mit den Männern in die belebte Töpferstraße ein.
Einer der Häscher schlug ihm zur Aufmunterung grob auf die Schulter. "Hast Mut, Junge", sagte der Mann. "Auf den Sklavenmarkt zu gehen, um die eigene Schwester zu retten. Das bringen nicht viele - Kulem!.
Salem schaute den Mann trotzig an. "Ich habe es nicht für meine Schwester getan", sagte er. "Ich habe es für mich getan. Egal, an wen ihr mich verkauft. Jedes Leben ist besser als das bei diesem Arschloch von Vater."
ich habe mich entschlossen, hier in unserem Forum eine Fortsetzungsgeschichte im Kingdoms of Kalamar-Setting zu schreiben, und zwar aus mehreren Gründen, die da wären:
1) Ich habe Bock drauf! :)
2) Ich hoffe, dass sie dem einen oder anderen von euch gefällt und
3) Außerdem noch ein paar tiefere Einblicke in die Welt von Tellene ermöglicht und...
4) Ach ja - ich habe Bock drauf! :)
Da es eine Fortsetzungsgeschichte werden soll, kommen nach und nach in weiteren Beiträgen weitere Teile hinzu, wobei ich mich bemühen werde, je ein in sich geschlossenes Kapitel pro Beitrag zu posten. Ich bitte euch aber daher, in diesem Thread nichts zu posten, um den Lesefluss nicht zu unterbrechen. Wer einen Kommentar (positives, wie negatives ist immer willkommen) zur Story hat, sollte das im OOC-Thread posten.
Übrigens - sollte der eine oder andere von euch auf den Geschmack kommen und selber Mal eine Story im KoK-Setting schreiben wollen - gebt Bescheid und ich mache dafür einen eigenen Thread auf.
In diesem Sinne: viel Spaß beim Lesen.
Khenubaal
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Salem
30 Lidae und ein ganzes Leben
1: Ibtissam
"Ukhluch, bitte! Ich habe kein Geld! Nicht eine einzige Lida!"
"Falsche Antwort!"
Die Faust des Krangi schnellte blitzartig auf das Gesicht des vor ihm knieenden Mannes herunter. Ein dumpfer Knall erscholl und die zerlumpte Gestalt krachte rücklings in den Staub der Seitengasse. Ukhluch trug zwei dornenbewährte Stahlringe an den Fingern der Rechten. Von denen tropfte jetzt Blut. Links, knapp unterhalb der Augenhöhle des Mannes, klaffte eine tiefe Wunde, die sich über die Wange hinab bis zum Kinn zog.
Die wenigen umstehenden Gestalten huschten in die Schatten. Zwei Schaulustige an der Mündung zur Töpferstraße eilten davon. Warda, die Nachbarin, knallte die Fensterläden der kleinen Holzhütte zu. Und auch Aabid ließ schnell die Zeltplane runter. Nur Salem - ein kleiner Junge - seine drei Schwestern und seine Mutter blieben wie angewurzelt im Zelteingang stehen. Ihr Zelt stand am Ende der Sackgasse, die bis auf Ukhluch, seine beiden Häscher und Salems Vater, der blutüberströmt im Staub lag, nun so menschenleer und verlassen war, wie nie zuvor.
Salem verübelte es den Nachbarn nicht, dass sie sich versteckten. Dort lebten Freunde und Spielkameraden von ihm, Freundinnen seiner Mutter und seiner Schwestern, und einige gute Männer. Aber sein Vater hielt sich eher an die Trinker und Taugenichtse. Und selbst wenn nicht - jeder wusste, was passierte, wenn man sich Leuten wie Ukhluch widersetzte. Das konnte man von niemandem verlangen.
Salem zitterte. Er war erst zwölf Sommer alt und hatte Angst. Dann hörte er ein Schluchzen und sah zur Seite. Rabi, seine jüngste Schwester, war auf die Knie gesunken und weinte leise. Seine beiden anderen Schwestern eilten zu ihr, knieten sich neben ihr hin und begannen, sie zu trösten. Auch sie zitterten. Salem schaute zu seiner Mutter. Sie stand da, wie angewurzelt, und schaute mit glasigem, leerem Blick auf die Szenerie in der Gasse. Wie der Wüstenfuchs vor der Kobra. Wie eine Puppe führten ihre Hände mechanisch weiter die Bewegungen aus, die sie seit Jahren als einziges kannten, und flochten weiter an dem halbfertigen Flechtenkorb in ihrem Schoß.
"Bitte, bitte - Ukhluch" - sein Vater war wieder zu sich gekommen. Salem schaute nach vorn. Sein Vater kroch rücklings nach hinten und flehte den Krangi wieder an. "Noch eine Woche bitte! Noch drei Tage! Ich besorge das Geld!"
"Halt's Maul!" Ukhluch schrie und holte den Mann mit zwei kraftvollen Schritten ein. Er zog ein langes Jagdmesser unter seinem Umhang hervor und kniete sich über seinem Opfer hin. Mit einem kräftigen Stoß nagelte er den zerlumpten Überwurf nur einen Fingerbreit von der Schulter des Mannes entfernt am Boden fest.
"Du kennst Ukhluch. Jeder hier im Töpferviertel kennt Ukhluch. Ich leihe jedem Geld, der in Not ist. Ich gebe jedem eine Chance. Aber ich will mein Geld pünktlich zurück! Keine Schonfristen!" Er hatte die Worte laut geschrieen, so dass jeder in der Gasse und darüber hinaus sie hören konnte. Seine beiden Häscher lachten auf und grölten. Nun kniete sich Ukhluch noch tiefer über Salems Vater. Der Junge sah, wie eine Geiferspur aus dem Maul des Krangi seinem Vater auf das Kinn tropfte, als dieser leiser weitersprach. "Und du weißt, was passiert, wenn ich mein Geld nicht pünktlich kriege - mit Zins."
Salems Vater zitterte am ganzen Körper. Seine Stimme stotterte. Es war ein erbärmlicher Anblick. 'Du verdammter Säufer', dachte Salem. Der Junge verschränkte die Arme und unterdrückte die Angst in sich, so gut es ging. Alles - nur nicht so sein, wie sein Vater. "Bitte Ukhluch!", flehte dieser wieder. "Ich habe nichts - keine einzige Lida!"
Der Krangi entblößte die Hauer in einem eisigen Lächeln und schaute auf zu Salem und seiner Familie. "Ja", sagte er. "Aber du hast drei Töchter. Die Älteste - wie alt ist sie? Fünfzehn Sommer, sechzehn? Auf jeden Fall alt genug, um als Lustsklavin in einem der Bordelle unterzukommen. Ist zwar hässlich und abgemagert - sicher keine 30 Lidae wert, aber ich mache heute dir zu liebe eine Ausnahme."
"Ibtissam?", murmelte Salems Vater. "Aber sie ist meine Tochter. Nein, nein. Das geht nicht. Die gebe ich nicht her!"
Ukhluch klatschte mit der flachen Hand auf den staubigen Boden und heulte entzückt auf. "Die gibt er nicht her!", rief er seinen Häschern zu. Die beiden Männer fielen in das Lachen ein. Ein Lachen, das anhielt und und nicht zu enden schien, bevor es dann doch abrupt und mit einem harten Faustschlag auf das Gesicht des liegenden Mannes abriss.
"Ich nehme mir alles, Säufer!", schrie Ukhluch den Mann an, während er seine Faust wieder zurückzog. "Wenn deine Tochter dir was wert war, hättest du daran denken sollen, bevor du dein ganzes Darlehen versoffen hast! Also - ich frage noch einmal, und diesmal deutlicher. Entweder deine Tochter kommt mit, und du bist mir bis an dein Lebensende dankbar, dass ich dich verschont hab'. Oder: ich zermatsche deinen Kopf hier und jetzt, so dass du Futter für die Wüstenratten wirst, und nehme mir deine Tochter danach zur Deckung meiner Kosten. Was sagst du?"
Salems Vater zitterte nun noch mehr. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel. Und Salem sah, dass seine Lumpen sich um die Lenden herum dunkler färbten. Er hatte sich eingenässt. "Ja", murmelte er. Salem riss vor Entsetzen die Augen auf. "Ja - klar. Natürlich! Danke! So machen wir das."
"Na also", murmelte der Krangi zufrieden. "Sag ihr, sie soll herkommen."
Salems Vater schluckte. "Ja", murmelte er wieder. Dann schluckte er noch einmal. Und noch einmal. "Ibtissam?", rief er schließlich. "Ibtissam. Komm her!"
Salem schaute zu seiner großen Schwester. Sie stand da wie angewurzelt, wagte nicht zu atmen. Tränenfurchen zogen sich über ihre Wangen. Das schwarze, lockige Haar verdeckte den Hals, doch er wusste, dass sie malmte und schluckte. Ihre Hände zitterten, doch sonst konnte sie sich nicht bewegen. Der Junge schaute seine Schwestern und seine Mutter an, doch auch sie standen nun völlig starr.
"Also, was ist?", rief Ukhluch. "Bist du so ein Wofooka, dass selbst deine Tochter nicht auf dich hört?"
"Nein, nein - sie kommt gleich", murmelte der Mann. "Ibtissam! Komm sofort her!", rief er wieder.
Salem hörte ein Schluchzen. Er schaute wieder zu seiner Schwester und sah, wie sie einen Fuß vor den anderen zu setzen begann und langsam auf ihren Vater und seine Peiniger zuging. "Mutter!", rief Salem. "Tu' was!"
Seine Mutter schaute ihn mit demselben starren Blick an. Auch ihre Wangen waren von Tränenfurchen durchzogen, aber die Augen waren ausdruckslos und leer. 'Ohne Hoffnung, ohne Kraft', dachte Salem. "Aber was soll ich denn tun, mein Junge?", murmelte sie.
Salem ballte die Fäuste. Erst jetzt merkte er, wie schwer er atmete, dass auch er weinte und wieder am ganzen Körper zitterte, aber diesmal vor Wut. "Nein!", schrie er.
Dann, plötzlich, lief er los. Mit zwei Sätzen hatte er seine Schwester eingeholt und riss sie wieder zurück, so dass sie in den Staub fiel. "Nein! Nein! Nein!", rief er immer wieder, lief dabei weiter auf Ukhluch und seinen Vater zu und blieb vor diesen stehen.
"Was willst du, Knirps?", fragte Ukhluch belustigt.
Salem zitterte noch stärker, atmete so schwer, als hätte er nicht dreißig Fuß, sondern dreißig Meilen zurückgelegt. Aber es gab jetzt kein zurück. "Ich komme mit dir, Ukhluch. Nimm mich anstatt meiner Schwester", sagte er.
Der Krangi und seine Häscher starrten den Jungen entgeistert an. Salem sah, dass auch das Gesicht seines Vaters denselben Ausdruck hatte, und er spürte dieselben Blicke in seinem Rücken. Dann lachte Ukhluch auf. "Dich?", rief er, sich schüttelnd. "Was soll ich mit dir? So dürr und schwächlich, wie du bist, bringst du auf dem Sklavenmarkt keine zehn Lidae ein. Oder hast du da eine Möse unter deinen Lumpen versteckt?" Der Krangi lachte über seinen eigenen Scherz und auch die beiden Männer hinter ihm fielen ein.
"Hey!", rief Salem trotzig. "Ich bin stark - ich kann drei Kant Holz auf einmal schleppen. Außerdem bin ich schlau! Ich kann rechnen und lesen! Ich bin mehr als zehn Lidae wert!"
Die drei Männer lachten noch lauter auf. "Ach ja?", rief Ukhluch. "Gut", er hielt seine linke hoch und streckte alle Finger aus. "Wie viele Finger halte ich hoch?"
Salem konnte nicht rechnen - das war eine Lüge gewesen. Aber jeder im Töpferviertel wusste, dass ein reudiger Hund Ukhluch mal einen Finger abgebissen hatte. Salem hoffte, dass es die linke Hand gewesen war. "Vier!", rief er sofort.
Der Krangi schüttelte sich immer noch, doch langsam klang das Gelächter ab. "Stimmt, Knirps. Aber das nächste mal solltest du hinschauen, bevor du antwortest. Das sieht dann so aus, als könntest du wirklich zählen", sagte er mit einem Grinsen.
An den Mann am Boden gewandt sagte er: "Ich mag deinen Knirps, Säufer. Ist noch so klein, dass er zwischen meinen Füßen durchlaufen könnte, hat aber schon mehr Eier, als du." Dann schaute er wieder zu Salem. "Also gut, Knirps. Ich nehme dich - deine Schwester darf bleiben."
Salem nickte. Er merkte plötzlich, dass er nicht mehr zitterte, nicht mehr weinte. Er stand völlig still und äußerlich ruhig dar. Aber ihm war, als würden seine Knie gleich nachgeben und als würde es vor seinen Augen jeden Augenblick schwarz werden. Aber so kam es nicht. Er sagte nur "Gut" und nickte noch einmal.
Später konnte er sich an die nächsten Minuten - die Minuten des Abschieds - nicht mehr erinnern. Alles verschwamm hinter einem grauen Schleier, der in den darauffolgenden Tagen und Monaten immer weiter zu völliger Schwärze gerann. Salem behielt nur ganz wenige Eindrücke zurück. Er wusste nicht mehr, wie das Gesicht seiner Mutter ausgesehen hatte, als er sich von ihr verabschiedete. Er nahm an, dass es genauso ausdrucklos und leer gewesen war, wie zuvor. Er wusste auch nicht, welchen Gesichtsausdruck sein Vater gehabt hatte, als er ging, ohne sich zu verabschieden. Er war sich sicher, dass der Grund dafür darin lag, dass er dem alten Säufer nicht einmal einen Blick zugeworfen hatte, als er an ihm vorbeilief.
Nur einen einzigen Schnappschuss hatte sein Unterbewusstsein in aller Deutlichkeit behalten. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er sich an nichts sonst erinnerte - weil sein Kopf alle Kraft und allen Raum dafür gebraucht hatte, dieses eine Bild so vollkommen zu bewahren? Als sie an der Mündung der Gasse angekommen waren, hatte Salem noch einmal nach hinten geblickt. Er hatte in Ibtissams Gesicht geschaut, in das wunderschöne Gesicht seiner Schwester, das er sogar besser kannte, als sein eigenes Spiegelbild, und das jetzt von Tränen überströmt war. Sie weinte, aber als sie sah, dass er sie anschaute, hielt sie die Tränen zurück und lächelte ihn traurig an. Wann immer Salem in seinem späteren Leben die Augen schloss, konnte er seine Schwester in diesem Augenblick sehen. Nie zuvor und nie danach hatte ein Gesicht zugleich so viel Trauer und so viel Dankbarkeit in sich vereinen können. "Tsalani", murmelte Salem leise, wohlwissend, dass sie ihn nicht mehr hören konnte. Lebwohl. Dann bog er zusammen mit den Männern in die belebte Töpferstraße ein.
Einer der Häscher schlug ihm zur Aufmunterung grob auf die Schulter. "Hast Mut, Junge", sagte der Mann. "Auf den Sklavenmarkt zu gehen, um die eigene Schwester zu retten. Das bringen nicht viele - Kulem!.
Salem schaute den Mann trotzig an. "Ich habe es nicht für meine Schwester getan", sagte er. "Ich habe es für mich getan. Egal, an wen ihr mich verkauft. Jedes Leben ist besser als das bei diesem Arschloch von Vater."