Cyre.
Das größte der fünf Reiche von Galifar, in dessen Handwerkskammern Kunstwerke unvergleichlicher Schönheit entstanden. Cyre, dessen Magieschmieden Wunder hervorbrachten, von denen heute nur noch Legenden zu berichten wissen. Cyre, strahlendes Juwel der Mitte.
Wer hätte das Schicksal erahnen können, das diese friedvolle Nation erwartete?
Als der große Krieg ausbrach, wurde Cyre zum größten Schlachtfeld, das dieser ein Jahrhundert lang währende Konflikt sehen sollte. Durch seine zentrale Lage wurde das Reich an allen Fronten angegriffen, auf dem cyranischen Territorium trafen die Templertruppen Thranes, die untoten Legionen von Karrnath und die Soldaten Brelands aufeinander.
Ach wenn Cyre auf mächtige Magie und loyale Truppen zählen konnte, wurde das Reich langsam zermürbt.
Im Jahr 965 nach Gründung des Königreiches, der Krieg tobte seit bereits siebzig Jahren, perfektionierte Haus Cannith eine Waffe, die das Gesicht des Letzten Krieges verändern sollte: Die Kriegerrasse der Warforged, das Bindeglied zwischen Menschen und Golems – mit der Zähigkeit, der Stärke und den Immunitäten eines Konstruktes und dem kreativen Verstand eines Menschen gesegnet, marschierten innerhalb von Monaten ganze Armeen aus den Schöpferschmieden des Hauses und wurden an die Krieg führenden Reiche verkauft. Für verschiedene Zwecke wurden verschiedene Modelle angeboten – von den Warforged Scouts, die als Plänkler und Kundschafter konzipiert waren, zu den mächtigen Chargern, die ihre gewaltige Masse gegen den Feind schleuderten, Formationen brachen und Stellungen überrannten.
Im Jahr 990 war Cyre nur noch ein Schatten seiner einstigen Größe. Ganze ehemals grüne Landstriche waren verheert, die marmornen Türme seiner Städte geschliffen. Die Regenten des Reiches wussten, um das Überleben Cyres zu sichern, war eine weitaus defensivere Strategie vonnöten als sie die anderen Nationen verfolgen konnten. Man wandte sich an Haus Cannith und gab eine neue Serie Warforged in Auftrag: Zwei verschiedene Gattungen von Soldaten, die in Zusammenarbeit eine beinahe unüberwindliche Verteidigungsstreitmacht darstellen sollten.
Eine Hälfte dieser neuen Kriegsknechte sollte einen undurchdringlichen Schildwall bilden. Adamantiumpanzerung, erhöhte Körpermasse und mächtige stählerne Turmschilde sollten sicherstellen, dass diese Soldaten ihren einzigen Zweck erfüllten: Einen mächtigen, lebenden Schild zu bilden, der auf keinen Fall brechen sollte. Manche dieser Soldaten trugen nicht einmal Waffen, denn für das Bekämpfen des Gegners war die zweite Reihe zuständig.
Diese Reihe wurde von der anderen Hälfte der neuen Serie gestellt: Weitaus agiler als die Schildwallsoldaten wurden diese Kriegsknechte mit Stangenwaffen, vornehmlich Glefen und Langspeeren, ausgestattet, mit denen sie zwischen den Schilden ihrer Kameraden hindurch kämpften. In langen Wehrübungen perfektionierten diese neuen Gattungen einen sich ergänzenden Kampfstil, welcher der Serie schließlich ihren Namen gab:
Bulwark.
Bollwerk.
Im Jahr 992 war ein Kontingent Bulwark-Warforged als Garnison in der Stadt Riverguard stationiert, welche eine der letzten Bastionen Cyres an der nordöstlichen Grenze zu Karrnath darstellte. Die Stadt war heftig umkämpft und von den untoten Truppen des nördlichen Reiches eingekreist worden. In tagelangen Gefechten brandete Welle um Welle gegen die Mauern. Die Verteidiger waren tapfer, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt überrannt werden würde.
Ein einzelner Bulwark-Warforged der Schildwallreihe zeichnete sich während der Gefechte aus: Als eines der magischen Belagerungsgeschütze der Karrnather eine Bresche in die Stadtmauer schlug, sprang er hinein, rammte seinen Turmschild in den Boden und stemmte sich mit all seinem Gewicht dagegen, um die Lücke zu schließen. Er hielt die Position zwei Minuten lang gegen einen ständigen Ansturm der Untoten, bis Verstärkung ankam und Magier die Bresche versiegeln konnten.
Der schwer beschädigte Warforged wurde repariert. Sein Schild, seine Waffe und seine Adamantiumpanzerung wurden auf Befehl des Stadtkommandanten zum Lohn durch Magie verbessert und in einer kurzen, wenngleich feierlichen Zeremonie wurde sein Körper vor seiner versammelten Einheit mit Beschlägen aus Mithralsilber versehen – das Warforged-Äquivalent zu einer Ordensverleihung.
Es war der größte Triumph, den ein Warforged erwarten konnte – hochdekoriert und gefeiert von seinen Kameraden. Das Wissen, seine Aufgabe gut erfüllt zu haben. Die Jubelschreie der Bevölkerung.
An dieser Stelle setzte seine Erinnerung aus.
Achtung! Hier beginnt der Teil, an den Bulwark sich selbst nicht erinnert – und vielleicht ist es für Euch ebenfalls interessanter, die Ereignisse, die auf die Belagerung folgten, selbst im Laufe der Zeit herauszufinden. In diesem Fall lasst den folgenden Spoiler einfach geschlossen.
Ansonsten
Spoiler (Anzeigen)
Nur einen Tag vor Beginn der Belagerung von Riverguard traf eine Expedition in der Stadt ein. Während des Krieges gewirkte, zerstörerische Magie hatte weiter im Osten einen lange vergessenen Schrein freigelegt, aus dem eine Reliquie geborgen werden konnte, von der einige überlieferte Textfragmente als der „Mund Tira Mirons“ sprachen – ein kleines Weihrauchgefäß, in dem fortwährend eine helle silberne Flamme leuchtete und das zu Lebzeiten der Stimme der Silbernen Flamme gehört haben soll. Noch immer sollte man im Wispern des Feuers die Stimme der mächtigen Ritterin hören, wenn die heilige Silberne Flamme selbst durch sie sprach.
Die Reliquie wurde im örtlichen Ordenshaus der Silbernen Flamme aufbewahrt und sollte bereits am nächsten Tag auf den Weg nach Thrane gebracht werden, um sie in die Obhut der Kathedrale zu geben. Dazu kam es nicht mehr.
Als die Stadt von den karrnathischen Truppen eingekreist war, wusste der Bischof, dass er ein Versteck finden musste – diese Reliquie durfte nicht in die unheiligen Hände der Untoten oder ihrer Herren fallen. Doch er wusste ebenfalls, wenn sie erfahren haben sollten, was sich hier befand, würden die feindlichen Truppen an jedem Ort in der Stadt suchen.
Außer an einem…
Als einer der verteidigenden Warforged für seine überragende Zähigkeit und seinen Unwillen zu sterben öffentlich geehrt wurde, wusste der Bischof, dass er das geeignete Versteck gefunden hatte. Er ließ den Warforged und einen Magier des Hauses Cannith rufen, mit dessen Hilfe er den Warforged zunächst in eine Starre legte und seine Erinnerungen ab dem Zeitpunkt seiner Ehrung löschte. Dann entfernte er die Brustplatte des Konstruktes ebenso wie das darunter liegende, halborganische Muskelgewebe um den Adamantiumrahmen freizulegen, der das Skelett des Warforged bildete.
Das Versteck für die sicher in einer magisch versiegelten Schatulle verschlossene Reliquie war der Brustkorb des Kämpferkonstruktes.
Der Warforged wurde sorgfältig wieder zusammengesetzt und in die Katakomben des Ordenshauses verbracht, wo er in Starre liegen bleiben sollte, bis es sicher war, ihn zu wecken.
Auch dazu sollte es nicht kommen.
Der letzte Sturm auf Riverguard hatte begonnen. Von den karrnathischen Triboken geschleuderte Felsen fanden ihren Weg über die Stadtmauern und eines der magisch verstärkten Geschosse traf das Ordenshaus. Der Bischof und der Magier nahmen das Geheimnis um das Versteck der Reliquie mit in ihr Grab unter den Massen des einstürzenden Gebäudes.
Es sollte acht Jahre dauern, bevor im Jahre 1000 einer der verheerenden magischen Stürme, die das nunmehr zum Klagenland gewordene Cyre plagten, den Zugang zu den Katakomben erneut freilegte. Die Reliquie hatte an Macht gewonnen und begonnen, auf den sie schützenden Körper Einfluss zu nehmen – das noch immer in Starre liegende Konstrukt war der erste Warforged, der träumte.
Die unbändige Magie der Klagenlande hatte die magische Starre geschwächt, doch noch war die Reliquie nicht stark genug, die Starre zu brechen. Doch sie konnte etwas anderes tun. Wenige Monate nach dem Sturm erreichte eine Gruppe von Abenteurern die Stadtruine, in der Hoffnung, Relikte und Kunstwerke aus dem ehemaligen Cyre zu finden. Als die Reliquie die Abenteurer nahen spürte, sandte sie ihnen schwache Emotionen und Träume, als sie in der Nacht rasteten. Es war nicht viel, doch es reichte um die Abenteurer auf den Warforged aufmerksam zu machen.
Die Expedition barg den in Starre liegenden Adamantiumkörper, doch obwohl sie einen Artefaktmagier dabei hatten, konnte dieser den Warforged nicht wecken. Noch war die magische Starre zu stark.
Sie nahmen den bewusstlosen Kriegsknecht mit und über Umwege gelangte er schließlich in einen unscheinbaren Weiler namens „An der Brück“, wo der örtliche Schmied ihn kaufte – in der Hoffnung, ihn aufwecken zu können und sich einen unermüdlichen Gehilfen für sein hartes Handwerk sichern zu können.
Seine Hoffnung wurde enttäuscht. Die Starre war noch immer zu stark.
Die Macht der Reliquie reichte zwar schon beinahe aus, die magische Starre zu überwinden, doch es fehlte noch der letzte Ruck.
Ein Ruck, der das magische Gefüge des Starrezaubers stören könnte.
Ein Ruck, der der Reliquie den Kraftschub gab, den Zauber zu überwinden.
Ein Ruck, wie ihn teleportierende Magier, abstürzende Luftschiffe und die Präsenz uralter magischer Masken zu erzeugen pflegen…