Spoiler (Anzeigen)1. Rentrer en Soi - Vision of You
2. Rentrer en Soi - Taiyou no Todokanai Bashou (http://youtube.com/watch?v=W3irFTmb9Ac)
...kalt...hart...harter Steinboden? Mühsam quält sich ein in sich verirrtes Bewußtsein an die ferne Oberfläche, die Licht verspricht, es stolpert an dumpfen Schmerzen und stürzt immer wieder; Minuten, Stunden, Jahrhunderte vielleicht dauert es, bis es Fleisch hinter der Pein erfassen kann. Steifes, schwaches Fleisch, nicht imstande sich zu regen bis auf jämmerliches hin und her Wälzen. Gefesselt? Warum? Das Gedächtnis versagt allen Zutritt zu jeglichem Wissen, und die Augenlider bergen die Tonnenschwere eines Bergmassivs.
"Wer bin ich?" Langsam, unerträglich langsam hallen Silben aus dem farblosen, schwindelerregenden Nichts. Ho...Hotaru. Einfach nur Hotaru? Nein, ein funkelnder Gedanke verrät sich, denn er funkelt wie ein geschliffener Edelstein. Nagoya no Hotaru, Tochter eines edlen Clans. Tochter von... wieder tut es sich der Geist schwer, Namen preiszugeben. Nagoya no Tachibana? Ja, das muss Vater sein, ein mächtiger, unbeugsamer Großfürst... Und Nagoya no Midori, Mutter... Streng, doch weise, schweigsam doch liebend - wie die nährende Erde zu ihren Füßen... Das Wort "Erde", "地", fällt in dem wankenden Bewußtsein im selben Augenblick, als der Körper den kühlen, festen Grund unter sich in all seiner ungemütlichen Deutlichkeit zu spüren beginnt. So grausam, unwirtlich geschliffen und flach...kein Fels der Wildnis kann es sein, nur das Werk unermüdlicher Hände. Das weiß sie, Hotaru, das spürt sie, die Gelehrte der Elemente und der Kami, die waltend über jenen stehen. Der Tatsugami, der göttlichen Drachen.
"Um Seryuus Willen!," möchte sie schreien, der pochende Ausruf wirbelt den Nebel des Vergessens hinauf, durchfährt die leibliche Kehle - und prallt von etwas ab, was sich wie zäh gespanntes Leinen anfühlt. Geknebelt? Auch das noch! Der Schreck bröckelt das Gewicht der trägen Lider auf, wie Vorhänge bei einem sonderbaren Schauspiel fahren sie empor - und dahinter ist nichts als Schwärze. Geblendet? Nein. Aus einer fenen Ecke glitzert ein winziges Fetzen Licht. Es ist also wahr. Sie, Nagoya no Hotaru, liegt in Fesseln geschlagen in einem finsteren Gewölbe.
Wer hat mir das angetan?!Dumpfe, höhnende Stille.
"Liebe? 愛?" Unerwartet, ungerufen, noch ehe eine schwarzgraue Woge der Verzweiflung Hotaru übermannen kann, wächst dieses Wort wie eine anmutige Blume im Geist, der sich verloren wähnt. Doch weshalb? Aber ja, sie hat geliebt. Innig, wie das bebende Herz ihr versichtert. Sakurazukamori no Yorihisa. Liebster Yorihisa. Edel, geduldsam und bewandert in den Künsten. Ihr Verlobter, seit sie noch nicht ein Dutzend Sommer hinter sich hatte. Dennoch, wie sehr hat sie für ihn geschwärmt, vom ersten o-Miai an, erinnert sich die Gelehrte immer intensiver. Wochen, Wochen bloß hätte es noch dauern sollen, bis die beiden durch den Lebensbund ihre Familien miteinander vereinen würden. Ist dies nun das Ende? Wird sie nie mehr den stattlichen Sprößling der Sakurazukamori zu Gesicht bekommen?
"Geliebter, ich habe Euch Unrecht getan!" Schneidend wie ein wilder Kristall bohrt sich die unglückliche Abschiedsszene in Hotarus stets klarer werdenden Geist. Sie hat Yorihisa nicht empfangen wollen, als er eines Abends zu ihr geritten kam, um Vergebung zu bitten für harsche Worte, die er im Herzen bereut hat. Ja, sicherlich hat er sie bereut, gesteht sie sich, was ist sie für eine schändliche Närrin gewesen, ihm die Pforte verschlossen gelassen zu haben! Wütend in die Wildnis hinaus geflüchtet zu sein, um seine sanfte, ruhige Stimme nicht mehr zu hören! Hier ist nun ihre Strafe! Wird sie jemalds wieder diese Stimme vernehmen?
"Liebster, bitte vergebt mir." Eine warme Träne rinnt die Wange der erwachten Adeptin hinab, als Yorihisas bittende Augen in ihrem Bewußtsein sich weigern, den Erinnerungen an das, was daraufhin geschehen ist, Raum zu lassen. Die Eindrücke sind auch sehr vage, kaum greifbar. Lächerliches Stolperseil auf einer Waldlichtung. Geschuppte Kreaturen, zehn an der Zahl vielleicht, oder auch noch mehr. Alles so schnell. Dumpfer Schlag auf den Hinterkopf. Nebliger, mit Holz verkleideter, ständig wankender Raum, voller gefesselter und angeketteter Menschen. Unheimliche Schwere im Kopf, keine Kraft sich zu bewegen, gar zu denken. Leere.
Jetzt, da ihr Geist wieder ertüchtigt ist, fällt es Hotaru nicht schwer, sich einen Zusammenhang zu denken. Irgendwelche echsenartigen Sklavenjäger haben sie als leichtes Opfer in die Fänge bekommen. Nur wo ist sie nun? Und hat sie eine Chance, davonzukommen?
"Um Seryuus Willen." Die Gelehrte sammelt ihren ganzen Mut, die ganze Geisteskraft und Konzentration. Die Priesterin der Kami wird sich nicht in Ketten legen lassen. Sich nicht in die Knie zwingen lassen. Sich nicht von ihrer Liebe trennen lassen.
Goldig glühen ihre Pupillen auf. Sie braucht kein Licht der Sonne, der Monde oder der Sterne, um die Elemente zu sehen, die sie umgeben. Die Wände aus grob gehauenem Stein, die Ketten und Fackelhalter aus Metall daran. Zwei schwere Eisentüren, und die vielen Bündel aus allen viel Elementen, die überall auf dem ebenen Boden liegen. Andere Gefangene! Keiner von ihnen regt sich, bemerkt Hotaru bald. Vielleicht sind die tot, vielleicht ist sie auch bloß die erste, die zu sich gekommen ist. Ihre Besitztümer sind, wie zu erwarten, nicht hier, und sie trägt auch grobe Leinengewänder anstatt prächtiger Roben. Die Fesseln scheinen straff, doch Hotaru ist schlank und behende. Es hilft nichts, ihr die Hände hinter dem Rücken zuzubinden - sie zieht die zusammengeknickten Beine so weit ans Kinn heran, dass sie die Arme wieder vor sich bringen kann. Mit den halb eingeschlafenen, wunden Händen nimmt sie den Knebel aus dem Mund und macht sich an die mühselige Arbeit, die Fußfesseln zu lösen. Es dauert lange, sehr lange, mehrmals gibt die Adeptin beinahe auf. Allmählich erreichen gedämptes Aufstöhnen und Schaben ihre Ohren - ihre Mitgefangenen beginnen sich also zu regen. Angespornt zu neuer Hoffnung, macht sie sich mit blutenden Fingern erneut ans Werk - bis es ihr gelingt, das Seil zu entknoten.
Leise jammernd unter Schmerzen, die ihren ganzen hungrigen und durstigen Leib durchfahren, beginnt Hotaru, sich an der Wand abstützend aufzurichten. "Schscht, keine Sorge. Ich weiß nicht wo wir sind, aber zusammen schaffen wir es, uns zu befreien," flüstert sie beschwichtigend auf die noch liegenden Wesen ein, langsam auf den nächsten Fackelhalter zu stolpernd. Diesen verwendet sie, um die Handfesseln zu zermürben, bis sie die Hände befreien kann. Wieder dauert es ungeheuer lange, die Arme der Gelehrten schmerzen bis in die kleinste Faser, und gequältes Stöhnen umgibt sie von allen Seiten. Erschöpft sinkt sie zusammen, sobald das Werk vollbracht ist, und nutzt die Gelegenheit, um sich abermals mit dem mystischen Blick umzuschauen. In ihrer Nähe liegt ein zierlich gebauter Mensch - ein Mensch mit langen, spitzen Ohren? Das muss ein Elf sein, wie diese Wesen in der Gemeinsprache heißen, fällt ihr ein. Einen Finger an die Lippen gedrückt - wider besseres Wissen, dass sie in der vollkommenen Dunkelheit ohnehin niemand sehen kann - wispert sie dem Elfen zu: "Ganz ruhig. Ich tue Euch nichts Böses. Ich helfe Euch hier raus, und Ihr helft mir und den anderen." Vorsichtig löst sie die Seile von der eleganten Gestalt, die verwirrt Dankesworte murmelt. Glücklicherweise stellt sich der Elf als geistesgegenwärtig genug heraus, um zu verstehen, was zu tun ist.
Eine Stunde später - so schätzt Hotaru - sind alle Gefangenen von ihren Fesseln frei. Es sind Männer, Frauen und sogar Kinder aller möglichen Völker, selbst solcher, die die Gelehrte noch nie erblickt hat, wie die sonderbaren, winzigen doch erwachsenen 'kleinen Leute'. Eine von diesen hat eine Überraschung für ihre Leidensgenossen - in ihrem langen geflochtenen Haar trägt sie verborgen einen Dietrich. "Schlaues Mädchen," lobt die Adeptin beeindruckt die Halblingsfrau, die sich an einer der beiden Eisentüren zu schaffen macht. Kurz darauf verspricht ein klickendes Geräusch die Freiheit. Nichtsdestotrotz verharren die Gefangenen in der Finsternis, während Madlene die Halblingsdame leise die Pforte öffnet und dahinter späht - und zu aller Erleichterung ein Handzeichen der Entwarnung im schwachen Lichtschein im Türspalt gibt.
Die Kammer dahinter, von einer einsamen, rauchlosen Fackel mühsam erleuchtet, birgt viele Kisten, Säcke und Beutel - und eine weitere Tür. Mit alarmiertem Zischen versucht die scharfohrige Madlene die Gefangenen noch zu warnen, dass dahinter irgendwer ist, doch schon ist es zu spät - die Meute beginnt lautstark, ihre Habseligkeiten wieder an sich zu nehmen. Die zwei braungeschuppten Echsenmenschenwachen staunen nicht schlecht, als sie hinter der hastig aufgerissenen Tür die prächtig goldbraun gewandete Hotaru erschauen, mit blitzender gekrümmter Klinge in der Rechten, einem Papierfetzen zwischen Zeige- und Mittelfinger in der Linken und einer Horde grimmig dreinschauender ehemaliger Sklavenanwärter hinter ihr. "Hora! - Siehe an!" Noch ehe die zweibeinigen Echsen ihre Waffen erheben oder nach Verstärkung rufen können, sackt der erste von hinten erdolcht zusammen, mit Madlenes schadenfrohem Kichern als letztes Geräusch in seinem Leben, und der zweite bekommt Hotarus Papierstück mit unerwarteter Wucht vor die Brust geschmettert - mit einer Wucht, die ihn zu jeglicher Bewegung unfähig macht.
Von Hoffnung beflügelt, und mithilfe des überirdischen Gespürs der Elementaradeptin gelingt es den Gefangenen, dem Kerker zu entfliehen - nicht ohne Tote auf beiden Seiten allerdings. Die Meute findet sich am Rand einer belebten Stadt wieder - die sie eilig betritt, um vor den Peinigern sicher zu sein. Hotaru, die ihre Pflicht den Leidensgenossen gegenüber als erfüllt ansieht, begibt sich auf die Erforschung des fremden Ortes.
"Vater. Mutter. Geliebter. Ich werde zu Euch zurückfinden. Seid Euch dessen gewiss."