Spoiler (Anzeigen)Hinter einem uralten massiven Schreibtisch, der unter einem Haufen Pergamenten zu ersticken scheint, sitzt ein ergrauter Mensch in der breländischen Offiziersuniform der Stadtwachen. Seine Augen sind stark gerötet und die grauen Haare müssen erst seit kurzem sein sonst schwarzes Haupthaar dominieren, denn sein Gesicht macht ein recht jugendlichen Eindruck.
Mit müder Geste drückt er seine Handballen in die geröteten Augenhöhlen und versucht die Müdigkeit aus ihnen heraus zu reiben. Dabei rutscht einer der Papierstapel vom Schreibtisch und verschwindet im wildem Chaos flatternd unter dem Schreibtisch.
Der Mann will sich gerade fluchend hinab beugen, um das Chaos wenigstens wieder vom Boden fernzuhalten, als hastig jemand gegen die Tür klopft.
„Ja?“
Die Tür wird aufgestoßen und ein junger Soldat tritt herein, dessen Gesicht einen gehetzten Gesichtsausdruck angenommen hat.
„Entschuldigen Sie bitte, Herr Hauptmann. Aber draußen stehen bereits einige aufgebrachte Bürger. Sie fordern, dass endlich etwas geschieht. Vor wenigen Minuten wurde der nächste Tote gefunden, ein Geschäftsmann namens Likberg.“
Erneut scheinen plötzlich einige Haare des Hauptmannes zu ergrauen.
„Herr?“ Der junge Soldat macht einen äußerst nervösen Eindruck. „Wollen wir nicht endlich etwas tun? Die Bürger…“
Der Hauptmann, Illias Nolte, ebenfalls verdienter Veteran des letzten Krieges, nur dass er sich eines Tages dem Abenteurerleben abgewandt hatte, schneidet überanstrengt und dem ganzen überdrüssig seinem Untergebenen das Wort ab. Nicht, dass er Blut und Mord nicht gewöhnt wäre, allerdings nicht in einer solch… hässlichen Form. Und schon gar nicht an solch guten Freunden und Kameraden wie dem alten Barcass. Warum bloß auch er?
„Ich weiß, dass wir Probleme haben. Aber was wollen wir denn machen? Jetzt wo Barcass auch tot ist müssen wir darauf vertrauen, dass die Krone uns endlich Hilfe schickt. Allein können wir damit nicht so schnell fertig werden. Dafür fehlen uns einfach die Mittel. Und Hinweise. Und Ideen...“
„Aber Herr… Wenn Ihr erlaubt: Bis die Soldaten der Krone hier sind, werden sicherlich noch Tage vergehen. Das herbstliche Wetter im Westen ist schlecht und die Einheiten momentan verstreut. Argonth befindet sich gerade zig Meilen im Norden. Ich möchte nicht wissen, was die Menschen dort draußen tun, wenn die nächste zerstückelte Leiche aufgefunden wird… Und die anderen verlassen bereits mit ihrer Habe die Stadt. Können wir nicht etwas tun, damit die Bürger dort draußen wenigstens das Gefühl haben, dass wir etwas dagegen machen?“
Der Hauptmann versenkt sein Gesicht wieder in seinen Händen, nachdem er die Arme auf den Tisch gestützt hat. Sein junger Untergebener, der ihn seit einigen Monaten begleitet, tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und wartet auf eine Reaktion. Da blickt sein Hauptmann plötzlich nach einigen schweigsamen Herzschlägen auf, als sei ihm mit etwas Nachdenken ein Gedanke bei den Worten seines Adjudanten gekommen, nachdem sie mehrmals seinen Schädel durchwandert hatten.
„Ihnen also so etwas ähnliches wie Hoffnung geben, damit sie solange still halten, bis die Königsschwerter hier sind? Es wird zwar sicherlich nicht jeden besänftigen, aber…“ Er denkt offenbar einen Moment nach. Dann wühlt er in einem der Papierhaufen auf seinem Schreibtisch, sodass er nach einigen Sekunden ein Blatt Pergament in den Händen hält, dass er kurz überfliegt. Dann reicht er es seinem Untergebenen.
„Gib deinen Leuten den Auftrag, einige dieser Leute hierher zu bringen. Ein paar sind zwar mittlerweile schon tot, aber hoffentlich noch nicht jeder. Mal sehen, ob mit denen noch etwas anzufangen ist.“
Der Jüngling, der eine rasche Karriere im breländischen Militär hinter sich gebracht hat und dessen geheimster Wunsch ist, in Wroat unter der Krone dienen zu dürfen, wirft einen Blick auf das Blatt und seine Augen weiten sich bei dem schrecklichen Gedanken, auf welche Idee er seinen Hauptmann da wohl gebracht hat.
„Bei Dol Arrahs heiligen Wort, das sind ja…“
„… Abschaum, Kriminelle, Säufer. Aber alle haben eine brauchbare Vergangenheit, die wir nutzen können. Wir baden sie, geben ihnen was ordentliches zum Anziehen und haben jemanden, dem wir dem Volk präsentieren können. Wenn dann neue Leichen auftauchen, können wir es denen in die Stiefel stecken. Hauptsache, der Schein wird gewahrt, bis die Hilfe der Krone hier ist. Ob dann unsere neuen ‚Helden‘ von der Finsternis verschluckt oder vom Mob gelyncht werden, kann uns dann wenigstens egal sein.“ Etwas um seine Last erleichtert, lehnt sich Hauptmann Nolte in seinem Lehnstuhl wieder zurück, auch wenn er sich unsicher ist, ob das so das richtige ist. Und ob es überhaupt so funktioniert.
„Zur Not hängen wir den Abschaum selber einfach auf. Dafür wird uns schon niemand verdammen… und jetzt mach schon, bevor mir der Mob die Türen einrennt!“
Hastig verstaut der junge Soldat das Blatt Pergament unter seine Jacke, salutiert und verschwindet aus der kleinen muffigen Kammer, um den Befehl seines Herren ausführen zu lassen…