Murins Buch (Anzeigen)Was habe ich mir nur dabei gedacht ihr diesen Edelstein zu schenken? Ich hätte mich auch gleich in die große Halle stellen können mit einem Schild auf dem „Verspottet mich“ geschrieben steht. Tori war natürlich wie immer der erste, der sich über mich lustig gemacht hat. „Oh seht, da kommt unser Dichterfreund. Macht Platz für den großen Künstler.“ Dieser Kerl ist einfach unerträglich. Ich kann nicht verstehen, wieso Annora irgendetwas für ihn übrig hat. Dieser aufgeblasene Wicht. Sehrt her, ich bin Priester des Moradin, ich habe alle Prüfungen mit Auszeichnung absolviert. Meine Hände schaffen größere Werke als ihr es euch auch nur erträumen könnt. Pah. Wenn ich mich so sehr aufplustern würde wie er, könnte ich nicht einmal mehr durch die Eingangspforte gehen ohne mich zu stoßen. Aber warum sieht keine außer mir, dass er ein schrecklich hohler Angeber ist? Sie alle hängen an seinen Lippen, egal ob er auf dem Platz spricht oder abends mit schäumendem Bier in der Hand. Immer hören sie nur ihm zu, schauen nur auf ihn und um mich kümmert sich keiner.
Dämlich, dämlich, dämlich. Jetzt achten sie auf mich. Vorher hatte ich meine Ruhe und jetzt, jetzt redet Tori auch noch über mich. Und sie hören ihm zu, sie hören ihm alle zu. Sogar die Mitglieder der alten Clans lauschen seinen Worten. Und sie lachen über mich. Vielleicht nicht, wenn ich gerade da bin. Aber ich weiß genau, dass sie über mich lachen. Und ich Idiot nehme auch noch den Rubin und lege ihn vor ihre Tür. Vor ihre Tür. Wenn ich ihn ihr selbst gegeben hätte, wenn ich den Mut gehabt hätte das nicht einfach dort vor ihrer Tür liegen zu lassen. Wenn ich doch einfach mit ihr sprechen könnte. Aber ich bekomme kein Wort heraus, wenn sie vor mir steht. Wie soll ich ihr da sagen, was ich fühle. Und selbst wenn würde ihr Vater meinen Clan niemals für ihrer würdig erachten. Er würde genauso lachen wie Tori und die anderen jetzt lachen. Ich habe meinen Entschluss gefasst. Noch heute verlasse ich Donnerholm und komme niemals wieder zurück.
Ich bin ein Idiot und ein Feigling noch dazu. Ich habe es nicht einmal aus dem äußeren Tor hinaus geschafft, weil ich zu viel Angst hatte. Gut, dass Tori und seine Kumpanen das nicht zu sehen bekommen haben. Mit jedem Schritt durch die äußeren Tunnel hatte ich mehr Angst und irgendwann konnte ich allein, keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Und dann war er da. Ich weiß nicht, was er dort draußen gemacht hat, aber er war nett und freundlich. „Was führt dich her, Bruder?“ Hat er gefragt. Als ob ich es wert wäre mit ihm zu sprechen, obwohl ich nicht einmal würdig bin der Staub unter seinen Füßen zu sein. Ich war so überrascht dass ich es nicht einmal geschafft habe eine Antwort zu stammeln. Ich stand einfach da, mit offenem Mund, überrascht, dass Prinz Emerlin mit mir spricht. Er muss mich für einen Idioten halten. Kauere in den Gängen und mache mir vor Angst fast in die Hosen und dann treffe ich meinen Prinzen und sage kein Wort. Aber er hat nicht gelacht und war auch nicht ungeduldig. Er hat einfach gesagt „Komm, gehen wir ein Stück.“ Und dann hat er mich mitgenommen zum äußeren Tor. Er muss gewusst haben, dass ich dort hin wollte, aber als wir dann da waren, hat er mich nicht danach gefragt. Er hat nur gesagt „Ich wollte immer wissen, was dort draußen ist, noch nie habe ich unser Heim hier wirklich verlassen. Aber vielleicht eines Tages.“ Dann sind wir zurückgegangen und ich habe immer noch kein Wort gesagt. Wenn ich mich noch mehr zum Gespött machen wollte, jetzt habe ich es geschafft.
Er hat mich heute besucht, mich! Prinz Emerlin kam einfach vorbei geschlendert an meiner Tür, um zu sehen wie es mir geht. Er ist ein guter Prinz und er wird einst ein guter König sein. Er war wieder sehr nett. Hat sich nach meinem Befinden erkundigt. Ich war fast so überrascht wie in den Tunneln am äußeren Tor, aber dieses Mal habe ich ihm immerhin antworten können. „Mir geht’s gut“ hab ich gesagt. Und dann hat er „Das freut mich geantwortet.“ Ich bin gewiss der glücklichste Zwerg in ganz Donnerholm, dass der Prinz mich besuchen kommt. Und keiner hat gelacht, als sie das gesehen haben. Alle haben sie sich freundlich verbeugt und haben sich nicht mal getraut zu tuscheln. Tori ist alles aus dem Gesicht gefallen, als er das gehört hat.
Heute war Emerlin schon wieder da und hat mich in den Palast eingeladen. „Ich hörte ihr seid ein Dichter. Ihr solltet mich einmal besuchen kommen und etwas von eurem Werk vortragen.“ Wie kommt er nur auf die Idee, dass meine Worte irgendetwas wert sein könnten? Ich bin kein Dichter, ich bin ein Stümper, der kaum mehr als ungelenk Wörter reimen kann. Aber wie könnte ich ihm einen Wunsch abschlagen? Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht gut genug bin. Und er hat geantwortet, das sollte ich ihn entscheiden lassen. Also werde ich in drei Tagen in den Palast gehen. Aber jetzt muss ich weiter dichten, mein Prinz verlangt nach meinen Gedichten und er soll das Beste erhalten, was vorstellbar ist.
Es hat ihm tatsächlich gefallen. Ich hätte nicht damit gerechnet, aber sie alle haben es gelobt. Denn nicht nur Emerlin war da. Auch Dorag Steinaxt, sein Schwurwächter. Und Gilrod Hartbart, Rigon Schimmerfels, sogar Dagan Jangarak – wenn auch nur für einen Augenblick. Aber keiner von ihnen hat gelacht. Im Gegenteil, sie haben applaudiert und mich dann an ihrem Tisch sitzen und ihr Bier trinken lassen. Eine größere Ehre ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht zu teil geworden. Die ganze Nacht haben wir dort gesessen. Sie haben Geschichten von den Kriegszügen der Urzeit erzählt und von der Oberwelt, die sie immer wieder bereisen. Und keiner hat über mich gelacht oder sich darüber lustig gemacht. Sie haben mich für ihr nächstes Treffen wieder eingeladen und zum Abschied hat Emerlin mir ein Trinkhorn geschenkt – es ist mit Edelsteinen besetzt, mit so vielen Edelsteinen, dass ich das Silber, aus dem es gefertigt ist, kaum zu sehen vermag. Es ist mehr wert als all meine anderen Besitztümer. Doch wenn ich beim nächsten Mal wieder dort sein soll, dann muss ich mich mehr meiner Kunst widmen und meine Zeit nicht damit vergeuden, in dieses Buch zu schreiben.
Ich habe dieses Buch eben ganz unten in meiner Truhe gefunden. Bei Dumathoin, welch ein Geschenk! Es ist schon so lange her, dass ich das letzte Mal Zeilen auf diesen Seiten niedergeschrieben habe. Wie jung und unsicher ich damals doch noch war. Alles ist heute anders. All diese Zweifel sind fort und der Wunsch, der mich damals schon bewegte wird endlich erfüllt werden. Ich werde endlich die Tunnel der Heimat verlassen und die Oberfläche sehen. Emerlin wird mit elf Gefährten nach Sembia aufbrechen, um mit den Menschenfürsten neue Handelsverträge zu schließen und ich, Murin, werde einer von ihnen sein. Welch eine Gelegenheit! Meine Lieder werden zu ganz neuen Höhen gelangen, wenn ich all die Eindrücke, die ich dort oben erleben werde, in meiner Kunst verarbeite. Gesegnet sei Tori, dass er mich damals dazu getrieben hat, wegzulaufen und auf diesem Pfad Emerlin zu treffen. Wer weiß schon, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht den Prinzen und seine Gefährten kennen gelernt hätte. Vielleicht wären meine Lieder vergessen worden oder ich wär gar in der Dunkelheit der Höhlen zu Tode gekommen. Aber das war nicht der Weg, den Sharindlar für mich bestimmt hatte.
Die Oberfläche ist unglaublich. Ich habe schon unzählige Geschichten gehört, schließlich haben die Bewohner der äußeren Stützpunkte seit jeder die Ländereien über der Erde besucht, aber für jemanden von uns Zwergen, die wir nur die Welt unter den Felsen kennen, ist es etwas völlig anderes. Anfangs war es sehr ungewohnt gar keine Höhlendecke mehr über sich zu sehen. Auch wenn er in manch einer Nacht genauso dunkel sein kann wie die Höhlen des Unterreichs, so ist der Himmel doch anders. Alles hier oben hat eine unheimlich Weite. Keine engen Gänge, keine Wände, die den Blick versperren, nur grenzenloses Land. Und die Geräusche sind auch völlig anders. Die Leuchtende Tänzerin sei gesegnet, schon jetzt haben mir all diese Geräusche so viele Klänge vermittelt, die ich niederschreiben muss. Ich werde allein mit den Eindrücken dieser wenigen Tage hunderte von Liedern füllen können. Die Farben hier oben sind auch ganz anders als bei uns in Donnerholm. Das Licht der Sonne und das Licht des Mondes taucht die ganze Welt in einem merkwürdigen Schein. Ein wenig als würde man eine Fackel entzünden aber doch anders. Unsere Reise geht auch gut vorwärts. Die Zwerge im Außenposten haben uns drei Wagen und Zugtiere zur Verfügung gestellt, sodass wir nicht zu laufen müssen. Einer der Fahrer namens Zilum hat mir erzählt, dass die Städte Sembias mich überraschen und verstören würden. Verglichen mit allem, was ich von unter den Gipfeln kenne, sollen sie unheimlich chaotisch, ja geradezu wahnsinnig sein.
Emerlin ist wie gewohnt zuversichtlich. Er setzt große Hoffnungen in diese Reise, dass er ein Abkommen mit den Menschen wird schließen können, das beiden Seiten dauerhaften Wohlstand sichern würde. Einer der Wagen ist gefüllt mit unseren besten Arbeiten, Geschirr aus Silber und Edelsteinbesetze Spangen, goldene Schatullen und Halsketten mit Rubinen. All das wird den Menschen sicherlich gefallen und im Gegenzug können sie uns sicherlich vieles geben, was wir unter den Gipfeln nicht erlangen können. Lebensmittel der Menschen, seltene Hölzer und nicht zuletzt die Kultur derer von über der Erde.
Wir haben Selgaunt erreicht und uns mit einigen Menschen getroffen. Zilum hatte recht. Diese Stadt ist verstörend, die Straßen sind enger als die Tunnel in unserer Heimat und sie sind immer gefüllt mit Menschen. Die eine Hälfte ist immer in Eile, bemüht irgendein Ziel zu erreichen und die andere Hälfte hält einem ohne Unterlass ihre Erzeugnisse unter die Nase, seien es Speisen, Gewürze, Schmuck oder auch irgendwelche Werkzeuge. Man sagt unserem Volk manchmal nach nach den edlen Metallen zu gieren, aber diese Menschen würden für eine Goldmünze so gut wie alles tun. Die Verhandlungen gestalten sich deshalb einerseits sehr einfach, denn es ist offensichtlich, dass diese Männer und Frauen unsere Erzeugnisse und unser Gold wollen. Aber sie sind zugleich auch schwierig, denn sie streiten um jedes Gramm Kupfer, das sie sparen können. Emerlin ist noch immer zuversichtlich, aber ich bin mir da nicht so sicher. Die Blicke dieser Menschen sind bösartig. Sie werden vor nichts zurückschrecken, um zu bekommen, was sie wollen und sie mögen zu kurzsichtig sein, zu erkennen, dass es sehr viel klüger ist, sich gut mit uns zu stellen, um eine Partnerschaft auf Dauer zu schaffen. Wir werden es sehen.
Schlimmer hätte es nicht kommen können. Ich kann es nicht in Worte fassen und werde es wohl niemals können. Mein Prinz ist gefallen durch Verrat und Gier. Niemals wird er in die Hallen seiner Heimat zurückkehren, das war sein Wille und sein Wunsch. Er wird hier verbleiben und die, die von der Gesandtschaft übrig sind, werden nach Donnerholm zurückkehren. Nur Dorag und ich nicht. Ich habe meinem Prinzen geschworen, dass entweder wir beide und keiner von uns das Heim wiedersehen wird. Also werde ich nicht gehen. Emerlin möge seinen Frieden an diesem Ort finden, verborgen vor allen Augen und doch für jeden zu sehen. Und er wird ewige Wacht über das halten, wonach es die Finsteren verlangte. Niemals werden sie ihre Hand darauf legen und Donnerholm wird kein Schaden daraus entstehen. Und ich werde den Wächter bewachen, gemeinsam mit Dorag. Und der von uns der als erster geht wird ebenso ewig Wacht halten. Nie wieder werde ich singen. All meine Gedanken sind für immer bei meinem Prinzen und kein Lied wird mehr über meine Lippen kommen. Der letzte Gesang ist gesungen und Emerlin wird ihn auf seiner Wacht hören.
Meine Zeit ist gekommen. Ich spüre es in meinen Knochen. Die Tage des Reisens sind schließlich vorüber. Dorag geht es ganz ähnlich. Wir haben hier eine lange Zeit verbracht und uns niemals zurück in unser Heim gewagt. Wie könnten wir auch, nach dem, was wir verloren haben. Immer wieder haben wir Geschichten gehört. Es scheint schlecht zu stehen um Donnerholm. Unser König ist nach Zwergenheim gegangen. Aber wenigstens Dagan scheint noch immer im Namen Dumathoins die Geschicke unseres Volkes zu lenken. Unser Ende naht und ich will ein letztes Mal die Hallen meiner Geburt sehen. Den Ort, der mich so lange gefesselt hat. Und wäre es zu viel verlangt noch einmal meine Augen auf ihr Antlitz zu richten? Gewiss nicht, auch wenn meine Augen es kaum noch werden sehen können, so finster ist meine Welt geworden. Wir werden uns als erstes zu dem Außenposten aufmachen, den wir vor so langer Zeit passiert haben um in diese Lande des verräterischen Lichts zu gelangen und von dort wird unsere Reise in die Tiefen der Erde weitergehen. Von Tag zu Tag werden mir die Schritte schwerer und mein Herz wird enger, wenn ich an die Heimat denke. Wie kann ich unter ihre Augen treten nach dem, was geschehen ist? Aber wie kann ich es nicht tun angesichts dessen, was mir bevorsteht? Mir bleibt letztlich wohl kaum eine Wahl. Die alte Wunde brennt noch immer als sei es gestern gewesen und ist nicht willens zu verheilen. Geschlagen wanderte ich umher – immer auf der Suche nach Vergessen. Aber keines der Wunder lässt sich vergessen und ich werde die Wunde mit bis nach Zwergenheim nehmen und vielleicht, wenn Dumathoin gnädig ist, wird sie dort langsam zur Narbe werden. Wäre es eine Narbe des Kampfes würde ich sie mit Stolz tragen, aber so ist sie ein ewiges Mahnmal für das, was ich gewonnen habe und was ich dann durch meine Finger habe hindurchgleiten lassen.