Story (Anzeigen)Seine Hände krümmten sich. Dreck und loses Gestein rieb an der rauen Haut und blieb unter den gebrochenen Fingernägeln hängen. Dicke Blutstropfen vermischten sich mit grauem Staub und geronnen am Boden der morbid wirkenden dunklen Halle zu hässlichen schwarzen Krusten. Die Arme des Mannes zitterten, als er seinen geschundenen Körper aufrichtete. Unerträgliche Schmerzen vertrieben jeden klaren Gedanken. Ein violett glühendes Flackern erhellte den Raum nur spärlich und warf lange Schatten an die Wände. Er vernahm ein dumpfes Klopfen irgendwo in seiner Nähe. Verschwommen erkannte er vor sich seine Hände auf dem kalten Steinboden. Rote Striemen und klaffende Schnitte teilten seine Haut in ein grausiges Muster. Er spukte Blut. Wieder vernahm er diese dumpfen Geräusche. Der anhaltende Schmerz wurde je her zu einem pulsierenden Stechen. Er wusste er war zu schwach um aufzustehen, zu schwach um…
Ein dunkler Absatz eines schwarzen Stiefels tauchte am Rand seines Sichtbereichs auf und störte ihn in seinen Gedanken. Zu erschöpft um auch nur den Kopf zu heben, spürte er, wie sein Herz zu rasen begann. Plötzlich wurden seine Glieder taub. Den Aufprall spürte er kaum. Jemand schrie. Nein, nicht jemand. Er war es, er schrie, als ob man ihm bei lebendigem Leibe häuten würde. Blut lief aus den Rändern seines Mundes und tropfte auf den Stiefel seines Peinigers. Er spürte, wie die Gestalt ihren Fuß angewidert wegzog und ihm spürbar einen Tritt gegen den Kopf versetzte. Ein Weiterer folgte sogleich, diesmal direkt ins Gesicht. Er spürte, dass seine Nase gebrochen war. Sein Gesicht brannte und er spürte die Wärme seines Blutes. Schwärze umfing ihn.
…
Orel stand auf der Schwelle der Eingangstür des Gehöfts der Bauernfamilie Mristar, etwa einen halben Tagesritt von Langsattel entfernt am Rande des Niewinterwaldes. Als sie eintrafen dämmerte es bereits. Nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass er und sechs weitere Mitglieder der örtlichen Miliz erst vor wenigen Stunden ihre Pferde sattelten.
Alethra, die älteste Tochter des Viehzüchters der Familie Mristar war am späten Nachmittag zum Schrecken einiger patrouillierender Wachmänner vor den südlichen Toren zusammen gebrochen. Orel traf in den Barracken des Hauptmanns auf das zitternde Mädchen. Verstört berichtete sie von einem Angriff auf ihr Elternhaus. Verhüllte Gestalten töteten ihre Eltern und jagten ihre Geschwister über das Gehöft - es passierte alles sehr schnell. Und einen Oger soll sie auch gesehen haben. Alethra weinte ununterbrochen, als sie ihre Erlebnisse schilderte. Es war nicht die Trauer oder der Gedanke an Vergeltung für die geschlachtete Familie gewesen, der Orel dazu bewegte, sich dem Erkundungstrupp anzuschließen. Es war vielmehr das beunruhigende Gefühl, das die Angst in ihrer Stimme bei ihm auslöste, als sie von den Angreifern berichtete und der Gedanke an ein vergangenes Unglück vor einigen Jahren. Eine Angst, die so tief saß, dass kein gewöhnlicher Raubüberfall sie hätte auslösen können. Er musste ihren Ursprung ergründen, immerhin war er ein Sturmreiter, Nachfahre einer traditionsreichen Familie. Als er beschlossen hatte, sein Leben für die Verteidigung seiner Heimat einzusetzen, bestärkte ihn sein Vater in dem Gedanken und half früh dabei seine Begabung in der Waffenkunst, sowie in der Magie zu fördern. Mit sechszehn Jahren trat er unter das Kommando des hiesigen Hauptmanns Harpell. Nun würde er für die Sicherheit der Bevölkerung Langsattels sorgen. Der Ritt durch die grünen, idyllischen Hügel vermochte sie nicht auf den Anblick vorzubereiten, der sie bald ereilen sollte. Zwei der Jüngeren des Trupps sprachen über einen geplanten Angriff des blauen Sigels auf die Gehöfte und Nahrungsquellen ihrer Heimat, doch Orel wusste, dass dies nicht den Ogern der Mog Feste zuzuschreiben war. Oder zumindest hoffte er es.
Nun verschwand Lathanders Wagen hinter den höchsten Wipfeln der Bäume am Waldrand und die Nacht brach herein. Schatten wurden länger und bildeten eine einheitliche Schwärze, doch tanzten weiterhin Lichter auf den erstarrten Zügen des Mannes, der immer noch im Eingang des Hauses stand. Das Flackern eines Feuers spiegelte sich in Orels Augen. Holz knackte und eine Wolke aus Funken und Rauch stoben ihm ins Gesicht. Er sah nach oben und erkannte, dass der Dachstuhl dem Brandherd nicht viel länger standhalten konnte. Eine schreckliche Szenerie. Blutige Spuren führten zu zerteilten Körpern, eine hohe Rauchsäule bog sich ununterbrochen im aufkommenden Wind über den Feuern des Gehöfts. Wilde, ängstliche Stimmen der anderen Soldaten, die das Gelände absuchten und eine weitere Leiche gefunden hatten, drangen an sein Ohr. Der junge Mann schulterte die Gleve und ging etwas benommen von der Grausamkeit, die sich ihm hier bot, an den teilweise zerstörten Ställen vorbei. Seine Augen starrten durch die kleine Traube von Männern auf den Fleischberg, der einen Teil der Koppel umgerissen hatte und auf einem Pferdekadaver lag. Ein Oger, so wie es berichtet wurde. Hatten die Jüngeren doch Recht, sollten tatsächlich… Orel schloss schnell zu den Soldaten auf. Nein, er sah kein blaues Symbol, kein Zeichen der Oger aus der alten Feste. Dafür aber eine Art Halsband, wie das eines Hundes. Jedoch wies es eiserne Stacheln auf, die nach innen gerichtet waren und sich in das Fleisch des monströsen Leichnams bohrten. Auch erkannte er Ketten wie die eines Sklaven. Was bei allen Göttern war hier geschehen, wer hatte die Mristars überfallen und auf so bestialische Weise… Ein schwerer Schlag auf den Hinterkopf stoppte seinen Gedanken und er sackte zusammen. Daraufhin erinnerte er sich nur noch an Bruchstücke, Umrisse von Gestalten, eine außerweltlich klingende Sprache und eiserne Griffe, die ihn über steinernen Boden zogen.
…
Eine ruhige, doch deutlich vernehmbare weibliche Stimme hallte durch seine Ohren und riss ihn aus seinen Erinnerungen. Auch wenn er ihre Gestalt nicht erkennen konnte, so bahnte sich ein Bild, getrieben von Furcht, in Windeseile den Weg, vorbei an seinen Erinnerungen bis vor sein inneres Auge. Die dunkle Haut, der gnadenlose Ausdruck in ihren Augen und die blutverschmierte Peitsche, deren schlangenartige Köpfe vor seinem Gesicht spielerisch züngelten, ließen seine Adern gefrieren. Das Bild brannte sich in sein Gedächtnis und ihre Worte würde er nie vergessen.
„Finde dich mit deinem Schicksal ab, lerne zu gehorchen und du magst überleben.“