„Keine Spuren, keine Untoten“, teilte Abraham den anderen mit, als er auf den Innenhof der Ruine trat.
„Ich spüre nichts. Ist dies nun ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Es sollte mich wohl beruhigen, keine Wiedergänger wahrzunehmen, doch nachdem ich Euren Bericht gehört habe, scheint mir die Sache etwas seltsam.“Abraham befreite sein Gesicht von seinem Halstuch, mit dem er es zuvor verdeckt hatte, und fischte, während er einige Schritte schlendernd hinter sich brachte und sich dabei umsah,
[1] eine bereits gedrehte Zigarette – von denen hatte er immer einige parat – aus der Innentasche seines Mantels, um dann anschließend ein Streichholz an einer der heruntergekommenen Mauern anzureißen und sich seinen Glimmstängel genüsslich anzuzünden. Das Rauchen half ihm dabei, sich von seiner anderen, ererbten Sucht – der Sucht nach Blut – abzulenken. So war es besser für alle, obwohl das natürlich nicht half. Nichts war befriedigender als Blut – erst recht nicht Tabak. Doch besser als Alkohol, Pesh oder sonst irgendwelche exotischen Substanzen war der entspannend wirkende Rauch allemal, denn es benebelte nicht Abrahams Verstand. Sich zu benebeln, war kontraproduktiv, das wusste er nur zu gut, denn dann hatte er sich erst recht nicht unter Kontrolle.
Ein einsamer Innenhof eines verlassenen Gefängnisses – welch idealer Ort für einen Vampir, seine Beute zu schlagen. Keine Zeugen, niemand hört die Schreie. Und wenn doch, würde man es für Spukerei von ruhelosen Seelen halten. Vampire, die im Exil lebten, meist weil sie von den Menschen enttarnt worden waren, mochten Ruinen. Meist ungestört und doch verirrte sich hin und wieder eine Gruppe von Abenteurern auf der Suche nach Reichtümern dorthin, mit denen man Katz und Maus spielen konnte. Nein, Abraham van Helsing war wirklich nicht zum ersten Mal an einem Ort wie diesen. Fast war er ihm… heimisch. Aber andererseits könnte er sich nicht unwohler fühlen als wie an einem Ort wie diesem.
Der Dhampir zog seinen schweren Kompositbogen, zog einen Pfeil aus seinem Köcher und legte diesen locker an, bereit, sofort zielen und schießen zu können, wenn es notwendig sein würde. Doch hielt er Bogen und Pfeil erst einmal lediglich mit der Linken, und noch recht entspannt, in dieser Position fest. Nun wandte er sich erst einmal seinen Begleitern zu.
„Bevor wir dort hineingehen möchte ich Euch um einen Gefallen bitten, meine Herren“, äußerte Abraham dann, Tabakrauch ausstoßend, sah aber insbesondere den jungen Pharasmiten dabei an. Sein Ton war sachlich und er behielt die Reaktionen auf seine Worte im Auge.
„Bitte versucht nicht, mich zu heilen, und bleibt mir auch mit den anderen Mittelchen fern, die der ehrenwerte Professor Euch überlassen hat. Ich habe aus Eurer Sicht wohl… besondere Bedürfnisse, da konventionelle Heilung mir genauso schadet wie den Kreaturen, die Ihr in diesen Mauern vermutet. Doch meine Natur muss Euch keineswegs Sorgen bereiten oder Euch beunruhigen. Von mir geht gewiss keine Gefahr aus – solange Ihr Euch nicht gegen Pharasma und die Gesetze der Herrin stellt.“Es hörte sich wohl so an, als sei es für Abraham eine Beiläufigkeit, darüber zu sprechen. Doch das war es gewiss nicht. Seine Natur offenzulegen war für ihn heikel. Es war ein Geheimnis, das er sonst hütete, um nicht von einem wütenden Mob aufgespießt zu enden. Er war zwar kein Vampir, aber ein Dhampir, und für das Fußvolk bestand da kein Unterschied. Selbst für viele Pharasmiten nicht.
Abraham war nun nicht mit offener Tür ins Haus gefallen, aber zumindest Viktor müsste nun, da er mit der Nase daraufgestoßen worden war, Eins und Eins zusammenzählen können. Immerhin war das Erbe, das Abrahams Vater an ihn weitergegeben hatte, mit einem Hinweis darauf kaum zu übersehen. Erst recht nun nicht, da der Dhampir sein Gesicht nicht verdeckte, sondern dieses naherzu präsentierte. Blasse Haut, fast unnatürlich tiefgrüne Augen, seine allgemein fast unnatürlich gutaussehenden Züge und eine Alterslosigkeit, die an ihm haftete und nur von seinem stoppeligen Bart etwas kaschiert wurde. Seine Zähne, nicht zu vergessen, etwas spitzer zulaufend als die eines Menschen, wenn auch nicht allzu auffällig, aber, eingefügt ins Gesamtbild, machten sie dieses komplett.
Abraham erwartete gespannt, was nun geschehen würde. Und nein, seine Waffe hatte er nicht ohne Grund vor seinem Geständnis gezogen. Zwar wollte er diese nicht gegen Viktor, Brann und Jadar einsetzen, doch um die drei notfalls in Schach zu halten, wenn sie feindselig reagieren würden, war der Bogen gut geeignet.