Da Lavenia bereits ihr Glitzerkostüm trug, musste sich nur noch die Magerin umziehen. Für ihre Nummer trug sie einen dunklen Badeanzug. Um ihre Herkunft für ihre Geschichte zu unterstreichen gehörten aber ebenso ein silbernes Diadem und ein edles Gewand mit einem weißen Pelzkragen dazu. Während der Proffessor sie und die Anderen ankündigte, atmete sie noch einmal tief durch. Anders als im...alten Zirkus glaubte man hier an sie. Und die Fee war vor Aufregung kaum zu bremsen. Furio hatte es vorgemacht. Der Junge hatte sein Lampenfieber bezwungen bevor es ihn in seine eiskalten Finger bekommen hatte. Warum sollte das nicht auch bei ihr funktionieren? Die Anderen hatten sie ermutigt. Sie jetzt zu enttäuschen war einfach keine Option. Bolbil hatte auf einem einfachen Karren ihren Zuber vorbereitet und wartete nur noch auf ihr Zeichen. Unter seinem freien Arm hatte er eine Schüssel mit ihren anderen Utensilien dabei. Der freundliche Riese warf ihr ein gutmütiges Lächeln zu. Die Jadwiga nickte schwach. Ihre Hände klammerten sich hilfesuchend an den Vorhang. Plötzlich fühlte sie sich schwindelig. So nahe vor ihrem Auftritt spürte sie das Publikum wie massiven Druck - als befände sie sich viele Meter unter einer Wasseroberfläche. Es drohte ihre Lungen zu zerquetschen. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Alle Worte der Ermutigung gingen in einer überwältigenden schwarzen Welle unter. Sie hörte nichts mehr, sah nichts mehr...Da war nur noch dieses eiskalte, betäubende Gefühl in ihr. Es...ging nicht.
[1]Auch wenn ihr Gesicht zu einer Maske erstarrt war, konnte sie ihre aufkommende Panik nicht vor der Fee verbergen. Lavenia landete auf ihrer Schulter und tätschelte mit ihrer winzigen Hand mitfühlend ihren Kopf.
"Krieg' jetzt nur keinen Herzinfarkt! Es kann nur besser werden als beim letzten Mal. Denke nicht an das alte Katzenvieh. Keiner sperrt dich hier in den Löwenkäfig wenn etwas schiefgeht. Schau mal, wie gut gelaunt das Publikum aussieht! Ist so viel Freude nicht ansteckend? " Sie deutete auf den Vorhang, den die Magerin immer noch wie eine Ertrinkende umklammerte. Vorsichtig wagte sie einen Blick nach draußen. Kinder wie Erwachsene, noch immer verzaubert von Mordaines Auftritt und gespannt auf das Finale. Aber...Was, wenn sich die Stimmung mit ihrem Erscheinen verändert...? Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe. Es ging ihr nicht besonders. Vielleicht war das einfach nicht ihr Tag? Andererseits hatte Lavenia lange auf diesen Moment gewartet. Und im Grunde...hatte sie ja auch viel Mühe in ihre Nummer investiert. Das war doch zumindest etwas Wert...? Aber noch wichtiger als sie war das Andenken an Myron. Ohne seine Unterstützung hätte sie nie einen Neuanfang getraut. Dieser Zirkus war so anders als sie es gewohnt war. Er war ein Ort, den sie Heimat nennen konnte. Weder ihre Familie noch Dämmerlicht hatten sie je wirklich unterstützt. Nie daran geglaubt dass auch sie ein Potenzial besitzt. Ihr Leben fing gerade erst an. Unauffällig fuhr sich Nadeshja über die Augen und nickte dann Lavenia und Bolbil zu.
"...Ich bin soweit."[2]Die Zwillinge und die Zwerge waren bereits vor Ort, da trat nun endlich die Jadwiga ins Rampenlicht. Mit gemächlichen, eleganten Schritten steuerte sie auf ihren Ring an und winkte dem Publikum ein wenig herablassend zu, als würde sie nur beiläufig Notiz davon nehmen. Innerlich war sie nach wie vor aufgewühlt, doch...Sie wurde noch nicht ausgebuht! Gab es wirklich Hoffnung? Mit einem befehlenden Händeklatschen rief sie Bolbil auf den Plan, der demütig den Karren hinter ihr herzog und den vollen Zuber auf die Platzmitte wuchtete. Nachdem er die Holzschüssel daneben abgestellt hatte, verbeugte er sich unbeholfen und wurde von der Adeligen wieder weggescheucht. Nadesja testete das Wasser mit einer Hand, bevor sie ihren Mantel fallen ließ. Das Diadem behielt sie auf - man besaß schließlich Klasse und letztendlich war ihre Rolle nur eine Karikatur ihrer Vergangenheit. Nachdem sie Platz genommen hatte, streckte sie sich entspannt und griff nach einer ungewöhnlich flachen Pfeife, die mehr Ähnlichkeit mit einer winzigen Flöte hatte. Im Takt der Musik bewegte sie ihre freie Hand mit und webte unauffällig ihren Zauber.
[3]Aus der Pfeife trat nun weißer, bauschiger Rauch aus - fast so als würde sie eine Wolke rauchen. Gekonnt pustete sie einen ringförmigen Wirbel in die Luft. Aber für eine Jadwiga war das natürlich noch nicht gut genug! Während der Ring noch kurzzeitig seine Form behielt, blies sie ein erstaunlich detailliertes Schiff hindurch. Nach einem weiteren Zug stieß sie nun Rauch nach oben aus und ließ hübsche Schneekristalle auf ihren Ring hinabregnen. Unter dem Handtuch in der großen Holzschüssel kam Bewegung. Neugierig lugte die Fee hervor und flatterte mit großen Augen aus ihrem Versteck, um einen der Kristalle zu berühren. Auf bezaubernde Art und Weise begann sie mit den Kristallen zu tanzen, bis sie von der ungeduldigen Adeligen in einem Schwall aus Rauch wegepustet wurde. Die sichtbar ungehaltene Fee wedelte hastig vor ihrem Gesicht herum und flog dann zurück zu der Schüssel. Mit etwas Mühe griff sie nach einer Seifenflasche und trug sie mit angestrengt schlagenden Flügeln in Reichweite. Noch ehe die Jadwiga reagieren konnte, landete die flüssige Seife in ihrem Badewasser und begann beinahe augenblicklich aufzuschäumen. Fluchtartig sprang sie aus ihrem Zuber und blickte Lavenia argwöhnisch hinterher. Bewaffnet mit einem Werkzeug begann sie kunstvolle Seifenblasen zu formen. Eine große, schwere Blase, welche sie mit ihrem Rauch füllte. Sie schwebte träge umher und platzte noch bevor sie die Fee erreichen konnte in einer hübschen Wolke. Das freche Ding lachte sie nach ihrem ersten Versuch einfach aus. Aber sie war noch lange nicht am Ende. Als Nächstes bildete sie eine große gefüllte Blase, daneben eine weitaus kleinere Leere. Beides wurde in einer weiteren Blase gefangen und die Kleine begann die Große zu umkreisen wie ein Planet um eine Sonne. Nun hatte sie allmählich die Aufmerksamkeit des Störenfrieds gewonnen. Als Nächstes bildete sie aus Blasen einen Schneemann, der einen Gürtel aus kleinen, rotierenden Kugeln trug. Lavenia begann zu klatschen, aber noch blieb sie wohlweißlich auf Abstand. Die Adelige versuchte es weiter. Mithilfe einer langen Glaspfeife füllte sie eine Seifenblase mit Rauch und ließ das Innere wie einen hypnotisierenden Strudel rotieren. Der kleine Störenfried versuchte der Rotation mit ihren Augen zu folgen und wirkte mit einem Mal etwas weggetreten. Nun holte die Jadwiga zum finalen Schlag aus. Sie drehte die große Holzschüssel um, formte darauf eine riesige Blase und eine appetitlich aussehende Seifentorte in seinem Inneren. Kaum war die Fee hineingeflogen, da schnappte die Falle zu - aus der Torte bildete sich eine seifige Kugel und sperrte das zierliche Wesen ein. Nadesja holte sie mitsamt ihrem neuen Gefängnis hervor und ließ sie frei in der Luft schweben. Begleitet von unzähligen anderen Seifenblasen stach die Hauptblase durch Lavenias Glitzerkostüm hervor, welches sie wie einen schönen Stern funkeln ließ. Erst nachdem auch dieser Traum geplatzt war, kehrte sie zu der Jadwiga zurück und stellte sich auf Nadesjas Diadem. Von dort aus winkte sie dem Publikum zu und die Magerin tat das Gleiche. Ihr Auftritt war zuende. Nadeshja wagte kaum zu atmen. Hatten sie es geschafft...?