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« am: 02.10.2014, 05:13:32 »
Nach einer langen Diskussion, dem Abwägen von Risiken und Vor- beziehungsweise Nachteilen, war es am Ende doch eine Moralfrage, wie die Gruppe weiter vorgehen wollte. Sollte man überhaupt eine der Kugeln - die in Wahrheit die Gehirne der Forscher waren - mitnehmen und so die Gefahr eingehen, dass diese Technologie und das Wissen missbraucht werden konnten? Durfte man dieses Wissen denn der Menschheit vorenthalten, wenn es um Unsterblichkeit ging? Zweifellos konnte daraus viel Gutes aber auch sehr viel Schlechtes entstehen. Was sollte man mit dem übrig gebliebenen Wissenschaftler machen, der auf der Suche nach einem ewigen Leben auf die schiefe Bahn geraten war? Sollte man ihn wirklich zurück und elendig verbrennen lassen? War ein schneller Tod nicht die bessere Alternative? Dann war da noch die restliche Anlage, die Pflanzenwesen - die früher einmal Menschen gewesen waren - und auch Krok'la. Was sollte mit ihnen geschehen? Was sollte mit den Leichen der Mitglieder der anderen Expedition geschehen?
Es waren zu viele Fragen und Entscheidungen. Die Aussicht endlich wieder nach Middlesteel zurückzukehren, war einfach zu verlockend und so entschied man sich dazu, so viele Kugeln zu retten wie es nur ging, das Labor zu verbrennen und dann abzuhauen. Diese Expedition war zur Hölle geworden und niemand wollte noch mehr Zeit in diesem Komplex oder dem Wald verbringen. Selbst die Aussicht auf das bescheidene Leben in der Hauptstadt Jackals war jetzt wieder vielversprechend.
Ohne noch viel länger zu zögern, sammelte man insgesamt fünf Kugeln aus den Leichen in diesem Labor ein. Zwei waren bereits in die Körper der Entführten eingebaut worden. Shiver und Simon waren sich sicher, dass es nicht mehr lange gedauert hätte, bis die beiden wieder zum Leben erwacht worden wären. Jede der Gestalten, die sie vorher in dem Raum vor der Werkstatt bekämpft hatten, trug ebenfalls einen Wisph in sich, was sie als eine der zehn Personen kennzeichnete, die sich vor so langer Zeit hierher zurückgezogen hatten. Lediglich die Kugel des Forschungsleiters nahm man nicht mit. Das Risiko war zu groß, dass man ihn vielleicht aus seinem Schlaf oder seiner Starre erweckte, wenn man den Tank zerstörte oder abschaltete. Da man nicht wusste, wie stark dieses Wesen war, ließ man ihn lieber in der Feuersbrunst verbrennen, anstatt einen Kampf zu riskieren. Es wurden noch einige Unterlagen auf dem Schreibtisch des Forschers eingesammelt und dann die Vorbereitungen für das Feuer getroffen. Mithilfe von Carls chemischen Substanzen und denen, die man hier gefunden hatte, entfachte man ein Feuer, dass in der Werkstatt sofort um sich griff und anfing alles zu verschlingen. Niemand trauerte um das, was hier vernichtet wurde. Es war abartig, krank und falsch gewesen.
Nachdem sie sich sicher waren, das das Feuer heiß und groß genug war, verließen Marguerite, Carl, Simon und Aether schließlich den Untergrundkomplex, um dieses Kapitel endlich hinter sich zu lassen. Ihre Mission war erfüllt: Sie hatten die Kugel gefunden, die McKinkai gesucht hatte. Doch war es das wert gewesen? Das musste wohl jeder für sich selbst beantworten. Am Eingang der unterirdischen Forschungsanlage wartete bereits ein alter Bekannter. Der Craynarbier Krok'la war zurückgekehrt und hatte die Angstzustände überwunden, die das Gas auf der Treppe verursacht hatte. Er entschuldigte sich dafür, dass er nicht hatte helfen können und schloss sich schließlich der Gruppe an, da er sonst Niemanden mehr hatte. Zusammen schafften sie den harten Weg nach Rapalaw Junction. Mehrere Tage waren sie unterwegs, bis sie den letzten zivilisierten Außenposten im Wald von Liongeli erreichten. Sie hatten Erfahrungen sammeln können und Krok'la war ein durchaus talentierter Führer, sodass sie ohne große Probleme und Kämpfe zur Stadt fanden. Nur ab und zu mussten sie den riesigen Wesen ausweichen, die als Donnerechsen bekannt waren und sie sonst einfach zertrampelt hätten. Auch dem Grünnetz, den Jagdspinnen oder anderen Bewohnern des Waldes begegneten sie nicht, was eigentlich seltsam war. Bevor sie die Stadt erreichten, zeigte sich aber der Grund dafür. Die Pflanzenwesen, mit denen sie bereits bei ihrem Eintritt in den Wald gesprochen hatten, stellten sich ihnen ein letztes mal in den Weg.
Fast schon traurig blickte der Anführer des hohen Rates - denn nichts anderes waren diese Kreaturen - die Expeditionsteilnehmer an. "Ihr habt unsere Warnungen ignoriert, nicht weiter zu gehen. Danke. Danke, dass ihr sie von ihrem ewigen Leid befreit habt. Dieser Kampf dauerte eine viel zu lange Zeit an und ihr habt ihn beendet. Wir haben euch auf eurem Rückweg vor dem Wald geschützt. Das war das Mindeste, was wir tun konnten." Damit war alles gesagt. Ob der hohe Rat tatsächlich einen friedlichen Weg gefunden hatte, mithilfe der Weltenmagie und den Geheimnissen des Dschungels, auf ewig zu leben? Wer konnte das schon wissen...
Zusammen mit Krok'la, betraten die kleine Gruppe schließlich die Stadt. Mehr ein zusammengewürfelter und bis an die Zähne bewaffneter Haufen Schrott, der direkt an den Fluss gebaut worden war. Hohe Mauern, auf denen Drekschleudern saßen und Wachen patrouillierten, umgaben die wenigen Gebäude, die diese Stadt ausmachte. Die Matrosen und Arbeiter der Meersäufer waren recht schnell gefunden - natürlich in der einzigen Kneipe des Ortes. Der Kapitän war durchaus überrascht aber er fasste sich schnell und schlug allen freundschaftlich auf die Schultern und lud sie auf das ein oder andere Bier ein. Vor allem Shiver war froh, endlich seinen Brand löschen zu können. Schon bald fiel das Gespräch aber auf die Kugel und es war klar, dass die Meersäufer tatsächlich den Befehl bekommen hatte, erst auszulaufen, wenn entweder alle tot waren oder die Kugel beschafft worden war. Kapitän Barnes versicherte, dass er sie auch so nach Middlesteel zurückgenommen hätte aber ein Zweifel blieb.
Dann war es aber endlich an der Zeit, für die Rückreise. Zurück in die bedrückende Enge des Bootes. Eine wohlverdiente Pause, fernab von purem Überlebenswillen und Kampf. Die Reise verlief - bis auf die aggressiven Fische, die das Boot immer wieder angriffen - recht ruhig. Niemand legte sich mit Mitgliedern der kleinen Gruppe an. Schließlich erreichten sie den Hafen Middlesteels. Krok'la bedankte sich überschwänglich für die viele Hilfe, entschied sich aber dafür, bei den Meersäufern zu bleiben. Ihm gefiel es auf dem Schiff und er brauchte die Gefahr und das Abenteuer, wie ein Fisch das Wasser.
Für Shiver, Simon, Aether, Carl und Marguerite ging es allerdings jetzt erst richtig los. Das Gefährlichste hatten sie noch nicht hinter sich. Kein Mr. Black erwartete sie am Hafen - kein Empfangskomitee. Sie hatten vollkommen freie Hand. Wollten sie McKinkai sofort konfrontieren oder doch auf eine andere Weise vorgehen?