Der Spitalier gab dem Schrotter die Hand und hielt tatsächlich die Klingen des Spreizers nach unten gerichtet. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass er jeden ihrer Gastgeber mit dem Mollusk am anderen Ende seiner Waffe auf eine etwaige Versporung testete. Offenbar zufrieden mit dem Ergebnis schraubte der Spitalier den Mollusk vom Spreizer ab und verstaute den Kopf in seinem Rucksack. Leon legte auch seinen wärmenden Umhang ab, hier drinnen schien ihm der Neoprenanzug wärmend genug zu sein. Und schließlich setzte er auch die Gasmaske ab, sodass (abgesehen von Mehler) seine Weggefährten und ihre Gastgeber zum ersten mal sehen konnten, dass Leon von der rechten Seite noch recht jung, vielleicht Anfang 20 wirkte.
Dieser Eindruck endete allerdings aprupt, wenn man in seine Augen sah. Der Glanz der Jugend war aus ihnen völlig verschwommen und es war schnell klar, dass er zu viel
gesehen hatte, um noch zu den jungen Menschen zu zählen. Darüber hinaus war die linke Hälfte seines spitaliertypischen kahlen Schädels entweder von einer Verbrennung oder einem Säurebad stark entstellt. Diese Vernarbung begann hoch oben, erstreckte sich über Stirn und Wange bis hinunter zum Hals, wo sie im Kragen des Spitalieranzugs verschwand. Die Vermutung lag nahe, dass diese schon etwas älter wirkende Verletzung sich unter dem Spitalieranzug fortsetzte.
Das Abendmahl nahm er dankend an, ließ es sich aber nicht nehmen, es einem aufmerksamen Sicht-, Geruchs- und Geschmackstest zu unterziehen. Wer die Spitalier nicht kannte, mochte dies vielleicht als beleidigend auffassen. Wer sie aber kannte, wusste: Das war Spitalierstandardprozedur bei nicht vom Spital verifizierten Speisen bzw. Zutaten. Still und genügsam nahm er also das Mahl zu sich und lehnte die Gewürze des Africaners dankend ab.
Nach dem Abendessen zog sich der Spitalier in den Schlafbereich zurück und baute sein Lager auf. Nachdem er seine Utensilien bereit gelegt hatte, öffnete Leon den Spitalieranzug und schälte sich bis zur Hüfte aus dem Neopren. Der Unwissende mochte sich wundern, wie vergleichsweise so dünne Stoffbahnen den Spitalier wärmen konnten. Die Tatsache aber, dass er nicht erfroren war, sprach aber für sich. Die Entblößung seines muskelbepackten Oberkörpers offenbarte weitere mehr oder weniger gut ausgeheilte Verletzungen, die Leon überlebt hatte. Die Verbrennung durch Feuer oder Säure erstreckte sich bis zur linken Schulter und endete dort. So im Ganzen gesehen wirkte die Wunde als hätte man ihn von vorne mit etwas übergossen, das diese Verwundung verursacht hatte. Leon hatte weitere Narben, die von Schwerthieben und Keulen zeugten. Die schlimmste und beeindruckendste aber war schräg über seiner rechten Brustwarze zu bestaunen. Irgend etwas
Großes hatte ihn an jener Stelle einst durchbohrt und auf dem Rücken war an gleicher Stelle eine kaum kleinere Austrittsnarbe zu erkennen. Der eine oder andere mochte sich wundern, wie der Spitalier diese Verletzung überlebt hatte. Aber Leon war eben genau dies. Und die Spitalier waren nun einmal berühmt für ihre medizinischen Fertigkeiten.
Leon nun wandte sich seiner neuesten Verletzung auf dem linken Arm zu. Die Blutergüsse, die ihm der Leperos beschert hatte ließen den Arm in einem bedrohlich wirkenden Blau unter der gekalkten Haut hervorstrahlen. Geduldig und nicht ohne den ein oder anderen Schmerzenslaut säuberte Leon die Wunde, trug eine Salbe auf und Verband sie anschließend.
[1] Daraufhin zog er den Spitalieranzug wieder komplett an und wandte sich den anderen wieder zu und sprach auf Borcisch: "
Ist jemand verletzt und möchte seine Verletzungen behandelt sehen? So tretet ruhig näher und ich werde mich um eure Verletzungen kümmern. Gegen eine angemessene Bezahlung gemessen am Aufwand der Versorgung versteht sich." Es war das erste mal, dass er der Hellvetikerin wieder eines Blickes würdigte und sie in dieses Angebot offen mit einschloss. An dieser Stelle schien er seine persönlichen Gefühle für ihr Handeln außen vor zu lassen als gäbe es keine einzige Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden.