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« am: 29.08.2013, 17:21:54 »
Areo kniete vor seinem Meister, welcher in solch sanften Licht erstrahlte, dass es all seine Sorgen für einen Moment vergessen lies. Geborgenheit, Liebe und Führsorge ersetzten für jenen, schicksalshaften Augenblick die Zweifel in seinem Herzen. Als er die gutmütigen Worte in seinem Kopf vernahm, übermannten ihn die Tränen. Er musste träumen. Es war nicht das erste Mal in seinem bisherigen Leben, dass er im Zwielicht des Schlafes, geweckt durch seine Gefühle, die Gabe des Hörens, des Sprechens, verliehen bekommen hatte. Freilich war er sich nicht klar darüber, wie es sich wirklich anfühlte, seinen Meister zu hören. Doch für jemanden wie Areo, dessen Welt die Stille war in die er geboren wurde, waren jene Träume wie ein Geschenk der Götter selbst. Das höchste Maß an Glück und Zufriedenheit, welche er sich überhaupt vorstellen konnte. So lies er seiner Freude freien Lauf, wie er es seit Jahren nicht mehr konnte. Tränen wuschen ihm die Wangen, während er über die warmen Worte nachdachte.
Zuflucht findest du im Wahn, und die Wildnis kennt nur noch den Tod. Hallte es erneut durch die Unendlichkeit des Träumers.
Was versucht er mir mitzuteilen? Ist meinem Zuhause etwas zugestoßen? schoß ihm durch den Kopf. Wieso wünschte sein Meister sich, er würde diesen verruchten Ort seine >>Heimat<< nennen? Er war hier, weil er endgültig frei sein wollte. Er musste diese eine Sache hinter sich bringen, damit sein Herz endlich den Frieden finden konnte, welcher nötig war um die Elfen des Westens zu führen.
Du hast nun eine Frage, die du mir stellen darfst. Nur eine, nicht mehr. Aber frage mich nichts über die Zukunft – dies ist die einzige Bedingung.
Aber er hatte so viele Fragen! Er wollte sich mehr mit Tyr unterhalten. Er wollte die Gabe des Sprechens nicht voreilig vergeuden und der Nacht zurückgeben, bevor ihn das reale Leben wieder in diese eisige Klaue einer Stadt sperrte, welche seine Mutter tötete. Verwirrt wandte er kurzzeitig den Blick ab und starrte in die ewige Dunkelheit, welche sich jenseits des Strahlen seines Mentors erstreckte. Eine Frage. Nur eine, nicht mehr. "Vielleicht geht es hier um weit mehr, als nur meinen Wissensdurst zu stillen." Wurde Areo plötzlich bewusst. Vielleicht ging es nur um diese eine Frage, welche ihn stets zögern lies. Furcht machte sich in seinem Geiste breit, Angst vor der Antwort, welche ihm das Abbild Tyrs vielleicht entgegnen würde. Dennoch hob Areo mutig den Kopf, richtete seine Augen auf das Anlitz seines Mentors, dem Führer der Elfen, welches so hell strahlte, dass es ihn zweifellos ausserhalb der Welt der Träume geblendet hätte.
Ein kalter Schauer fuhr durch seinen Körper, als er das Glück verspürte, seine Lippen öffnen zu dürfen um Worte zu formen.
"Bin ich denn wirklich stark genug, um der zu sein, den du in mir siehst?"
Vielleicht mag jene Frage nicht plausibel erscheinen, für jemanden der die Szene hätte betrachten können. Doch um den Sinn wirklich zu verstehen, müsste man wohl erst selbst am eigenen Leib erfahren, was Areo erfuhr. Die Last, die Tragweite seiner Bestimmung auf den Schultern spüren, obwohl er sich Zeit seines Lebens immer fragte, ob sein Platz wirklich unter den Stämmen der Elfen war. Ob sie ihn jemals trotz seiner Schwäche als einer der ihren sehen werden. Natürlich bestätigte ihre Liebe zu ihm die Tatsache, dass er sie leiten solle. Doch die Zweifel verschwanden nicht, seit er die Ankündigung vernahm, der Nachfolger seines Meisters zu werden. Im Gegenteil zweifelte er an ihrer Entscheidung. Selbst an dem Willen Tyrs. Denn was konnte schon ein taubstummer Bastard, geboren aus den Sünden Aradans, wirklich bewirken?
Vielleicht hoffte sein Herz auf Worte des Trosts, welche seinen Kummer und seine Angst hinwegfegen konnten, wenn er sich an sie erinnerte.
Vielleicht wünschte sich Areo in diesem Traum nicht sehnlicher, als Zuspruch und Vertrauen. Damit er stark genug sein würde, für den Wahn, der scheinbar bald seine Welt verändern würde.