Hintergrund (Anzeigen)Er durchtrennte den letzten Strang, und die Welle
brach.
Danach Stille, endlich wieder Stille, das schmerzende Ziehen in seinem Solarplexus vergessen. Drei Nächte hatte er nicht geschlafen, seit der Schmerz angefangen hatte, drei Tage lang die Geißler auf scheinbar zufälligen Wegen durch die zerklüftete Einöde geführt. Drei Tage lang sich das immer lauter werdende Genörgel des Neolibyers anhören müssen. Letzten Endes hatte er sich gebeugt, würden er und seinesgleichen sich immer beugen, zu wichtig waren die Anubier und ihr Wissen für die Expeditionen in das Land der Krähe.
Und letzten Endes war die Jagd erfolgreich gewesen. Die Geißler hatten die Absonderliche vor sich her getrieben, bis sie nicht mehr weiter fliehen konnte, und er hatte sein drittes Auge geöffnet und ihren dissonanten Strang aus der Welle geschnitten.
'Psychokineten', so nannten die kahlen Heiler der Krähen diese spezielle Art der Absonderlichen. Gefährlich waren sie, auf eine viel direktere und physischere Weise als die Dushani weiter im Osten. Den Geißlern war das nur recht: Umherfliegenden Gesteinsbrocken konnte man ausweichen, ein Feind, der einen rasend vor Wut angriff, versprach einen Ehre bringenden Kampf.
Kemwer war das alles egal. Sicher, er spielte das Spiel mit, wenn der Simba des Rudels ihm stets die Ehre anbot, die Absonderlichen als Erster anzugreifen. Letzten Endes spielte die Ehre dabei aber keine Rolle, es ging nur darum, die Welle zu glätten, die sich vor jedem Absonderlichen aufbäumte wie ein sich vor Schmerzen windendes Tier.
Kemwer spürte diese Schmerzen wie glühende Nadeln in seinem Körper, wann immer er in die Nähe der Absonderlichen kam, aber dennoch zog es ihn nach Norden. Die Welle brauchte die Anubier, und seit er das Sichelschwert entgegen genommen hatte, war der Kampf seine Aufgabe. Die Heilerin an Bord des Drangpanzers, Nyaga, unterstützte die Welle auf ihre Weise, indem sie den Strang der Geißler wieder zusammenfügte, wenn er drohte zu zerfallen - manchmal half sie ihnen auch, ihre Welle friedlich auslaufen zu lassen, wenn ihre Wunden zu schwer waren. Seine Aufgabe aber war es, die Absonderlichen aus dieser Welt zu tilgen.
Diese Aufgabe war auch der Grund, warum er sich von der Expedition getrennt hatte. Der Neolibyer hatte sich geweigert, die Alpenfestung zu überqueren. "Kein Profit", hatte er gesagt, und "zu teuer" sei der Wegzoll der Hellvetiker. Gezahlt hatte er ihn Kemwer dennoch, wenn auch ohne Begeisterung.
Ob mit Unterstützung oder ohne, er musste weiter in den Norden. Die Absonderlichen in den südlichen Ländern waren den Hogons bereits wohl bekannt, ihre Fähigkeiten und Schwächen über lange Zeit zusammengetragen und an frisch auserwählte Träger der Sicheln weitergegeben. Der Norden aber, jenseits der Alpen, das war noch unbekanntes Gebiet. Zu wenige Neolibyer nahmen die Kosten und Risiken einer Expedition so weit ins Land der Krähe auf sich, zu wenige Anubier reisten mit ihnen, um etwas über den Feind zu lernen.
So machte er sich auf den Weg, zu Fuß, ohne genau zu wissen, wohin er gehen musste. Lediglich eins war ihm gewiss: Er würde die Schmerzen spüren, wenn er in ihre Nähe kam. Und dann war seine Aufgabe klar.
Suchen.
Schneiden.
Stille.