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« am: 11.12.2014, 20:30:30 »
Als Will sich auf die Matratze setzte, ging Arjen zu einer der benachbarten Kojen, glitt mit dem Rücken an dieser auf den Boden hinab und kramte nun auf dem Grund sitzend seine unfertige Schnitzerei und das kleine Messer wieder hervor. Mit langsamen, genauen Bewegungen bearbeitete er das Holz weiter und sah, wie der Mädchenkörper weiter Gestalt annahm.
Schweigend hörte er dabei Wills Ausführungen zu. Mehrmals sagte dieser Worte, die ihn trafen - weil manche seiner Annahmen so wahr und andere so falsch waren. Als dieser geendet hatte - als er sich doch dazu durchgerungen hatte, über seinen Schatten zu springen und Luca, der mit seinem Urteil wirklich so schnell bei der Hand gewesen war, die ebenselbe zur Versöhnung reichte, war Arjen abermals überrascht von seinem Gefährten.
"Sechs Jahre", flüsterte er, "sechzehn, sechzig - es spielt keine Rolle. Ich glaube es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen brauchen nur einen Tag, um sich an den Tod unschuldiger zu gewöhnen; die anderen schaffen das ihr Lebtag nicht. Ich habe getötet - viele Male. Und viele dieser Männer verdienten den Tod. Ich habe Kameraden betrauert, die neben mir gefallen sind - aber es waren Soldaten und sie starben im Dienst. Ich wusste, ich habe mein Bestes getan. Ich habe es ausblenden können, aber mich daran gewöhnen konnte ich nie. Und dann... war da dieser neblige Novembermorgen..."
Der Krieger verstummte und schluckte einen Klos hinunter. Will sah ihm an, dass ihm das weiterreden schwerfiel. Erst nach einigen Augenblicken hatte er sich wieder so gesammelt, dass er weitersprechen konnte.
"Ich verfluche mich jeden Tag dafür, dass ich den Mörder meiner Familie nicht schon vorher zur Strecke gebracht habe. Ich verfluche mich dafür, dass ich an dem Tag nicht zu Hause gewesen bin. Dafür dass ich geglaubt hatte, ich könnte den Tod hinter mir lassen, indem ich aus dem Heer austrete und mein Schwert in einer Kiste verschließe, anstatt meiner Frau eins zu kaufen und ihr beizubringen, wie sie sich hätte wehren können. Nur eine Stunde früher und ich hätte diesen lüsternen Bastard gestellt und umgebracht, bevor er sich meiner Familie hätte überhaupt nähern können."
Wieder muss Arjen einen Kloß hinunterschlucken, bevor er weitermacht. "Glaube mir, wenn du denkst, dass nur du dir Vorwürfe machst, deine Lieben nicht beschütz zu haben, Unschuldigen Schaden zugefügt oder es zugelassen zu haben, dann irrst du gewaltig. Und so wie du dir Vorwürfe machst und davon sprichst, deine Familie retten zu wollen, sind da noch viele Spiegel, die auf deinen Blick warten - und nicht der Schminke wegen. Ich glaube auch, dass du das weißt. Und ich glaube, dass du ein Mann von Ehre bist. Du hast Angelo gerettet, als du die Möglichkeit hattest, wegzulaufen. Du willst deine Familie retten und diese hier beschützen. Für dich ging es bereits um Leben und Tod und du hast dich bewährt."
Arjen ließ das Messer sinken und schaute Will direkt an. "Du bist ein guter Mann, Will. Wird Zeit, dass du das erkennst, damit wir uns echten Problemen zuwenden können." Er lächelte, um anzudeuten, dass dies nicht despektierlich gemeint war, und fügte hinzu: "Zum Beispiel der Frage, wie wir deine Familie finden können."
Auch wenn der Krieger sich bemühte mit einem Scherz zu schließen, auch wenn er das Thema von sich wieder auf Will gelenkt hatte, hatte der Schauspieler das Gefühl, dass Arjen in seiner Rede - als er gestockt hatte - etwas unausgesprochen ließ. Da war noch etwas, was er noch nicht mitzuteilen bereit war.