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« am: 15.01.2017, 15:52:37 »
Aus dem Augenwinkel sieht Suri die Bewegung, das Aufblitzen der glattgeschliffenen schwarzen Klinge. Die Niedertracht des besiegten Kriegers überrascht sie nicht - vieles hat die so jung und zerbrechlich aussehende Heilerin in ihrer Heimat und im Exil schon erlebt - bedauern tut sie seine Rachsucht aber durchaus.
Es bleibt jedoch nicht beim bloßen Bedauern. Die Weltenwanderin drückt die Hand ihres letzten Patienten fest auf das Tuch, mit dem sie gerade noch die Speerwunde in seiner Seite gesäubert hat, und stürzt zu dem zu sich gekommenen Indio.
"Toledo-sama, Gefahr!," ruft sie dem Missionar in einer verhaspelten Mischung aus Japanisch und Nahuatl eine Warnung zu, während sich ihre langen dünnen Finger um die Handgelenke des Mannes mit dem Obsidiandolch verkrampfen. Die Hijra weiß, dass sie einen trainierten Krieger kaum würde zurückhalten können, wenn er nicht bereits zu viel Blut verloren hat, aber sie will vor allem Juan den Augenblick verschaffen, sich der drohenden Gefahr zu entziehen, und den gesunden Männern an Bord, den Azteken zu entwaffnen. In der Furcht, es würde nicht lediglich beim Entwaffnen bleiben, redet sie so eindringlich wie sie in der Hektik und der gebrochenen Sprache der Einheimischen nur kann auf die Spanier und den liegenden Feind ein:
"Aufhören! Ende Kampf! Gnade! Reden, reden, ja? Nicht töten!"
Die Augen der Heilkundigen huschen von dem Krieger, den sie festzuhalten versucht, zu den Männern um sie herum - weit offen, flehend, und doch sehr bestimmt.