"Sie haben Glück!" hatte man Cesare gesagt.
"Morgen früh führt der alte Franz eine kleine Reisegruppe nach Tal, da können Sie sich für ein paar Wechsel anschließen."Glück! Gleich der erste dieser Reisenden, dem er begegnete, war ein Richter! Der hatte sich natürlich auch gleich zum Anführer aufgeschwungen, unterstützt von dem Spitalier, still geduldet von allen anderen. Natürlich war die erste Frage, kaum dass er sich vorher als Sigmar Mehler vorgestellt hatte:
"Was bist du für einer, wo kommst du her?" Cesare hatte nichts außer seinem Namen und
"Roma" herausgebracht, da hatte der Richter sich ihn auch schon gekrallt und in einem Nebenraum unter vier Augen verhört—nur so ein stummer Hüne stand noch in der Ecke.
"Roma!" hatte der Richter ihn angeschnauzt.
"Und was führt dich dann hierher?"Also erzählte Cesare dem Mann in knappen Worten seine Cover-Geschichte,
[1] aber von all dem kaufte der Richter ihm zunächst kein Wort ab—bis Cesare seine Hände und seinen Rücken herzeigte. Da gab der gute Sigmar dann doch grantig zu, dass jemand, der mit solchen Methoden zu Gehorsam und "Loyalität" erzogen worden sei, sich doch vielleicht eines Tages von seiner Schar abwenden würde.
Und darin liegt der Vorteil, seine Lügen so nah wie möglich an der Wahrheit anzulehnen."Ich habe ein Auge auf dich!" sagte Sigmar und ließ Cesare erst einmal in Ruhe.
[2] Den restlichen Abend über und auch auf ihrem Marsch am folgenden Tag hielt Cesare sich möglichst weit von Sigmar entfernt. Beim Frühstück hatte er versucht, ein wenig mit den anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen, aber erstens waren sie alle wegen des grauslichen Wetters verstimmt, und zweitens war das Sprachproblem doch ein wenig größer als erwartet. Sigmar und den Spitalier verstand Cesare noch am besten—ihr Borcisch war genau das, welches er früher in der Schule gelernt hatte—die anderen aber sprachen allesamt mit den seltsamsten Akzenten, die Fremden wie die Einheimischen. Letztere waren sogar noch schwerer zu verstehen als die Fremden.
Am schlimmsten aber war ihr sogenannter Führer. Cesare verstand kein Wort, was der Mann sagte, aber Worte schienen für den alten Franz eh nicht die Sprache seiner Wahl zu sein, sondern die Faust. Bei jeder Gelegenheit prügelte der Kerl auf seinen Jungen ein. Nicht, dass Cesare Prügel nicht als wirksame Erziehungsmethode anerkannte, die er bei der Ausbildung seiner Küken auch bisweilen angewandt hatte, doch so viel man einem jungen Menschen damit auch beibringen konnte: mehr Hirn konnte man niemandem einprügeln. Wären die Umstände andere gewesen, hätte er versucht, den Jungen als Finken abzuwerben. Hübsch war er ja. Und zum Vögeln brauchte man kein Hirn. So aber schwieg Cesare.
Und dann waren sie eh draußen im Sturm, der einem so laut um die Ohren pfiff, dass man sein Wort nicht verstand. Außerdem verjagten das Zittern und die beißende Kälte jeden Gedanken an die Mitreisenden.
Wäre ich doch nur bei der Zuhälterei geblieben, schimpfte er sich.
Ich könnt' jetzt im warmen Nest sitzen. Oder in einer Zelle der Stadtwache von Santiago. Aber auch da wäre es warm.Und dann brach um sie herum die Hölle los. Und der hübsche Junge verblutete im Schnee. Was für eine Verschwendung.
Cesare aber zog sein Messer und entblößte die Zähne. Die glasigen Augen seines Gegenübers konnte er nicht nachmachen, aber das Grinsen bekam er genauso dümmlich hin. Das Fauchen auch. Bei ihm klang es sogar noch tierischer als bei dem Lepero vor ihm.
[3]Wenn's mich erwischt, muss ich wenigstens nicht mehr so erbärmlich frieren...