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« am: 28.06.2006, 23:00:52 »
Salazar
Alma hebt bei Salazars Frage den Kopf und blickt dem Priester direkt in die Augen: "Sein Name war Bruder Nicolo. Er war ein guter Mann, der von einem starken Glauben beseelt war. Seine Habseligkeiten hat der Leiter des Stifts damals der Wache des Seeherrn übergeben, die sich um den Fall kümmern sollte, und die bescheidenen Besitztümer eures Bruders an die Kirche überführen sollte." Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: "Ich weiß nicht, was aus dieser Geschichte geworden ist. Nachdem die Wache den Fall übernommen hat, haben wir nicht mehr viel davon gehört. Ihr müsst wissen, dass es hier in Freihafen geradezu alltäglich ist, dass irgendjemand verschwindet. Besonders in Skorbuting. Dahin trauen sich die Wachen ja schon lange nicht mehr, das Viertel ist fest in der Hand von schändlichen Gaunern und Halsabschneidern. Bruder Nicolo hatte aber das Elend in den Gassen des Viertels gesehen, und sagte mir, dass er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könnte, würde er aus Angst um das eigene Leben die Augen vor soviel Leid verschließen. Er war ein guter Mann - aber gute Männer sind selten in Freihafen und ihr Leben ist meist recht kurz. Es gibt zuviel Schlechtes hier, dass den Tugendhaften nach dem Leben trachtet."
Bei Salazars Angebot lächelt Alma ein wenig und spricht: "Damit würdet ihr unseren Schützlingen einen großen Gefallen tun. Ihr müsst aber wissen, dass wir euch nicht für eure Dienste bezahlen können. Das Geld, das wir durch Spenden zusammenkratzen können reicht kaum aus, um die vielen hungrigen Münder zu stopfen, die jeden Tag in unsere Küche kommen. Es ist eine Schande, eine Schande sage ich euch! Es gibt eine Menge recht wohlhabender Leute hier in Freihafen, seien es die Handwerker aus dem Ostdistrikt, oder gar die reichen Händler - jeder ist immer darauf bedacht, seinen eigenen Reichtum zu vermehren, und den anderen mit protzigen Villen und funkelnden Edelsteinen zu übertrumpfen. Dass in den Straßen jede Woche ein paar Kinder verhungern, ist diesen Leuten egal. Es ist eine Schande!"
Offensichtlich genießt Alma es auf eine gewisse Weise, dass endlich jemand da ist, bei dem sie ihrer Verbitterung Luft machen kann, denn nach dieser kleinen Ansprache wirkt sie ein wenig entspannter als zuvor, und die harten Gesichtszüge haben sich langsam in eine Maske sanfter Resignation verwandelt.