Es gab Zeiten, da hätte Thynedos Kitajo einen Vortrag über Moral gegeben und darüber gestritten, ob es notwendig gewesen wäre, einen ältlichen, verrückten und potenziell gefährlichen Mann niederzuschießen, nur weil er die Hände nach Thynedos ausstreckte. Der Paladin wusste, dass er in gewöhnlicher Gesellschaft, oder wenn sie länger in der Zivilisation gewesen wären, mit Kitajo hätte diskutieren müssen. Aber er würde ihn nicht überzeugen. Er würde Thynedos zurückerinnern an die vielen Feinde auf ihren Reisen, die ihnen ein Ende bereitet hätten, wenn sie noch lange über Für und Wider diskutiert hätten und es schien allen so, dass er eine Gefahr hätte werden können. Eine realistische Gefahr. Und vor allem eine unberechenbare Gefahr. Der Paladin hieß es immer noch nicht gut, diesen verrückten aus Sicherheitsgründen vor einer begangenen Tat niederzuschießen, doch er schluckte seine Worte runter.
"Vielleicht kann man ihm im Tempel für wenige Stunden helfen. Seinen Wahnsinn vermag niemand zu heilen, seine Pfade vermag somit niemand zu bestimmen. Aber es ist nicht an uns, sein Schicksal zu bestimmen. Seine Warnung hat einen Sinn und ich hätte gern mehr darüber erfahren. Vielleicht hätte er mir die Vision gezeigt. Aber Beltins Worte sagen mehr als die wirren Bilder des Mannes es hätten können."Der Tiefling beugte sich runter zu dem Mann namens Jasper, den er gar für den benannten Kandamerus hielt, und betrachtete ihn, wie er dort jetzt bewusstlos lag. Er betrachtete den Mann eingehend und unterzog auch seiner Ausrüstung einer Prüfung, ob er Spuren des Bösen daran verstellen konnte
[1].
"Wir sollten ihn so in den Tempel bringen lassen, mit seinen Besitztümern, sofern nichts unmittelbar Gefährliches dabei ist. Wer weiß, wenn seine Prophezeiung wahr ist, sind wir ihm nachher noch zum Dank verpflichtet und schenkten ihm stattdessen nur stumpfe Pfeile an die Stirn."Er blickte hoch zu seinen Gefährten. Thynedos führte schon längst keine klassische Abenteuerausrüstung mit. Ihre klassischen Abenteuertage durch abgelegene Gegenden waren lange vorbei, heute reisten sie vor allem mit der Zauberkombination des Ausspähens und der Teleportation dorthin, wo sie gebraucht wurden. Sorgen wie leere Wasserschläuche, warmes Wetter und ein kleiner Abhang, sowas beeindruckte sie schon lange nicht mehr. Es war sogar ungewohnt daran zu denken, was für Unbill ihnen eine wackelnde, kleine Brücke einst bescheren konnte. Gerade dem immer schwer gerüsteten Tiefling. Aber dieser Logik folgend, hatte er kein Seil am Mann. Höchstens mit Ausrüstung, die Ameiko bereitstellte, konnte er Jasper fesseln
[2].
"Er sprach von brennenden Skeletten. Untote überfallen Magnimar und Teile der Stadt stehen in Flammen? Er hat zweifellos von dieser Situation salbadert. Magnimar ist die Stadt der Monumente. Die Frage ist nur, welches Monument hat er gemeint?" Der blauäugige Tiefling mit seiner malachitartigen Rüstung richtete sich wieder auf und legte die Hand an die Lippen. Erkenntnis schlich sich nach einer Weile in seinen Blick. Etwas, was immer sichtbar wurde, weil er dann seine Augen zusammenkniff.
"Wenn das ein Hinweis darauf ist, dass ein Untoter brennt und möglicherweise im Zentrum dieser Sache ist...
Eines der Monumente ist die Flamme des Gründers[3], ein Brunnen, in dem grünliches Öl schwimmt und fortwährend brennt. Ich habe eine Legende darüber gehört, dass dieser Brunnen Feuermagie verstärken soll und wo sollte ein brennendes Skelett ansonsten sein, wenn es die Stadt entzünden will?"Thynedos ging zu seinem Schwert und nahm es an sich, Tatendrang bemächtigte sich jetzt seiner, wie dieser sich eben noch in Kitajos Bogen band.
"Ameiko, ihr solltet den Priester holen, dass er sich um den alten Mann kümmert. Vielleicht haben die stumpfen Pfeile und der Schmerz ihm geholfen, dass zumindest die nächsten Stunden nichts passiert und der Priester kann ihm zumindest kurzfristig Linderung verschaffen. Reya, magst du uns zu Beltin bringen?""Eben sprachen wir noch von dem möglichen Ende unserer Leben, dann ein alter, kranker Mann vom Untergang der Welt und dann brennt ausgerechnet Magnimar...", murmelte Thynedos in sich hinein, setzte seinen Rucksack auf und nahm alles an sich, was er zur Abreise brauchte.
"Und wo zur Hölle ist King schon wieder? Dass er sich auch immer den tiefsten Schatten aussuchen muss...", sprach Thynedos lächelnd und stichelnd. Doch es konnte nicht darüber wegtäuschen, dass der Paladin an die vielen Bewohner Magnimars dachte, die gerade Hölle und Verderben litten und ihre Hilfe brauchten.