Tisuriel sieht für einen Sonnenelfen nicht wirklich außergewöhnlich aus. Er ist von durchschnittlicher Größe, seine Haut ist goldfarben wie bei all seinen Verwandten und seine Haare haben einen kupfernen Farbton. Wie bei allen im Haus Durothil sind seine Züge fein, sogar ein wenig kantig und seine braunen Augen zeugen von einer besonderen Intelligenz. Doch die wenigen Tage in Gefangenschaft der Drow haben schon Spuren hinterlassen. Vielfach ziehen sich feine dunkle Linien über die goldene Haut des Dunkelefen, Zeugnisse von der Misshandlung durch den Feind. Eine dieser Wunden entstellt sogar das Gesicht des jungen Elfen, denn sie zieht sich von seinem rechten Auge drei Finger breit das Gesicht hinab.

Keiner seiner Verwandten verstand, warum er hier war. Wie sollten sie auch? Sie hatten nicht das gesehen, was er gesehen hatte. Sie alle wussten ein wie schrecklicher Feind die Drow waren. Der Angriff auf Immerdar mochte mehr als ein Jahrhundert her sein, aber die Erinnerungen der Tel’Quessir reichten weit zurück und wo für Menschen bereits fünf Generationen vergangen wären, lebten die meisten Elfen, die den Angriff überstanden hatten noch immer auf Immerdar. Tisuriel war noch jung gewesen an diesem finsteren Tag, noch längst nicht der Kindheit entwachsen und so waren die Drow für ihn kaum mehr als eine Schauergeschichte. Das änderte sich als er mit kaum mehr als hundert Jahren die große Reise zum Festland auf sich zu nehmen, um mehr von der Welt zu sehen.
Das, was er hier sah öffnete ihm die Augen. Als erstes Ziel hatte er sich den Hochwald erwählt, um zu sehen wie seine Brüder und Schwestern hier lebten. Er wusste schon, dass es nicht die großen Städte Immerdars und die gewaltigen Bauten der Ar-Tel-Quessir sein würde, sondern kleine Dörfer und wandernde Elfenfamilien. Aber nichts konnte ihn auf das vorbereiten, was er als erstes sehen sollte. Von dem Dorf, das er hatte besuchen wollen, war nichts übrig außer qualmenden Ruinen. Die Opfer des Angriffs lagen noch immer zwischen den Ruinen, keine Soldaten, einfache Männer, Frauen und Kinder. Was war hier geschehen? Wer tat so etwas? Es mussten Dämonen oder irgendwelche anderen wilden Bestien gewesen sein. Die drei Nachbardörfer gaben dasselbe Bild ab. Wer immer hierfür verantwortlich war, verdiente, dass man es ihm mit gleicher Münze heimzahlte, das wurde Tisuriel bewusst. Und deshalb stand er jetzt hier, vor der finsteren Höhle, in der die Diener des Pfeilbringers ihr Lager im Hochwald aufgeschlagen hatten. Die Elfen in ihren dunklen Kettenpanzer und roten Umhängen, die den Tempel bewachten musterten den Sonnenelfen kritisch. Sie alle waren wortkarge Männer und Frauen, aber sie sahen in seinen Augen etwas, das sie verstanden. Eine Wut und einen Rachedurst, noch nicht so recht entbrannt aber doch genug, um ihn aufzunehmen und auszubilden.
Tisuriel verbrachte Monate im Tempel und verließ ihn so gut wie nie. Er lernte alles, was es brauchte, um den Kampf hinab ins Unterreich zu tragen, er lernte die Glaubenssätze der Kirche des Shevarash und er verstand die Abscheulichkeit, die die Dhaerauw darstellten jeden Tag ein bisschen besser. Schließlich legte er sein Gelübde als Gejagter ab, versprach niemals zu lächeln oder zu lachen bis nicht Lolth und ihre dunklen Kinder bezwungen waren. Er glaubte, er selbst würde eine große Rolle im Kreuzzug des Nachtjägers spielen. Wie sehr er sich geirrt hatte.
Keiner seiner Verwandten verstand, warum er hier war. Und auch seine Glaubensbrüder und –schwestern würden es nicht verstehen. Denn dass er hier war, war zum einen seinem Glauben, ein Geschenk seiner Brüder und Schwestern und zum anderen seinem Hochmut, ein Erbe seiner Erziehung im Haus Durothil, wo man ihm beigebracht hatte, dass er zu einem der ältesten, mächtigsten und erfolgreichsten Häuser seines Volkes gehörte. Durothil spielten keine Nebenrollen in Geschichten, sie waren die, die die Entscheidungen trafen.
Jetzt war er in die alte Falle getappt. Er hatte geglaubt, er würde den entscheidenden Schlag führten. Als er also auf einer seiner Patrouillen auf ein weiteres zerstörtes Dorf gestoßen war, rief er nicht, wie er es hatte tun sollen, seine Brüder, sondern er entschied den Spuren auf eigene Faust zu folgen. Es war sein Glück oder auch sein Pech, dass er dabei erfolgreich war. Er fand den Tunnel, der ins Unterreich hinab führte und er schaffte es sogar vier Stunden in der Dunkelheit zu überstehen, fast ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Aber nur fast. Er übersah die Nachhut des Angriffstrupps, aber sie übersah ihn nicht. Ein leises Klicken einer Handarmbrust später, erwachte er, seiner Habe beraubt, die Hände auf den Rücken gefesselt. Aber das änderte nichts, es brachte ihn nur näher an seine Ziele. Die Dhaerauw würden für alles bezahlen, was sie getan hatten und mehr. Es würde keine Gnade geben und Tisuriel würde die Rache des Schwarzen Bogenschützen vollstrecken.