Ob es Kiku schwer fällt den Hof seines Großvaters zu verlassen, das kann er nicht sagen. Zu aufgewühlt ist er noch von den Erlebnissen der letzten Tage. Er weiss nur so viel: Es ist wichtig den nächsten Schritt zu tun. Einen Fuß vor den anderen setzend, begibt sich Bayushi Kikuchiyo also auf den Weg zum Hotei Schrein um den Bruder zu finden und mehr über den Verbleib seines Vaters Katanas zu erfahren. Neben ihm trabt ein noch sehr junges Pferd welches er bei seinem Nachbarn gegen das Versprechen es wieder zu bringen und als Pacht für des Großvaters herunter gekommenen Hofs, hat er es eintauschen können. Es war kein gutes Geschäft gewesen, für beide Seiten. Denn das Pferd ist noch zu jung um beritten zu werden und der Hof des Großvaters würde erst wieder im nächsten Jahr eine Ernte einfahren können. Immerhin trägt das Pferd aber Kikuchiyos spärliches Reisegepäck und der junge Samurai kann wesentlich unbeschwerter seines Weges gehen.
Einen Monat ist Kiku nun schon unterwegs und es wird noch weitere drei Wochen dauern bis er den Schrein erreicht. Immer wieder wird er aufgrund von Formalien aufgehalten, muss sich und sein Reiseziel erklären und Zeit und Geld investieren um die benötigten Reisepapiere und Erlaubnisse zu bekommen. Der Vorteil der offiziellen Wege, sind die Sicherheit und das schnelle Vorankommen. Die Nachteile sind die Kontrollen und die Kosten. Insbesondere die kleineren Händler haben darum meist die Wahl ihr Leben abseits der offiziellen Routen zu riskieren oder sich von korrupten Beamten die letzten Kokus aus der Tasche ziehen zu lassen. Die meisten entschieden sich für letztere Variante denn der größte Gewinn ist nichts wert wenn man ihn nur für die eigene Bestattung verwenden kann. Auf seiner Reise ist der junge Samurai bei den meisten Händlern ein gern gesehener Begleiter. Denn er ist bescheiden und ein Freund der Geselligkeit und so kommt es öfters vor, dass er für Speis und Trank sich in die Dienste der Händler stellt und diese auf ihrer Reise vor eventuellen Gefahren beschützt.
So trifft er auch auf eine Händlerin und ihre fünf Träger, welche einem sehr alten Ashigaru begleitet werden. Während zwei der Träger Säcke mit Reis transportieren, ein dritter Eisenwaren, der vierte das Reisegepäck, fällt Kiku sofort der fünfte Träger ins Auge, denn auf seinem breiten Rücken lastet schwer, ein großes, hölzernes Fass.
‘Ach wie gut wäre es doch, das endlose Regenwetter der letzten Tage bei einem heißen Stein auf dem Bauch[1] zu vergessen!‘ denkt er sich. Verlockt durch die Chance auf einen edlen Tropfen Sake abseits von Zivilisation und einer Sake-Schenke, gibt sich der junge Samurai die größte Mühe seine Dienste Veil zu bieten. Die Händlerin scheint zunächst wenig erfreut noch einen auf dem Weg zu ihrem Handelsziel durchfüttern zu müssen, doch der Bayushi prahlt und protzt in bester Krebsmanier wie er jeden Feind in die Flucht schlagen würde und so willigt die Händlerin am Ende ein. Nur dem alten Ashigaru schien klar zu sein, dass Kiku es wirklich eher auf den Sake abgesehen hat und er quittiert die Aufführung des Samurais mit einem freundlichen Lächeln.
Als der Abend naht wird das Lager am Wegrand errichtet und auch der fünfte Träger darf nun seine Last absetzen. Voller freudiger Erwartung setzt sich Kikuchiyo auf einen Baumstumpf, stützt sich auf sein großes Schwert und beobachtet die Vorbereitungen des Lagers. Als das Feuer brennt und die erste warme Mahlzeit gereicht wird kommt man ins Gespräch. Kiku der sowieso nur ungern seine Maske trägt, legt diese bei Seite und spricht offen über die Erlebnisse auf der Reise und seinen verstorbenen Großvater während der Ashigaru unter dem wachsamen Blick der Händlerin das Fass öffnet und einen kleinen Kessel mit Sake füllt um ihn über dem Feuer zu erhitzen. Die doch schon ansehliche Runde, hockt dicht gedrängt am Feuer um die Nässe aus der Kleidung zu bekommen und die kalten, geschundenen Knochen zu wärmen. Als dann endlich der Sake gereicht wird reibt sich nicht nur Kikuchiyo erwartungsvoll die Hände und als dies den Händereibenden auffällt, schenkt man sich ein Lächeln. Auch wenn die Händlerin selbst den ganzen Tag keine einzige Last getragen hat, so ist sie doch gegenüber ihren Trägern, äusserst großzügig denn sie dürfen am selben Feuer sitzen und ebenfalls vom heißen Sake trinken. Kikuchiyo schätzt dies an der ihm unbekannten Frau. Nicht so begeistert ist er von ihrer Verschwiegenheit doch er respektiert ihren Wunsch und genießt den heißen Sake und den immer gesprächiger werdenden alten Ashigaru. Man trinkt und lacht und vergisst das scheussliche Wetter und die Strapazen des Weges. Zu später Stunde als die Handelsfrau und die Träger bereits schlafen und der Ashigaru bereits den zweiten Kessel aufsetzt, erzählt Kiku ihm vom Zweck und Ziel seiner Reise. Der alte Mann hört aufmerksam zu - der Hotei Seido war nicht ganz das Ziel ihrer Handelsroute aber wenn Kikuchiyo einen Umweg nehmen würde, könnte er sie noch weiter begleiten. Nachdem ein Sake Becher zum anderen kommt und der alte Ashigaru von den großen Gefahren und Überfällen in den Bergen berichtet, trifft Kiku einen voreiligen Entschluss. „Ich werde mitkommen, alter Freund! Euer Sake ist gut und die Möglichkeit in so vortrefflicher Gesellschaft zu reisen bietet sich nicht zweimal im Leben!“ Die Vereinbarung wird mit einem weiteren Becher Sake gefestigt und mit schweren Schädeln begeben sich die beiden zur Nachtruhe. Eine Wache brauchen sie nicht, denn der alte Ashigaru schnarcht innerhalb kürzester Zeit, lauter als der Donnerdrache.
Nach fünf weiteren Tagen erreicht die Gruppe das kleine Bergdorf. Vor ihnen macht der Weg
[2] nun eine Biegung nach rechts und die Reisenden stehen vor einer Treppe über der ein großes rot hölzernes Tor steht auf dessem Gibel man eine Skorpion Abbildung erkennen kann, die in beiden Zangen jeweils ein Bündel Reis trägt. Darunter steht in großen geschwungenen Lettern der Name des Dorfs: Shimomura. Der Ashigaru und Kiku gehen voraus, dahinter folgt die Händlerin mit ihren Trägern. Oben angekommen treten die sie durchs Tor. Vor ihnen erstreckt sich Shimomura, dicht an dicht sind die Bauernhäuser aufgereiht wie an einer Perlen Kette. Die Dächer sind steil und mit Reisstroh bedeckt, welches über die Jahre grau geworden ist. Aus den meisten Kaminen tritt grauer Rauch hinaus in die Dämmerung. Es ist schon Abend und aus den Häusern kann man nur noch vereinzelt Stimmen hören, da die meisten Bewohner wohl schon schlafen.
Am Ende der Straße kann man schon das Haus des Bayushis erkennen. Es ist bedeutend größer als die Häuser der Bauern und schon am rot hölzernen Tor kann man erkennen dass hier der Verwalter des Dorfes wohnen muss. Auf beiden Seiten des Eingangs befinden sich kleine Kies Inseln in deren Kies mit perfekter Linienführung konzentrische Kreise gezeichnet wurden. Die Inseln wiederum sind umrandet von Moosausläufern,
[3] in deren Zentren einige Bonsai Bäume stehen. Als die Gruppe das Tor erreicht werden sie von Bayushi Ryo persönlich in Empfang genommen.
Offensichtlich hatten scharfe Augen und flinke Zungen bereits von ihrer Ankunft gekündet. Bayushi Kiku greift schnell zu seiner Maske um sein Gesicht zu verdecken und dem Verwalter über Shimomura, eines Skorpions würdig, gegen über treten zu können. Bayushi Ryo ist ein Mann mittleren Alters, er trägt einen grauen Umhang mit einem roten Saum und auf seiner Brust prangt das Bayushi Mon. Sein Körperbau wirkt äusserst kräftig doch seine Haltung ist die eines gebrochenen Mannes, auch wenn er dies zu verbergen versucht. Bayushi Ryo trägt sein Haar zu einer Art Dud nach hinten hoch gesteckt, es ist bis auf einige graue Ausnahmen pechschwarz. Die Untere Hälfte seines Gesichts ist verdeckt von einer schwarzen Porzellan Maske eines nach unten verzogenen Mundes, welche auf Höhe der linken Backe gesplittert ist. An dieser Stelle kann man noch immer eine Narbe von der Größe eines kleinen Fingers erkennen. Über der Maske blicken ein paar kühle, graue Augen auf die Gäste herab.
Der Empfang bleibt sehr formal, fast gar so als ob Bayushi es müde wäre, sich mit den Gästen ab zu geben. Um das klassische Bad kommt Kiku aber nicht herum und auch die Händlerin wird entsprechend versorgt. Offensichtlich scheint Sie ein bekannter, wiederkehrender Gast zu sein denn man begegnet einander mit wohlwollender Vertrautheit. Nach dem Bad tritt Kikuchiyo heraus in den schön angelegten Garten und lässt seine Gedanken schweifen während er scheinbar ziellos dem kleinen mit Kies gestreuten Pfad folgt. Bei jedem Schritt knirscht der feine Kies im Rhythmus der Bewegung. Er setzt sich auf die Bank und Blickt auf den kleinen angelegten Teich. Kein einziger Fisch schwimmt mehr darin
[4], nur die erbraunten Blätter des Quittenbaums. Ein Rascheln über ihm weckt seine Aufmerksamkeit und als er nach Oben blickt, schaut er in zwei glühend gelbgrüne Augen die ihn eindringlich mustern. Eine Katze mit schwarzbraunem Fell hat direkt über ihm auf einem Ast Platz genommen und blickt ihn kühl und herausfordern an, so als ob sie ihm mitteilen will, dass dies ihr Garten ist und er besser wieder verschwinden soll. Einen Moment lang harren die beiden der Situation dann ertönt ein kleiner, erlösender Gong, das Zeichen sich für die Mahlzeit zu versammeln. Bayushi Kikuchiyo steht von der Bank auf, die Katze über ihm macht einen Buckel und bleckt ansatzweise ihre Zähne. Kiku kann einen Angriff des Haustigers elegant umgehen, indem er sich langsam zurück zieht und dann den Vorraum zum Speiseraum betritt.
Der Abend nimmt einen unspektakulären Gang, nachdem die Geschenke abgelehnt und ausgetauscht wurden, man getrunken und gegessen hat und abermals ausführlichst die Verwandtschaftsverhältnisse geklärt hat, kommt man auf andere, vermeintliche Nebensächlichkeiten zu sprechen. So berichtet Bayushi Ryo in trunkener Melancholie vom Leid und Freud des Verwalterdaseins und dem Wehmut der ihn überkommt wenn er an die alten Zeiten denkt. Zeiten in denen er mit spitzer Zunge und scharfer Klinge den feinen Unterschied machte! Die Gäste hören aufmerksam zu und nach dem Bayushi Ryo seine Erzählungen beendet hat und eine Weile der angemessenen, stillen Betroffenheit vorrüber ist, erhebt zum ersten Mal die Frau das Wort. Natürlich vergisst sie es nicht abermals zu erwähnen wie dankbar man für die Gastfreundschaft ist und wie tief man in der Schuld des Gastgebers steht. Kikuchiyo ist beeindruckt von ihrer geschliffenen Sprache, ihrer Exaktheit und Beachtung der Etiquette und irgendwie wird er das dumpfe Gefühl nicht los, dass er hier nicht an eine ganz normale Händlerin geraten ist. Wenn er ein wenig mehr Fingerspitzen Gefühl hätte wäre ihm auch nicht entgangen, dass der Gastgeber gegenüber der Händlerin doch zuvorkommender war als es eigentlich üblich ist. Aber dafür hat der junge Samurai kein Gespür.
Eine der Bediensteten, welche zuvor das Essen gebracht hat, begibt sich auf die rechte Seite des Raumes um dort auf einem kleinen Kissen Platz zu nehmen. Neben ihr liegt eine Shamisen welche sie ergreift und mit gekonnten feinen Fingern zum erklingen bringt.
[5] Die Lüft füllt sich mit dem sanften, vibrierenden Summen der Saiten und die drei Anwesenden schweigen bedächtig. Sie schweigen auch noch als die junge Frau ihr Stück schon lange beendet hat. Müdigkeit steht in die Gesichter der Gäste geschrieben und Bayushi Ryo erhebt nun das Wort: "Mei, führe die Gäste zu ihren Schlafplätzen und kümmere dich um ihr Wohlergehen!" Dann wartet der Bayushi bis sich die beiden vor ihm verbeugt haben und verabschiedet dann seine Gäste.
Am nächsten Morgen wird Kikuchiyo von der selben Katze geweckt die ihn auch schon im Garten beobachtet hat.